Mittwoch, 30. März 2016

Kölner Gespräche (47): Wayne Marshall, Chefdirigent des WDR-Funkhausorchesters

Wayne Marshall wurde 1961 in Manchester als Sohn karibischer Immigranten geboren. Er studierte Klavier und Orgel, u.a. an der Wiener Musikhochschule, und bestand sämtliche Prüfungen mit Auszeichnung. Mit beiden Instrumente spielte er Konzerte überall in Europa. Als Dirigent leitete er die Wiener Philharmoniker genauso wie die Dresdner Philharmonie oder das Orchester von Bordeaux. 2014 berief man ihn zum Chedirigenten des WDR-Funkhausorchesters.
Zusammen mit seiner maltesischen Frau hat Wayne Marshall zwei Kinder. Wenn er in Köln ist, wohnt er stets im Hilton Hotel.

Natürliches Licht sucht man hier unten vergeblich – auch das Dirigentenzimmer der Kölner Philharmonie liegt tief untertage. Aber dafür findet man dort ein schickes Klavier und einen großen Spiegel zur musikalischen und äußerlichen Vorbereitung auf den Auftritt.





Sie sind 1961 geboren. Wie war das Manchester Ihrer Jugend?

Sehr anders, aber bereits damals im Umbruch. Natürlich gab es einige richtig harte Viertel, manche existieren heute noch. Aber gleichzeitig wurde viel gebaut, nicht zuletzt das mitten in der Stadt gelegene, fürchterliche Arndale Shopping Centre. Wir nannten es damals die größte öffentliche Toilette der Welt. Ich denke allerdings, Manchester ist heute insgesamt eine deutlich schönere Stadt als damals.

Entstammen Sie, als klassischer Musiker, einem Bildungsbürgerhaushalt?

Nein, gar nicht. Meine Eltern sind Immigranten, die 1957 von Barbados nach England kamen. Sie waren einfache Arbeiter. Familienwerte wurden bei uns zuhause hochgehalten, und man ging regelmäßig zur Kirche. Heutzutage komme ich viel rum, wegen meinem Job, aber auch dank meiner Frau. Sie ist Malteserin, und wir haben ein schönes großes Haus auf Malta.

Manchester ist heutzutage vor allem wegen seiner beiden Fußballmannschaften weltbekannt.

Allerdings, und mein Team ist Man U! In meiner Schulklasse gab es nur United-Fans, die Spieler damals kamen praktisch alle aus der Stadt selbst oder dem näheren Umland. Ich hoffe, dass Trainer van Gaal bald entlassen wird. Alex Ferguson war ein großer Coach, und er führte eine großartige Mannschaft. Aber alle Clubs gehen hin und wieder durch ein Tal – so wie Man U im Moment. Ein Problem ist sicherlich, dass kaum noch eigener Nachwuchs ausgebildet und integriert wird. Richtig verheerend wirkt sich das auf die englische Nationalmannschaft aus.

Die 80er-New-Wave-Band The Smith kommt genauso aus Manchester wie später Oasis mit den Gallagher-Brüdern. Sind Sie mit dieser Musik aufgewachsen?

Eigentlich nicht, das war nicht meine Szene. Ich fühlte mich früh zur Klassik hingezogen. Mit meinen Eltern besuchte ich zahllose Kirchenkonzerte. So etwa mit 16 war ich auf einer Party, wo eine Platte von Stevie Wonder lief. Ende der 70er war das, die Disko-Ära begann. Das gefiel mir dann schon ganz gut.

Warum lernt ein kleiner Junge aus Manchester Orgel und Piano statt E-Gitarre?

Meine Mutter spielt auch Klavier, das war ganz natürlich für mich. Einmal waren wir mit dem Schulchor in meiner Hauskirche, und ich durfte einen Akkord auf der Orgel spielen. Der Sound dieses Instruments haute mich dermaßen um, dass ich sofort wusste, das will ich lernen.

Wie ist die Akkustik in Manchester Cathedrale?

Ein bisschen dünn und kühl, ehrlich gesagt. Aber für mich damals war sie umwerfend.

Sie haben auch schon in Notre Dame und in Londons Westminster Cathedrale gespielt.

In Westminster steht die beste Orgel Englands, in Notre Dame die beste der Welt. Ich habe zweimal darauf gespielt und würde es jederzeit wieder tun.

Haben Sie schon in Kölner Kirchen gespielt?

Ja, in einigen, wenn auch keine Konzerte. Manchmal spiele ich im Dom. Die beiden Orgeln dort sind spannend, die Akkustik ist klasse. Was mich hier fasziniert, ist die Anziehungs- und Identifikationskraft des Doms: Jedes Konzert dort ist restlos ausverkauft mit 3.000 Leuten. Ich habe da noch nie einen Sitzplatz bekommen. Diese traditionelle Bindung an eine Kirche, an eine städtische Ikone ist wohl einmalig in Europa.

Kein Wunder, immerhin haben wir über 600 Jahre daran gebaut. Sie haben schon überall in Europa gearbeitet. Wie schneidet Köln im Vergleich ab?

Ich liebe es zu reisen, und ich finde es überall sehr speziell. Kulturelle Unterschiede sind faszinierend, in Paris genauso wie in Wien oder Köln. Ich bin hier sehr freundlich aufgenommen worden, und gut shoppen gehen kann man in Köln auch ...

Sie meinen: im English Shop an der Schildergasse leckere Salt & Vinegar-Chips kaufen?

Sehr englisch, ja, und furchtbares Zeug. Ich gehe gern zu Fuß durch Städte, in den English Shop habe ich es bisher allerdings noch nicht geschafft. Und bevor Sie fragen: Ich bin kein großer Freund des hiesigen Karnevals, auch der berühmte Notting-Hill-Karneval ist nichts für mich. Echter Karneval wird für mich in der Karibik gefeiert, in Trinidad gefällt er mir am besten.

Sie spielen und dirigieren nicht nur Klassik, sondern auch Jazz. Wo ist die Verbindung?

Ich bin vor allem klassischer Musiker. Aber mit Jazzmusik kam ich schon als Kind in Berührung. Als Dirigent war George Gershwin für mich derjenige, der mir den Jazz näherbrachte, nicht zuletzt durch sein „Klavierkonzert in F-Dur“ von 1925. In der Philharmonie haben wir mit dem WDR-Funkhausorchester zuletzt die Swing-Sinfonie von Wynton Marsalis gespielt. Die habe ich schon öfter aufgeführt, zweimal sogar zusammen mit Wynton.

Warum haben Sie 2014 den Job als Dirigent des Funkhausorchester angenommen?

Zum einen wollte ich schon immer Chefdirigent eines Orchesters werden, und die Anfrage kam zum richtigen Zeitpunkt. Zum anderen gefiel mir, dass das hier kein klassisches Mainstream-Orchester ist. Wir sind in viele verschiedene Projekte involviert und haben ein breites Repertoire. Eine große Herausforderung, der ich mich immer wieder gern stelle. Und weil alles aufgenommen und veröffentlicht wird, müssen wir unser Niveau stets sehr hoch halten.

Das Funkhausorchester spielte als Flash Mob die Star-Wars-Melodie auf der Hohe Straße, es tritt mit lokalen Popbands auf undsoweiter.

Ja, und das ist gut so. Mit solchen Auftritten bringen wir die klassische Musik an Zuschauer, die wir sonst nie hätten. Die musikalische Ausbildung an Schulen hat stark nachgelassen in den letzten Jahren. Das Internet beschäftigt zu viele Leute zu viele Stunden, also müssen wir etwas tun, um diese Menschen für uns einzunehmen.

Selbst spielen und dirigieren sind zwei Paar Schuhe.

Wobei ich mir als Musiker genauso viel abverlange wie meinem Orchester, wenn ich dirigiere. Wer besser werden möchte, muss hart an sich arbeiten – bei der Probe und beim Konzert. Wir wollen unsere Zuschauer so gut wie möglich unterhalten, also sollten wir immer mit Fleiß und Ehrgeiz an die Arbeit gehen.

Als Musiker kann man eins werden mit der Komposition. Als Dirigent muss man ein ganzes Orchester im Blick behalten. Können Sie die Musik dennoch auch als Dirigent genießen?

Oh ja, obwohl das in der Tat ein Unterschied ist. Aber es gibt eben immer diese magischen Momente in der Musik. Eigentlich weiß jeder, was zu tun ist, es gibt ja die Noten, die jeder kennt. Aber wenn dann ein Orchester richtig in Fahrt kommt, entstehen spontane Highlights, instinktive Wendungen, mit denen niemand vorher rechnen konnte. Und das ist es, was den Job so großartig macht.

Letzte, sich aus dem Vorigen logisch ergebende Frage: Sollte England sich aus der EU verabschieden?

(lacht) Nun ja, es gibt Argumente dafür und dagegen. Die Vereinigten Staaten sind viel enger miteinander verbunden als die EU, die aus zig verschiedenen Staaten besteht. Schon wegen der vielen verschiedenen Sprachen wird Europa nie ein geeintes Land werden. Am besten an Europa gefällt mir als Vielreisender der Euro.

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