Mittwoch, 30. September 2015

Kölner Interviews (39): Charlotte Klauser, Musikerin

Charlotte Klauser wurde 1990 geboren und wuchs in Dellbrück auf. Schon mit zwei Jahren begann sie, Geige und Klavier zu lernen. 1999 gewann sie bei „Jugend musiziert“, im Jahr darauf gründete sie mit ihrer Schwester „The Black Sheep“, eine Alternative Rock Band, die bis heute existiert. Sie macht Sounddesign für GOOGLE und spielt Schlagzeug in TV Shows. Zu ihren zahlreichen weiteren Projekten gehören die „Rockemarieche“, die kölschen Rockabilly spielen. Seit einigen Jahren gehört sie zudem zur Tabaluga-Musical-Crew und zur Band von Peter Maffay.
Charlotte Klauser lebt in der Kölner Innenstadt.




Charlotte Klauser kommt gerade aus Deutz, wo sie auf der Kinder- und Jugendmesse gearbeitet hat. Sie schwärmt von der Fahrt per Fahrrad über den Rhein und freut sich auf ein großes Feierabend-Radler.

Was genau war Ihre Aufgabe auf der Messe?

Ich habe dort Gitarre, Bass und Ukulele gespielt und meine Schwester vertreten, die von dieser Firma oft als Musikerin engagiert wird. Die Firma vertreibt musikalische Einschlafhilfen für Babys.

War´s anstrengend?

Ich habe einmal pro Stunde gespielt, immer wieder das Gleiche. Von daher war das etwas anderes als ein Band-Gig. Dem Konzept gemäß habe ich zeitgenössische Pop-Rock-Hits als Kinderversionen gebracht, zum Beispiel „Nothing else matters“ von Metallica.

Sie sind oft mit Peter Maffay auf Tour. Wie würden Sie ihn charakterisieren?

Ein Gentleman, sehr respektvoll, witzig und das Leben liebend. Zugleich arbeitet er sehr diszipliniert und kann dann auch streng sein.

Wie sieht Ihr Tourneealltag mit ihm aus?

Im Vergleich zu den Touren mit meinen eigenen Bands ist der Job bei Peter Maffay angenehm geregelt. Ich muss nicht selber einen schrottigen Van fahren und bekomme einen Ablaufplan für den Tag. So hält man auch die drei Monate auf Tour sehr entspannt aus. Mein Leben ist da eigentlich besser organisiert als zuhause.

Was sind Ihre Jobs auf der Bühne?

2011 fing es mit zwei Rollen im Tabaluga-Musical an, aber inzwischen bin ich auch immer bei seinen eigenen Gigs dabei. Ich bin eine von drei Background-Sängerinnen, spiele Percussion und springe ein, wenn irgendwo ein Instrument gebraucht wird.

Ist Tabaluga nur ein Job oder auch eine künstlerische Herausforderung?

Ich stecke da viel Herzblut rein, schließlich kenne ich Tabaluga aus meiner eigenen Kindheit. Ich kann dort singen, schauspielern und tanzen – perfekte Kombination!

Tabaluga, Tony Mono, Carolin-Kebekus-Band, Rockemarieche, The Black Sheep: Sie tanzen auf sehr vielen Hochzeiten. Haben sie noch den Überblick über Ihren Kalender?

(lacht) Das hat sich ja alles nach und nach entwickelt. Die Band The Black Sheep habe ich vor 15 Jahren mit meiner Schwester gegründet. Es ist natürlich schwierig, überall hundert Prozent zu geben. Somit sind die vielen Projekte und die Vielseitigkeit oft Fluch und Segen zugleich.

Was ist Ihnen zur Zeit das wichtigeste?

Das war lange The Black Sheep (eine rein weibliche Alternative Rock Band, B.I.), aber die Band liegt nun ein wenig auf Eis. Ich will in naher Zukunft versuchen, mir ein wenig Zeit freizuräumen, um wieder ein eigenes Herzensprojekt aufbauen zu können.

Sie haben mit The Black Sheep sogar mal einen Otto als beste Schülerband gewonnen. Haben sie noch Kontakte zur Bravo, die diesen Preis verleiht?

Ich habe eigentlich kein Bedürfnis, dort stattzufinden. Das war uns eher etwas suspekt damals. Nichts gegen die Bravo, aber auch zukünftig sehe ich meine Musik eher woanders.

Waren Sie lieber Vorband für Silbermond oder für Social Distortion?

Oh, sowas hat mich noch niemand gefragt. (lacht) Die Tour mit Social Distortion war definitiv eine spannendere Herausforderung. Da muss man auf der Bühne dafür kämpfen, dass die Typen nicht „Ausziehen“ schreien und Tomaten schmeißen, weil sie noch nie eine Frau an ´ner Gitarre gesehen haben.

Parallel hatten Sie zudem eine Jazz-Band. Langweilen Sie sich musikalisch schnell, wenn es nur in eine Richtung geht?

Ich singe halt gern und spiele mehrere Instrumente. Wenn ich eine Weile meine Jazzband verfolgt habe, fehlte mir der Rock´n´Roll. Und manchmal gehe ich nachts um Drei ins Bett und habe nichtmal ein Achtel von dem geschafft, was ich machen wollte.

Klingt anstrengend.

Ich bin sehr perfektionistisch. Umso komplizierter ist es, jeden Tag alles unter einen Hut zu bekommen.


Sie sind, sage ich jetzt mal, die zweitberühmteste Bergisch-Gladbacherin. Wie sind Sie dort aufgewachsen?

Ich bin dort im Krankenhaus nur geboren und eigentlich schon immer Kölnerin. Aufgewachsen bin ich in Dellbrück, das liebe ich noch immer. Dellbrück ist nah an der Innenstadt, aber auch ein eigenes Dorf. Wir haben direkt neben einem Bauernhof gewohnt.

Sie haben im Alter von zwei Jahren mit Geigespielen angefangen und sind inzwischen Multi-Instrumentalistin. Mit welchen Instrumenten trauen Sie sich auf die Bühne?

Gesang, Schlagzeug, Percussion, Gitarre, Klavier und Geige. Wobei die ersten beiden für mich aktuell am wichtigsten sind.

Am Schlagzeug sitzen Sie auch bei den Rockemarieche, mit denen Sie kölschen Rockabilly machen.

Das ist meine lokalste Band, wir sind alle aus Köln. Der Gesang ist auf Kölsch, aber wir spielen keine Karnevalshits, sondern eben in unserem Stil.

Alle kölschen Rockbands landen früher oder später im Karneval und kommen da auch nicht mehr raus.

Die Rockemarieche haben wir durchaus auch für den Karneval gegründet. Seit wir mit den Höhnern gespielt haben, gibt es viele Kontakte, und ich bin sehr gespannt, wie es mit uns weitergeht. Mit derselben Bandbesetzung spielen wir aber auch schon länger auf Englisch. Als „Peggy Sugarhill“ treten wir da häufig bei Rockabilly-Festivals auf.

Bei den Rockemarieche singen Sie zuweilen im Hintergrund. Wie gut ist Ihr Kölsch?

Nicht gut, muss ich zugeben. (lacht) Kölsche Lieder fielen mir schon in der Schule schwer. Letztens musste ich die Backing Vocals für „Elvis läv“ von den Bläck Fööss singen – oh weia!


Fotos: Costa Belibasakis

Dienstag, 22. September 2015

Coloniales (57)

Die Beschreibung einer kultischen Waschung durch Petrarca

Im Jahre 1333 besuchte der berühmte italienische Schriftsteller Köln. Es war der 24. Juni, Vorabend zum längsten Tag des Jahres, und was Petrarca bei seiner Ankunft am Rhein beobachtete, raubte ihm den Atem:

„Von Aachen kam ich nach Köln, das durch seine Lage, seine Bevölkerung und durch den Fluss sehr berühmt ist. Am Tag vor St. Johannes war’s – die Sonne neigte sich bereits ihrem Untergang zu, und alsbald führten mich meine Freunde zum Ufer, wo ich ein prächtiges Schauspiel bewundern konnte. Das ganze Ufer war mit einer unermesslichen Menge Frauen bedeckt. Ich staunte. Gütiger Gott, was für schöne Gestalten, Gesichter, Kleider! Wer das Herz von anderen Leidenschaften frei gehabt hätte, konnte sich da verlieben. Ich hatte mich an einem etwas erhöhten Ort aufgestellt, und ich sah sie nacheinander alle in ihren Festgewändern. Frauen in lebhafter Erregung, manche mit duftenden Kräutern bekränzt, die Ärmel hatten sie bis zu den Ellbogen aufgestreift. Sie badeten im Fluss die Hände und die weißen Arme und murmelten dabei in ihrer mir unbekannten Sprache, ich weiß nicht was für Worte. Man sagte mir, das sei ein uralter Brauch, und das Volk sei fest davon überzeugt, alles drohende Unheil des ganzen Jahres spüle die Waschung am Fluss an diesem Tag hinweg.“


Verschiedene Quellen belegen, dass sich der Brauch der rituellen Waschung vor der Sommersonnenwende in Köln bis ins 19. Jahrhundert hielt.

Eine unermessliche Menge: Hochwasser in der Altstadt




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Mittwoch, 16. September 2015

Kölner Interviews (38): Leena Günther, Sprinterin

Leena Günther wurde 1991 in Köln geboren und machte ihr Abitur am Apostelgymnasium. 2002 begann sie mit der Leichtathletik, ihr erster größerer Titel war die Deutsche B-Jugendmeisterschaft 2008 über 100 Meter. Zahlreiche weitere Jugendmeisterschaften folgten. 2012 siegte sie als Startläuferin mit der 4x100 Meter-Staffel bei den Europameisterschaften. Im selben Jahr qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele in London, wo sie, ebenfalls mit der Staffel, einen guten 5. Rang belegte. Nach einer längeren Verletzungspause intensiviert sie zur Zeit ihr Medizinstudium.
Wir sitzen in einem Café im hintersten Braunsfeld. Leena Günther wirkt trotz ihres athletischen Körpers beinahe zierlich. Ihr Getränk heute, für dieses Interview zwischen Schreibtisch und Einkauf: Pfefferminztee.

Foto: Thilo Schmülgen

Sind Sie derzeit Leistungssportlerin oder Medizinstudentin?

Zweiteres. Ich war verletzt, habe ein halbes Jahr nicht trainiert und erstmal mein Studium wieder aufgenommen.

Und wie geht das weiter mit Ihnen?

Das weiß ich noch nicht genau. Momentan sehe ich mich nicht wieder im Leistungssport, aber ich würde jetzt schon gern mein Studium fertig kriegen.

Sie sind 24, steinalt quasi.

Ja, megaalt. (lacht) Und rund drei Unijahre habe ich noch vor mir. Irgendwann hat man genug von Vorlesungen, Klausuren und unbezahlten Praktika.

Was würde es bedeuten, noch einmal sportlich anzugreifen?

Reizvoll wären natürlich die Olympischen Spiele in Rio 2016. Aber da käme sehr viel Arbeit, eine unheimliche Plackerei auf mich zu. Außerdem ist es nicht gerade wahrscheinlich, dass ich nach der Pause innerhalb kurzer Zeit wieder an die Spitze anknüpfen kann.

Die 4x100 Meter-Staffel der Frauen ist bei der gerade vergangenen WM Vierte geworden. Haben Sie die Wettkämpfe verfolgt?

Nur einzelne Highlights. Die Sprint-Endläufe der Männer und Frauen habe ich gesehen, klar.

Bei Fußball-WMs werden immer mal wieder neue Taktiken und Systeme eingeführt. Ist Ihnen auch in Ihrer Disziplin eine Weiterentwicklung aufgefallen?

Im Hundertmeterlauf ist ja nicht viel mit Taktik. (lacht) Da heißt es „Renn, so schnell du kannst.“ Jenseits dessen werden ein paar Psychospielchen betriben.

Als da wären?

Es kommt schon mal drauf an, dass du deinen Gegnerinnen vor dem Start in die Augen siehst: Wer kann länger, wer guckt grimmiger?

Gefallen Ihnen solche Typen wie Usain Bolt?

Der Sport braucht solche Typen. Stars wie Bolt sind gut für die Popularität unserer Sportart.

Aber?

Ich bin halt gar nicht so. (lacht)

Als kölsches Mädchen müssten sie doch ausladende Gesten wie Bolts Siegerpose draufhaben.

Ich habe mich nie so empfunden, aber okay: Vielleicht steckt´s irgendwo in mir drin.

Warum sind Sie eine Leena mit zwei e?

Das ist die schwedische Schreibweise. Wir haben dort Vorfahren, und meine Name soll an sie erinnern.

Wenn Sie heute nochmal klein wären, würden Sie womöglich mit Fußball anfangen.

Fußball ist tatsächlich dominant, aber mein Ding wäre das nicht. Zum einen ist der Frauenfußball nun auch nicht so groß, und zum anderen habe ich überhaupt kein Talent für Ballspiele.

Aber beim Nachlaufen in der Pause haben Sie alle abgehängt?

Ja. Und die Ehrenurkunde bei den Bundesjugendspielen basierte auch immer auf dem Sprintergebnis.

Haben sie zum Laufen auch eine spirituelle Einstellung?

Naja, der Sprint ist halt sehr kurzlebig und weder entspannend noch meditativ. Der lebt vom Adrenalikick, davon, extrem fokussiert zu sein und in ein paar wenigen Sekunden das Maximum abzurufen.

Oder um, wie bei Olympia 1988 der Zehnkämpfer Jürgen Hingsen, nach drei Fehlstarts in der ersten Disziplin disqualifiziert zu werden.

Im Sprint hat man die Fehlstartregelung geändert - mit dem ersten scheidest du aus. Früher wurden Fehlstats gern auch taktisch eingesetzt, um die Konkurrenz zu verunsichern und in ihrer Konzentration zu stören.

Gab es Nationen, die bevorzugt zu solchen Mitteln griffen?

Es waren schon auffällig oft Amerikaner. Die haben einfach eine andere Einstellung zum Sport, da herrscht ein viel stärkeres Konkurrenzdenken.

Leichtathletik hat etwas sehr Archaisches. Für unsere Vorfahren war Laufen, Springen und Speerwerfen lebenswichtig.

Das sind genau deswegen auch olympische Kernsportarten. In diesen Disziplinen haben sich die Menschen schon immer gemessen. Auch Kinder testen früher oder später aus, wer am weitesten werfen oder springen kann.

Im Gegensatz zu etwa Beachvolleyball?

Genau, spiele ich zwar gern, ist aber nur eine ausgedachte Sportart, keine natürliche.

Konnten Sie Ihre natürliche Schnelligkeit schonmal im Alltag brauchen?

(lacht) Höchstens, wenn ich mal der Bahn hinterherrennen muss. An sich bin ich allerdings ein eher fauler Mensch.

„Loal rennt“ ist folglich nicht Ihr Lieblingsfilm?

Da geht es ja nicht um Speed, sondern um Ausdauer. Langlaufen ist für mich die schlimmste vorstellbare Strafe.

2012 wurden Sie Europameisterin mit der Staffel und nahmen an den Olympischen Spielen in London teil. Was war für Sie im Nachhinein das bedeutendere Ereignis?

Schwierig, aber wenn ich mich entscheiden muss: Olympia.

Warum?

Olympia findet nur alle vier Jahre statt, alle Sportarten und Nationen sind versammelt. Man wohnt zusammen in einem Dorf, und die Medien machen einen Riesen-Hype um das Ganze. Jeder Sportler seit den alten Griechen träumt davon, mal an Olympia teilzunehmen.

Wer war der größte Star, dem Sie dort die Hand geschüttelt haben?

Ach, man will ja nicht aufdringlich sein. Außerdem hat das auch mit dem eigenen Stolz zu tun. Wir sind ja alle Sportler, man ist nicht weniger wert, nur weil man weniger Kameras um sich hat. Außerdem wohnen die ganz Großen, wie Bolt, gar nicht mit im Dorf, sondern separat im Hotel.

In London lief Ihre Staffel auf den 5. Rang. Bekommt man da ordentlich Kohle?

Ich habe eine Urkunde bekommen. Und danach auch ein bisschen Geld über die Deutsche Sporthilfe. Reich kann man damit aber nicht werden.

Und deshalb werden Sie jetzt Sportmedizinerin?

Sportmedizin werde ich wohl bleiben lassen. Die Sportmedizin sorgt doch letztlich dafür, dass Leute, die ihren Körper aufs Äußerste strapaziert haben, noch ein paar Schritte weitergehen können. Außerdem habe ich ja schon genug Sport in meinem Leben getrieben, da möchte ich auch mal etwas anderes machen.

Das klingt wie: Sport ist ungesund.

Nicht Freizeit-, aber Leistungssport ist ungesund, definitiv! Zu dieser Erkenntnis hat mir auch der nun halbjährige Abstand verholfen.

Was sind die spezifischen Probleme der Leichtathletik?

Vor allem die orthopädischen Strukturen: Sehnen, Bänder, Gelenke. Viele Kolleginnen haben Rücken-, Fuß- und Kniebeschwerden, die sehr hartnäckig sind.

Nimmt man während so einer Pause vom Leistungssport eigentlich ab oder zu?

Ich habe mich gut gehalten. Meine Muskeln habe ich mir über Jahre antrainiert, so schnell bauen die sich nicht ab.

Sie haben Tee statt beispielsweise Kakao bestellt.

Aber ohne großen Hintergedanken. Ich lebe nicht in Dauerdiät, sondern esse auch gern mal Schokolade.

Welche?

Vollmilch, die Marke ist mir egal. Kann auch ruhig von Aldi sein.


Mittwoch, 9. September 2015

Thekentänzer (92)

Marion und Mareike

Der Ventilator ächzt unter seiner Last aus Staub und toten Insekten. Draußen laufen die Heiratswilligen vorbei. Drinnen sitzen die, die alles hinter sich haben. Und so Typen wie Tommi und Thorsten.
Tommi stottert mimimittelstark, und er ist vom kleinen Finger bis zum Hals tätowiert. Es dominieren FC-Insignien, vom Geißbock auf Hinterbeinen bis zu einem anrührend anfängerhaft gestochenen „Tünn der Größte“ auf dem Unterarm.
„Beim HSV letztens bin ich abgehauen“, erzählt Tommi beim ersten Kölsch. „Wir vorm Spiel auf der Reeperbahn, 50 Leute, aber die Hamburger bestimmt 300. Ich also in sone Kneipe rein und hinten wieder raus. Da war nichts zu machen, aber das kriegen die wieder, die Schweine.“
Thorsten – lang, spindeldürr, hohlwangig – nickt mit glühenden Augen. Und antwortet: „Wenn ich keine Freundin hätte ...“
„Schwad d´r doch kein Zerrung, ey! Fußball kommt vor Frauen, das weiß doch jeder. Nur du nicht, du Schwuchtel.“
Zwischen dem fünften und zehnten Bier erzählt Tommi von seinem Job als Gabelstaplerfahrer: „Sagt der Chef letztens: ´Ich brauch dich in der Frühschicht. Der Ali fährt mir doch alles kaputt.´ Dabei würd ich am liebsten nur Spätschicht machen.“
Er räkelt sich und hebt zwei Finger gen Wirt. „Auspennen, malochen und abends paar Bier, verstehste.“
Thorsten versteht. Sagt aber: "Wenn ich nicht die Marion ...“
„Boah, Alter!“
Ab dem 15. Kölsch darf auch Thorsten den ein oder anderen Satz einwerfen. Deutlich wird, dass ihm zuhause ein Quantum Ärger bevorsteht, wenn er nicht bald abzischt. Als er sich endlich fortmacht, strömt ein brutaler Schwall heiße Luft in den Raum. Tommi krempelt sein T-Shirt hoch bis zur Schulter und legt dabei ein weiteres Tattoo frei: ein Herz, darin der Name Mareike. Darunter: eine Träne.
Als ich ihn darauf anspreche, scheint er kurz aufzuweichen, antwortet dann jedoch so unwirsch wie möglich: „Denk, was du willst. Aber meine Dauerkarte hatte ich damals schon.“

Wo passt hier eine Frau hin?

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Mittwoch, 2. September 2015

Coloniales (57)

Worauf man bei der anstehenden Wahl achten sollte

Die kölsche Parteienlandschaft ist so bunt wie ein schwarzes Quadrat von Kasimir Malewitsch. Stellen Sie sich einen Wurf Babyhamster vor, und versuchen Sie, diese Tierchen auseinanderzuhalten: Genauso schwer wird Ihnen die Differenzierung der hiesigen Parteien fallen!
So nah man sich im Kölner Rat ist, so promiskuitiv sind auch die Verhältnisse untereinander. Niemand, der hier nicht schon mit jedem anderen im koalitionären Lotterbett gelandet wäre. Geht solch ein Fisternöllche in die Brüche, fällt schon mal ein hartes Wort aus verletzter Eitelkeit. Aber im Grunde geht man am Rhein sehr pfleglich miteinander um. Unter der warmen kölschen Decke verschmilzt man miteinander wie die Eisklötzchen im Baileys.


Unterscheiden leicht gemacht

Differenzen zwischen den Parteien werden zuweilen im Detail sichtbar. Nehmen wir an, ein bislang brachliegendes städtisches Grundstück soll bebaut werden. Die Pläne der einzelnen Parteien sehen dazu wie folgt aus:

CDU: Ansiedlung eines US-amerikanischen Autokonzerns.
SPD: Ansiedlung eines japanischen Hightechkonzerns.
FDP: Falls wir zum Zeitpunkt der Beschlussfassung mit der SPD koalieren, unterstützen wir den SPD-Vorschlag. Falls nicht, den von der CDU. Sollten wir gerade mit keiner der genannten Parteien zusammenarbeiten, sind wir für eine Aussetzung des Verfahrens bis zu unserem Wiedereintritt in eine mehrheitsfähige Regierung.
Grüne: Aufbau einer mit regenerativer Energie betriebenen Begegnungsstätte für Menschen mit Migrationshintergrund und angeschlossener Behindertenwerkstatt.
Linke: Aufbau einer mit regenerativer Energie betriebenen Behindertenwerkstatt mit angeschlossener Begegnungsstätte für Menschen mit Migrationshintergrund.
Nazis: Haupsache kein Asülantenheim oder Moschee oder Kebapude oder so.

Am Ende wird dann Folgendes beschlossen werden:
Auf dem Gelände entsteht die Dependance eines multinationalen Hightechkonzerns, der auf Autosoftware spezialisiert ist. Der Pförtner ist gehbehindert, die Putzfrau hat einen Migrationshintergrund, und die Parkplatzschranke wird mit Solarenergie betrieben. Weil die Beschlussvorlage einige grammatikalisch komplizierte Passagen enthielt, haben auch die Nazis aus Versehen zugestimmt.


Nazi-Wahlplakat zur Rettung des Deutschtums:
"Ich bin eine doitsche Bokkwursd"



Der Text ist ein Auszug aus: Ölle. Die Stadt am Niehr. Emons Verlag



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