Mittwoch, 9. Dezember 2015

Kölner Gespräche (43): Claus Kreß, Völkerrechtler an der Uni Köln

Claus Kreß wurde 1966 in Köln geboren. Nach dem Abitur am Hildegard-von-Bingen-Gymnasium begann er ein Jurastudium. Auf die Promotion 1994 folgte 2004 die Habilitation.
Von 1996 bis 2000 war er als Beamter im Bundesministerium der Justiz tätig. 1998 war er Mitglied der deutschen Delegation bei der Staatenkonferenz in Rom zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes. Ende 2004 übernahm er den Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Köln. Dort fungiert er seit 2012 als ordentlicher Professor und Direktor des Instituts für Friedenssicherungsrecht. Er gilt als internationaler Fachmann für Völkerrechtsfragen.
Claus Kreß lebt mit seiner Frau und den beiden Kindern in Rondorf.

Es ist ein langer, gewundener Weg vom Erfrischungsraum im Hauptgebäude der Uni Köln bis ins versteckte Büro des Völkerrechtlers Claus Kreß. Und der Professor verspätet sich leicht: 300 Erstsemester haben gerade seiner Vorlesung gelauscht, und er hatte noch viele Fragen zu beantworten.

Sind Sie zur Zeit ein gefragter Mann?

Bedauerlicherweise ja. Nach dem Terror in Frankreich haben die Anfragen seitens der Presse noch einmal zugenommen. Viele Fragen sind nicht neu, sie werden schon seit dem 11. September 2001 intensiv diskutiert.

Welche Fragen sind das?

Vor allem will man wissen, was es bedeutet, wenn heutzutage von „Krieg“ gesprochen wird. Das Wort ist aus dem Jargon der Politiker - und auch der Journalisten - nicht herauszukriegen.

Wie meinen Sie das?

Seine Bedeutung als Völkerrechtsbegriff hat „Krieg“ fast vollständig verloren. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war das anders. Da gab es ein Kriegsrecht, um die mit dem Kampf zwischen Staaten verbundenen Leiden zu begrenzen. Und 1928 vereinbarte man das Verbot des Kriegs als Mittel nationaler Politik.

Welche Begriffe haben „Krieg“ heute ersetzt?

Präzisere, objektivierbarere. Das Kriegsverbot wurde durch das schärfere Verbot ersetzt, militärische Gewalt anzuwenden. Und sind Kämpfe dennoch ausgebrochen, sprechen wir inzwischen von einem „internationalen bewaffneten Konflikt“.

Hier in Ihrem Büro hängt ein Geißbock-Bild. Von „Krieg“ spricht man heute schon, wenn der FC gegen Gladbach spielt.

Genau, das Wort ist eine Allzweckwaffe geworden für Leute, die rhetorisch mit kräftigen Farben malen wollen. Ich verstehe durchaus, dass Politiker und Journalisten gelegentlich diesen Wunsch verspüren.

Wie trennen Sie nüchterne Analyse, Ihre Meinungen und Ihre persönlichen Sorgen.

Nach letzterem werde ich zum Glück nur selten gefragt, zumal ich in dieser Hinsicht nicht kompetenter bin als irgendeiner meiner Mitbürger.

Andersherum heißt das, Sie halten Ihre Einschätzungen zu diesem oder jenem Konflikt für unbedingt objektiv?

Sie dürfen jedenfalls nicht juristisch falsch sein. Und ich darf keinesfalls auf medialen Wellen mitschwimmen, die fachliche Präzision muss immer Vorrang haben. Aber wenn ich mit der Presse spreche, muss das natürlich auch verständlich geschehen. Das ist zuweilen eine Gratwanderung.

Sie gelten als Experte für das völkerrechtliche Gewaltverbot. Was ist damit gemeint?

Das ist eine der wichtigsten Normen der internationalen Rechtsordnung. Es geht um das grundsätzliche Verbot für alle Staaten dieser Welt, militärische Gewalt gegen andere Staaten auszuüben.

Das Völkerrecht, die Menschenrechte, nationale Verfassungen und Gesetze bilden ein sehr komplexes, für den Normalbürger kaum zu überschauendes Feld.

Allerdings, zumal es zwischen nationaler und internationaler Rechtsordnung gewichtige Unterschiede geben kann. Denken Sie an Auslandseinsätze deutscher Soldaten: Unsere Verfassung setzt da engere Grenzen als das internationale Recht.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir unsere laufende militärische Ausbildungshilfe im Irak: Völkerrechtlich ist diese völlig unproblematisch. Schließlich hat die Regierung des Irak dem zugestimmt. Nach unserer deutschen Verfassung jedoch ist dies ein hochproblematischer Fall, bei dem die Bundesregierung sich mit ihrer Begründung auf unsicherem Gelände bewegt.

Die meisten zwischenmenschlichen Kontakte folgen ungeschriebenen Gesetzen. Wie spielt das ins Völkerrecht?

Das ist von enormer Bedeutung. Bedenken Sie: Die völkerrechtlichen Institutionen sind global noch recht schwach ausgebildet. Wir haben zum Beispiel keinen Weltgesetzgeber, internationale Gerichte tagen seltener als nationale. Gerade im Völkerrecht der Friedenssicherung gibt es nur wenig niedergeschriebenes Recht. Umso wichtiger ist das tatsächliche Verhalten der Staaten.

Wie vermitteln Sie das Ihren Studenten?

Indem ich mit ihnen nicht nur die wenigen Rechtstexte betrachte, sondern auch die internationalen Konflikte genau studiere. Erst wer sich etwa die Kuba-Krise genau anschaut, bekommt einen lebendigen Einblick vom Recht der internationalen Beziehungen.

Es geht auf Weihnachten zu, das den Christen als „Fest des Friedens“ gilt. Ist das eine Norm, ein ungeschriebenes Gesetz, womöglich ein Völkerrecht?

Der Frieden ist ein zentraler Wert der internationalen Rechtsordnung, er steht in der UNO-Charta nicht umsonst ganz oben. „Künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“, das war im Juni 1945 in San Franzisko das Ziel.

Von der UNO-Charta zur kölschen Ethik, die da besagt: Jede Jeck es anders, Jeck loss Jeck elans. Können Sie als Völkerrechtler damit etwas anfangen?

Oh ja! Diese kölsche Mentalität, dem anderen nicht zu sehr hineinzuregieren, das Andersartige auszuhalten, ist für das Völkerrecht eine zentrale Tugend. Die Bauherren des Völkerrechts sind derzeit rund 200 Staaten, die im Innern zum Teil ganz unterschiedlich strukturiert sind. Und selbst wenn wir manchmal staunen, wie jeck die anderen sind: Völkerrechtlich gilt das Interventionsverbot.

Sie haben in Genf, Cambridge und New York gewirkt. Warum sind Sie wieder in Köln gelandet?

Ich hatte Riesenglück, denn für einen Wissenschaftler ist es sehr ungewöhnlich, an seinem Heimatort arbeiten zu dürfen. Ich reise sehr gern, aber noch lieber komme ich nach Köln zurück.

Gibt es dafür irgendeinen vernünftigen Grund?

(lacht) Jetzt muss ich doch subjektiv werden. Sagen wir so: Ich gehöre einer kölschen Familie an, die beim Anblick der Domspitzen nach einem Urlaub feuchte Augen bekommt. Rational kann ich Ihnen das nicht erklären. Aber ich mag einfach dieses bereits angesprochene kölsche Laissez-faire genauso wie die FC-Hymne und die Tatsache, dass man hier in einer Kneipe nicht lange allein steht.

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