Mittwoch, 13. Juli 2016

Kölner Gespräche (53): Benjamin Katz, Fotograf

Benjamin Katz wurde 1939 in Antwerpen geboren, wohin sein Vater, ein Berliner Jude, mit seiner Frau geflohen war. Er wuchs in Brüssel auf und zog 1956 nach Berlin. Dort gründete er mit Michael Werner die Galerie Werner & Katz, die aufsehenerregende, skandalumwitterte Ausstellungen z.B. mit dem jungen Georg Baselitz organisierte. Vom Galeristen zur Fotografie gewechselt, wurde er bekannt für seine dokumentarischen, situativen Künstlerportraits. Mehrmals war er an der Kasseler documenta beteiligt. Zuletzt wurde ihm Anfang 2016 der Düsseldorfer Kunstpreis der Künstler verliehen. Im September startet eine große Retrospektive in Paris.
Benjamin Katz lebt mit seiner Frau in der Innenstadt.

Sein Atelier hat er im Keller, die Wohnung liegt im fünften Stock. Einen Aufzug sucht man in diesem Haus vergeblich. Aber das Treppensteigen hält ihn fit, sagt der 76-jährige Benjamin Katz.

Sie sind in Antwerpen geboren. Haben Sie neben der deutschen die belgische Staatsangehörigkeit?

Nein, nur die deutsche. Mein Vater war Berliner, als Belgier hätte ich Militärdienst leisten müssen.

In jeder Kurzbiographie über Sie wird erwähnt, dass Sie Jude sind und Ihr Vater von den Nazis ermordet wurde. Finden Sie das richtig oder falsch?

Religion interessiert mich nicht besonders. Sehen Sie doch nur, was die Religion in den letzten Jahrhunderten angerichtet hat. Klar, wenn es mir schlecht geht, sage ich: Lieber Gott, hilf mir doch. Aber dabei bleibt´s auch. Natürlich gab es in Belgien einige, die mir vorwarfen, dass ich nach Berlin zog. Aber ich hatte schnell Freunde dort an der Kunstakademie. Zum Beispiel Georg Baselitz.

Ihre Galerie Werner & Katz organisierte 1963 eine frühe Baselitz-Ausstellung. Sie geriet wegen nackter Haut zum Skandal.

Im Nachhinein völlig lächerlich. Die Prüderie damals war extrem, es gab einen Prozess nach dem anderen. Denken Sie nur an Jean Genet. Heute lachen da die Hühner drüber.

Ihre erste Kamera bekamen sie 1953. Können Sie sich an Ihre ersten Bilder erinnern?

Die habe ich sogar noch, wenn auch nicht die Negative. Es war eine Bakelit-Kamera. Das sind Fotos vom Kudamm – keine Menschen, sondern Gebäude, ein pinkelnder Hund war auch dabei.

Sie stehen in dem Ruf, die richtigen Momente zu erwischen.

Okay, der Satz stimmt. Aber man kann 24 Stunden jeden Tag magische Momente erwischen. Mir war immer wichtig, möglichst natürliche, unkonstruierte Situationen abzubilden. Inszenierte Portraitsitzungen liegen mir nicht.

Eine Lehre haben Sie nie gemacht.

Das stimmt, ich bin Dilettant. Aber meine Augen habe ich immer geschult. Als Kind schon mochte ich Leonardo da Vinci und de Chirico, und mein Internatszimmer war voll mit Kunstpostkarten von Manet, van Gogh, Degas. Ein Freund meinte mal, ich hätte einen Zirkel im Auge.

Sie arbeiten bis heute analog. „Digital ist mir zu einfach“, sagen Sie.

Ja, nur dann habe ich das Gefühl, richtig zu arbeiten. Außerdem gehe ich einfach gern in die Dunkelkammer.

Manipulieren Sie Ihre Bilder zuweilen, wie das in der digitalen Welt üblich ist?

Wenn eine Stirnpartie nicht stimmt, belichte ich manchmal nach. Aber mit der Leica, die ich seit 1995 habe, ist das nie mehr nötig gewesen – ein phantastisches Gerät.

Sie sind mit Ihrer Kamera auf Vernissagen und sonstige Ereignisse gegangen, haben also gearbeitet, wenn andere Freizeit hatten.

Ich habe nicht gearbeitet, sondern mich beschäftigt. Ein Maler muss morgens in sein Atelier, sonst kriegt er Depressionen. Und für mich ist die Fotografie mein Lebenselexier. In den 70ern habe ich für verschiedene Kunstzeitschriften gearbeitet. Meistens habe ich Künstler begleitet, die ich besonders schätzte: Baselitz, Lüpertz, Penck undsoweiter. Sehr gern habe ich die dann vom Atelier über den Aufbau in den Ausstellungsräumen bis zur Vernissage begleitet. So wie das etwa Henri Cartier-Bresson mit Matisse gemacht hat.

Ihre frühen Kölner Jahre haben Sie mal als „Zeit der Ateliers und Kneipen“ bezeichnet. Was haben Sie damit gemeint?

In Läden wie dem alten Roxy oder dem EWG auf der Aachener Straße war ich praktisch täglich. Da traf man dann Jürgen Klauke, Michael Buthe oder Udo Kier. Im Roxy habe ich damals auch meine Frau kennengelernt, und wir leben immer noch zusammen.

Wie gehen Sie mit unwirschen Reaktionen der Portraitierten um?

Das ist mir nie passiert. John Baldessari hat mich als Fotograf einmal mit Jacques Tatis Monsieur Hulot verglichen. Für mich war das ein Kompliment – ich habe immer versucht, eine gewisse Komik zu erzeugen. Sie können niemanden fotografieren, den Sie nicht mögen. Da bekommen Sie kein anständiges Foto hin. Letztlich ist eine Fotositzung so etwas wie ein Pas de deux.

Würden Sie den Kunstfälscher Beltracchi portraitieren?

Niemals, für kein Geld der Welt. Handwerklich mag er begabt sein, aber diese Überheblichkeit à la „Leonardo da Vinci ist einfach“: Der Mann kapiert nicht, dass in der Kunst Herzblut und Schmerz stecken. Leute wie Gerhard Richter oder Georg Baselitz haben sogar echte Hungerzeiten hinter sich.

Richter verkauft heute zu Millionenpreisen.

Ja, und macht sich lustig darüber. Das sind unseriöse Herrschaften, die solche Preise bezahlen. Völliger Blödsinn.

Sie haben Anfang 2016 den ersten Preis überhaupt in Ihrem Leben entgegengenommen. Warum nur den?

Ich habe ich nie für solche Auszeichnungen interessiert und mich nie beworben. Aber dieser Preis der Kunstausstellung NRW wird von Künstlern verliehen, nicht von Galeristen oder Museumsdirektoren. Da bin ich schon stolz drauf. Außerdem sagte man mir, so ein Preis gäbe einen kleinen Schub. Die meisten Menschen kaufen Kunst mit den Ohren, verstehen Sie.

Kennen Sie den Meisterdetektiv Benjamin Katz?

(lacht) Auf den stoße ich beim Googeln, ich habe auch schonmal ein Buch von ihm geschenkt bekommen. Finde ich toll.

Das ist eine Figur aus einem Kinderkrimi. Ein anderer Benjamin Katz taucht bei den Desperate Housewives auf, und es gibt auch einen, der übers Internet Feuerwehrstiefel vertreibt.

Aufgezogen werde mich manchmal mit der Namensgleichheit zu Alex Katz, dem berühmten New Yorker Maler. Ich habe ihn mal für die Galerie Jablonka portraitiert, ein sehr sympathischer Mensch. Seine Familie stammt übrigens wie meine aus Odessa.

Sie haben zahllose Menschen portraitiert. Auch sich selbst?

Habe ich oft gemacht, na klar. Man sieht, dass die Hülle immer älter wird, innen drin aber noch immer das Kind steckt. In der Straßenbahn wundere ich mich immer, wenn jemand für mich aufsteht. Au, denke ich dann, du bist ein alter Knacker. (lacht)

Sie sehen durch die Augen dieses portraitierten Selbst in sich hinein?

Und stelle dabei fest, dass ich ernster werde. Ich gehe auf die 80 zu, meine Unschuld ist ein wenig verschwunden. Ich wollte mir nie eine Hornhaut anschaffen, und allzu dick ist sie, glaube ich, auch nicht geworden. Aber je älter man wird, desto mehr alte Freunde sterben weg, zuletzt Theo Lambertin. Wie Marcel Duchamps schon sagte: „D'ailleurs c'est toujours les autres qui meurent“ – „Im übrigen sind es immer die anderen, die sterben.“

Und das Selbstportrait heißt heute Selfie.

Oh Gott, ja. Vor ein paar Monaten war ich mit Baselitz in Venedig, und überall liefen diese Menschen mit ihren Selfiestöcken durch die Gegend. Das ist so dämlich, unfassbar!

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