Mittwoch, 24. September 2014

Thekentänzer (77)

Wer Unglück haben soll, bricht sich den Finger im Hirsebrei

Dreimal schon ist er am Kneipenfenster stehengeblieben, hat schamlos durch die Scheibe geglotzt und ist dann weitergegangen. Jetzt jedoch tritt er ein. Direkt dem ersten Gast hält er die Hand hin.
„Kennen wir uns?“ fragt der.
„Na, d-du bist doch bei u-uns in der F-firma.“
„Nein, bin ich nicht. Und deswegen geb ich dir auch nicht die Hand.“
Der Typ trottet weiter zum Tresen, fast stolpert er über den Stehring.
„K-kann ich hier mit K-Karte bezahlen?“
„Ab 20 Euro“, sagt der Kellner.
„D-du meinst, ich m-m-muss hier für 20 Euro saufen.“
„Naja, nur wenn du mit Karte bezahlen willst.“
Der Stotterer senkt den Kopf, schwer zu sagen, ob er nun angestrengt nachdenkt oder völlig desolat ist. Mit der Rechten zieht er sein Portemonnaie aus der Hose, öffnet es aber nicht. Stattdessen scheint er es einhändig zu kneten, auszuwringen, aber nein, da steckt kein einziger Cent mehr drin. Dann besinnt er sich:
„Wer U-Unglück haben soll, bricht sich den F-finger im Hirsebrei, sagt meine Mama immer.“
„Da hast du aber ne lustige Mama“, entgegnet der Kellner und spült ein paar Gläser. Eins davon füllt er mit Kölsch und stellt es dem Stotterer hin:
„Für deine Mutter“, sagt er.
Hatte auch einen Sprachfehler: Majas Freund Willi

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Mittwoch, 10. September 2014

Interviews (28)

Heute: Abraham Lehrer, Kölner Synagogengemeinde

Abraham Lehrer wurde 1954 in New York geboren und kam mit sechs Wochen nach Köln. Nach dem Abitur auf dem Apostelgymnasium studierte er Chemie. Seit knapp dreißig Jahren betreibt er eine Firma für kaufmännische Software.
Neben seiner Rolle im Vorstand der Jüdischen Synagogen-Gemeinde Köln hat er weitere Ämter inne. Unter anderem ist er Vorsitzender der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) und Mitglied im Präsidium des Zentralrates der Juden in Deutschland. Außerdem sitzt er im Beirat für den Bau der Kölner Zentralmoschee.
Der Vater zweier erwachsener Kinder wohnt mit seiner Frau in Müngersdorf.

Vor der Synagoge Roonstraße steht wie immer ein Polizeiauto. Um hineinzugelangen, muss man angemeldet sein, passiert sodann eine Schleuse und zeigt seinen Personalausweis vor. Köln anno 2014.

Sind Sie als Vorsitzender der Jüdischen Synagogen-Gemeinde eine Art Religionspolitiker?

Zunächst einmal bin ich nicht der Vorsitzende. Wir leisten uns seit Jahrzehnten den Luxus, keinen Vorsitzenden zu haben.

Sie sind also ein sozialistisches Kollektiv?

(lacht) Ganz genau! Aber im Ernst: Was religiöse Fragen angeht, unterstellen wir uns in Köln dem Rabbiner, obwohl er letztlich ein Mitarbeiter der Gemeinde ist. Alles was mit Politik, Sozialem oder Verwaltung zu tun hat, entscheidet der Vorstand in Absprache mit dem Gemeinderat.

Was ist daran kölnspezifisch?

Es gibt Gemeinden, wo der Vorstand ins Religiöse hineinredet. Das findet in Köln so gut wie gar nicht statt.

Weil Sie so einen starken Rabbi haben?

Ja, und weil wir einst beschlossen haben, ihm freiwillig zu folgen.



Im beruflichen Leben vertreiben Sie Software und sind Kaufmann. Hilft Ihnen das bei der Vorstandsarbeit in der Synagogen-Gemeinde?

Absolut! Wir haben hier 150 Mitarbeiter und ein recht hohes Budget zu verwalten. Ohne gewisse kaufmännische Kenntnisse geht das nicht.

Gibt es so etwas wie einen interreligiösen Stammtisch, an dem Sie die Vertreter der christlichen und muslimischen Gemeinden Kölns treffen?

In dem Sinne nicht, aber man trifft sich doch häufig bei städtischen, kulturellen oder politischen Veranstaltungen.

Ich war zuletzt in einem Eifelstädtchen, in dem bis zur Progromnacht 1938 das katholische, evangelische und jüdische Gotteshaus auf 50 Metern nebeneinander lagen.

Auf kleinstem Raum haben wir das in Chorweiler. Am Pariser Platz finden Sie die evangelische und katholische Kirche, deren ehemaligen Pfarrsaal wiederum die jüdische Gemeinde übernommen hat. Knapp außerhalb des Zentrums sind dann auch die Muslime angesiedelt.

Noch immer dominierend in Köln ist die katholische Kirche. Werden Sie dort ernstgenommen?

Durchaus. Mit Kardinal Meisner haben wir uns ein bis zwei Mal im Jahr getroffen, um anstehende Fragen zu besprechen.

Und wie ist der Kontakt zu den Muslimen?

Wir haben einen recht guten Draht zur DITIB. Auf deren Wunsch hin sitze ich zum Beispiel auch im Beirat für den Bau der Zentralmoschee. Außerdem organisieren wir regelmäßig - auch mit den christlichen Kirchen zusammen - gemeinsame Jugendaktivitäten.

Es gab und gibt ein Kölner Judentum. Gab es auch ein kölsches Judentum?

Bis 1933/38 gab es das. Nehmen wir das ehemalige „Jüddespidol“, das jüdische Krankenhaus in der Ottostraße. Das war auch ein Anlaufpunkt für in Armut lebende Kölner Christen. Weil sie wussten, dass sie dort ohne Krankenschein und Rechnung behandelt wurden. Das Judentum hat sich also nie ghetto-artig abgekapselt, sondern lebte mitten in der Stadt, mit allen anderen Bürgern.

Wo trafen sich kölsche und jüdische Kultur noch?

Ich denke, das Miteinander war früher wesentlich normaler. Jüdische Feiertage etwa wurden von den Menschen als Teil des Alltags wahrgenommen. Heute bekommt man sie nur noch mit, weil sich das Polizeiaufgebot vor unserer Synagoge erhöht.

Gibt oder gab es so etwas wie koschere Flönz?

(lacht) Leider nicht, Juden dürfen keine Blutprodukte essen. Wobei die jüdischen Speisevorschriften, die Kaschrutgesetze, recht kompliziert sind.

Wieviel Prozent der Kölner Juden halten sich daran?

Ich schätze, es sind höchstens drei Prozent, die sie vollständig beachten. Allerdings essen auch die anderen sicherlich keine Blutwurst.

Mit dem Ende des Kommunismus kamen 120.000 Juden aus den GUS-Staaten nach Deutschland, davon etwa 3.500 nach Köln. Sind diese Menschen besonders gläubig?

Das hängt sehr von ihrem Aufwachsen ab: Wo hatten Großeltern überlebt, die den Kindern jüdische Traditionen vermitteln konnten? Und in welchen Gegenden des Ostblocks war es erlaubt und möglich, jüdische Traditionen zu leben.

Wie stark empfinden sich die Zuwanderer als Teil der Jüdischen Gemeinde Köln?

Wir haben hier zum Beispiel einen Maccabi-Sportverein, dem die Zuwanderer viel Zulauf bescheren. Auch die Angebote der Gemeinde werden sehr intensiv genutzt, deshalb haben wir auch die beiden Begegnungszentren in Porz und Chorweiler eröffnet. Ursprünglich hatten wir diese Menschen auch hier in die Roonstraße holen wollen, aber das war ein Fehlversuch.

Das scheitert ja schon an der KVB.

Ja, von Porz bis hier braucht man rund eine Stunde für einen Weg, das ist zu viel. In Chorweiler haben wir nun täglich rund 300 Menschen, die Gemeindeangebote nutzen.

Die Kölner Jüdische Gemeinde gilt als die älteste nördlich der Alpen. Woher kamen die allerersten Kölner Juden?

Man geht davon aus, dass sie sich im Gefolge der römischen Eroberer über Europa verteilten, vor allem in den größeren Ansiedlungen wie eben Köln. An der wirtschaftlichen Entwicklung der Colonia Claudia Ara Agrippinensis hatten mit Sicherheit auch Juden ihren Anteil.

Ihre Gemeinde ist - dezent - für ein Jüdisches Museum in Köln. Ließen sich auch diese frühen Wurzeln des Kölner Judentums in solch einem Museum abbilden?

Ich denke, die Exponate der Kölner Museen versetzen Köln in die Lage, nicht nur eines von vielen Holocaust-Museen aufzubauen. Sondern das jüdische Leben in dieser Stadt über fast 2000 Jahre zu dokumentieren.

Ich war kürzlich im Berliner Jüdischen Museum: Großartige Architektur, eine beeindruckende Ausstellung. Glauben Sie, Köln könnte auch so etwas hinbekommen?

Die Kombination von Architektur und Exponaten in Berlin lässt den Besucher sehr bedächtig dort hindurchgehen. Ich würde mir für Köln ein Museum wünschen, durch das die Menschen auch sich unterhaltend und scherzend gehen können. Es soll eben nicht nur die Shoah abbilden, sondern das einstige Kölner jüdische Leben in all seinen Facetten. Jüdisches Leben war Teil dieser Stadt, und das muss in so einem Museum deutlich werden.

In Köln hält man sich gern für liberal und tolerant, für irgendwie besonders. Ex negativo: Gab es einen spezifisch kölnischen Antisemitismus?

Wenn Sie mich fragen, war hier nichts anders als in anderen Städten. Ob Sie beim Karneval oder bei der Stadtverwaltung anfangen: Antisemitismus gab es überall, wie in Düsseldorf oder Berlin. Ob die Nazi-Übernahme eventuell drei Tage später stattgefunden hat, ist irrelevant.

Und wie sieht es heutzutage aus?

Gottseidank haben wir in Köln bislang keine gewaltsamen Übergriffe gegen Menschen erlebt, schon lange nicht mehr. Aber daraus würde ich nicht den Schluss ziehen, dass Köln toleranter, aufgeschlossener sei als andere Städte.

Der Gazakonflikt geht mit zunehmendem Antisemitismus einher. Inwiefern reicht dieser Konflikt bis nach Köln und in Ihr Leben hinein?

Sowohl im Beruf als auch im Privaten werde ich sehr häufig darauf angesprochen. Die Fragen etwa nach getöteten palästinensischen Zivilisten werden manchmal allzu schnell und unreflektiert gestellt. Manchmal ist die Fragestellung überaus einseitig und kritisch. Und manchmal auch schlicht antisemitisch.

Sie sind in Köln aufgewachsen und durch Ihre berufliche und ehrenamtliche Arbeit hier gut vernetzt. Sehen Sie sich, nach 60 Jahren, eher als jüdischer Kölner oder als Kölner Jude?

Ich sage immer: jüdischer Kölner.

Und auf dem Hintergrund dieses Bekenntnisses: Sprechen Sie besser Hebräisch, Jiddisch oder Kölsch?

Hebräisch und Jiddisch spreche ich etwa gleich gut. Oder gleich schlecht, wie man es nimmt. Mit meinem Kölsch hingegen ist es leider nicht weit her.




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Mittwoch, 3. September 2014

Thekentänzer (75)

Gabriela und die Saturn-Sonderangebotsbeilage

Später wird sie mir erzählen, dass sie mit diesem Schwachkopf
schon drei Jahre zusammen ist.
„Unglaublich“, werde ich sagen,
„trenn dich von dem.“

Aber vorerst sitzt sie mit ihm am Nebentisch und blättert
- also: er blättert -
in der Sonderangebotsbeilage vom Saturn.
„Die Kiste krieg ich im Internet 200 Ocken billiger“, sagt der Typ, er
nennt sich Coco.
„Und das scheiß Teil da kannste nichma deinen Polacken andrehen.“
Dabei kuckt er Gabriela höhnisch grinsend an. Und
sie lächelt zurück.

Ein paar Bier später stehe ich
vor einem der Urinale auf der Herrentoilette, und Coco tritt ein.
Er trägt eine weiße Bundfaltenhose und hat das Handy am Ohr: „Mach dir
keine Sorgen“, sagt er zu irgendwem, vor dem er Angst hat.
„Mach dir keine Sorgen, du kriegst die Kohle spätestens Mittwoch.“
Heute ist Dienstag, und Cocos Gesicht
ist eine Sanktnimmerleinstagvisage.

In den nächsten zwei Stunden erklärt er Gabriela, wie man
den HiFi-Markt aufmischt und Millionär wird.
„Dann kannste auch deine kleine Schwester rüberholen“, sagt er und
wieder lächelt Gabriela.
Aber die Art, wie sie 
an ihm vorbei in die Ferne des Schnapsregalspiegels blickt,
verrät natürlich alles.

Als Coco das nächste Mal auf dem Klo telefonieren geht,
trinken Gabriela und ich einen polnischen Wodka.
Schönes kleines Geheimnis. Eigentlich
trink ich aber lieber Korn.

Im Saturn sind inzwischen die Gitter runtergegangen. Wolfgang Niedecken
schläft.
Grönemeyer schläft. Und
ob die Stones morgen nochmal aufwachen ...

Coco, und jetzt wird es spannend:
Ist verschwunden.
Klo.
Handy.
Und weg.

Noch später werden Gabriela und ich
in eine andere Kneipe gehen.
Irgendwo zwischen
Plusquamperfekt und
Futur Zwei.

Frauen sind gefährlich

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