Mittwoch, 6. Januar 2016

Thekentänzer (96)

Das Dart-Finale

Gerade eben ist die großartige Dart-WM zuende gegangen. Anlass genug, von einem ungewöhnlichen Dart-Zweikampf zu berichten. Der folgende Text ist ein Auszug aus meinem Buch „Kein Bier vor Vier“.

Auf das späte Mittelalter gehen die Legenden vom Nobiskrug zurück. Dort trinken die Toten, bewirtet vom Leibhaftigen persönlich. Durst leidet man nicht in dieser Spelunke, denn Luzifer schenkt immer nach, mit teuflischem Grinsen. Zeitgenössische Bilder präsentieren das Tor zum Nobiskrug als Höllenrachen. Wer hier eintritt, der hat ganz im Sinne des Wortes seine Endstation erreicht. Und genau so fühlte ich mich damals in Aalen, in der „Endstation“.
Im Innern dieses schwäbischen Nobiskrugs saß rund ein Dutzend schweigsamer Männer. Aus dem Radio dudelte das Beste der 80er, 90er und von heute, wozu offenbar auch „You can´t hurry love“ von Phil Collins gezählt wird. Um mich positiv einzuführen, versuchte ich es mit einem flotten Spruch:
„Bei diesem Kneipennamen dachte ich, den Laden muss ich mir mal ansehen.“
Der Wirt, hinter seiner schmalen Theke, quittierte dies mit einem Nicken, das mit dem Adjektiv „desinteressiert“ nur sehr unzureichend beschrieben ist. Aber so kalt der Empfang, so herrlich kalt auch die Flasche Wasseralfinger, die er mir dann kredenzte. Ein Grad weniger, und man hätte es lutschen können, dieses Bier. Ich nahm einen tiefen Schluck und sah mich um. In der Flucht des Tresens, zum Fenster hin, lagen drei separate Sitznischen, in denen ein Mann, oder auch zwei, gemütlich einen ganzen Tag vertrinken konnte. Den Schankraum zwischen Tür und Theke hatte man mit einem abwechslungsreichen Sammelsurium von Tischen und Stühlen möbliert. Braungelbe, ebenfalls vom Autoverkehr in Mitleidenschaft gezogene Butzenscheiben tauchten das Lokal in ein dunstiges Zwielicht. In der Endstation, so schien es, war die Zeit stehengeblieben. Auf 5 nach 12.
Augenblicklich fühlte ich mich wohl und geborgen, die restlichen Aalen-Stunden verbrachte ich in völliger Eintracht mit mir und meinen Mitmenschen. Ich führte interessante Gespräche über den Vorteil von Flaschen- gegenüber Fassbier, über das angeblich von vorn bis hinten gefakte Limesmuseum und den Aalener Dialekt, demzufolge diese einzigartige Stadt „Oole“ heißt und „im Oschte vu Bade-Wirttebärg“ liegt. Noch beeindruckender als diesen charmante Zungenschlag habe ich jedoch einen Dart-Zweikampf in Erinnerung, der offenbar schon einige Zeit vor meinem Eintritt angefangen hatte.
Beide Kontrahenten wirkten nicht sonderlich austrainiert. Der Alkoholkonsum hatte unübersehbare motorische Schwierigkeiten generiert, ein wenig erinnerte das Getänzel und Getorkel an die 14. Runde des Thrilla in Manila. Der jüngere Spieler wurde zudem durch eine höchst eigenwillige Wurftechnik gehandicapt. Möglicherweise um Kraft zu sparen, schleuderte er den Dart nicht auf Augenhöhe gen Scheibe, sondern von unten. Sein Arm pendelte vor und zurück wie ein aus dem Takt geratenes Metronom, und irgendwann ließ er den Pfeil einfach los. Ob er dabei ein Ziel vor Augen hatte, war nicht festzustellen, nicht einmal, ob er sich über die Richtung bewusst war, in der der Automat stand. Deshalb konnte auch niemand vorhersagen, ob das Spielgerät hinter ihm, an der Decke oder in seinem Auge landete. Wer in der Nähe saß, hielt seine Pulle während dieser Auftritte etwas fester in der Hand hielt.
Dem Alten hingegen mangelte es zwar nicht an rechtem Sportsgeist, aber auch ihm fehlte zuweilen das nötige Grundmaß an Orientierung.


Er & Ich, Kunst von Uli Görtz (www.ulrichgoertz.de)


„Du stehst schon wieder falsch“, sagte der Jüngere.
„Wie, falsch? Das geht dich doch ...“
„Ja, falsch eben, du stehst doch mindestens zwei Meter vor dem Strich, kannst du die Pfeile ja direkt mit der Hand in die Scheibe zimmern.“
„Welcher Strich?“ sagte der Alte und suchte den Boden ab. Dann stellte er sich wieder kurz vor den Automaten und jagte den Pfeil im Zuge eines immer wieder überraschenden Galoppsprungs mit voller Wucht in die Poren des Dartautomaten.
„Der gilt nicht“, schrie er jedes Mal, wenn das Spielgerät in Folge des übermäßigen Kraftaufwands von der Wand zurücktitschte und im Raum aufschlug.
„Der gilt nicht, den werf ich nochmal.“
„Gar nix wirst du, ich bin dran“, sagte der Jüngere. Aber der Alte nahm seine Pfeile und hackte sie wutentbrannt in die Triple 20.
Weil die Elektronik zu diesem Zeitpunkt längst auf Spieler II umgestellt hatte und demzufolge den Wurfbetrag vom Konto seines Gegners subtrahierte, entstand in diesen Situationen stets eine gewisse Konfusion. Der Alte zeterte und fluchte, während der Jüngere darauf bestand, die eingestochenen Wutpunkte gehörten nun ihm. Meistens brauchte es mehrere Korn, bevor wieder ein wenig Ruhe einkehrte.
Irgendwo hinterm Kocher ging die Sonne unter, es wurde dunkel im Oschte vu Bade-Wirttebärg. So langsam musste ich an meine letzte Verbindung nach Schwäbisch Hall denken. Der Wirt hebelte weiter seine Bierflaschen auf, die Dartspieler tauchten nach ihren im Raum verstreuten Pfeilen. Limesmuseum hin, Kocher-Ursprung her - der Trip nach Aalen hatte sich letztlich gelohnt. Mit einem Wasseralfinger in der Hand und einem fröhlichen Lied auf den Lippen machte ich mich auf den Weg zurück zum Bahnhof.



Kein Bier vor Vier. Meine 100-tägige Kneipentour durch die Republik:
www.kiwi-verlag.de/buch/kein-bier-vor-vier/978-3-462-04698-4
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