Mittwoch, 31. Dezember 2014

Coloniales (49)

Düüvel em Jepäck
(zu singen auf die Melodie von „Devil in Disguise“)


Do bes staats wie ne Engel
Un do schwaads wie ne Engel
Mähs dich parat wie ne Engel
ävver mich nit jeck
Do häs d´r Düüvel em Jepäck
Oh jo, do häs
D´r Düüvel em Jepäck.

Do mähs mich raderdoll
Wo do och jeihs un steihs
Doch Baby, ich han de Nas jetz voll
Do bes janz anders als do deis.

Do bes staats wie ne Engel
Un do schwaads wie ne Engel
Mähs dich parat wie ne Engel
ävver mich nit jeck
Do häs d´r Düüvel em Jepäck
Oh jo, do häs
D´r Düüvel em Jepäck.

Ich daach ich wör em Himmel
Daach do wörs minge Schatz
Dä schnieke Prunz om wieße Pääd
Doch die Hätz es raveschwazz.

Do bes staats wie ne Engel
Un do schwaads wie ne Engel
Mähs dich parat wie ne Engel
ävver mich nit jeck
Do häs d´r Düüvel em Jepäck
Oh jo, do häs
D´r Düüvel em Jepäck.

Staats wie ne Engel (Hochdeutsch: Schick/Propper wie ein Engel)


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Donnerstag, 25. Dezember 2014

Thekentänzer (84)

Wodka Doris Kölsch

Doris hat mit Anfang 40 ihr
zweites Kind bekommen und gestern abgestillt. Jetzt sitzt sie
an ihrem dritten Kölsch-Wodka-Gedeck.

„Mit dem Erzeuger war ich nie zusammen“, sagt sie, „der
war nur so ne Art Unfall.“
„Ein Kölsch-Wodka-Unfall“, hängt sie an.

Vorher hat sie erzählt, dass sie eigentlich
Lehrerin ist und auch irgendwann wieder arbeiten will.
Und dass sie in Kerpen wohnt, „ganz weit im Nordwesten von Köln.“

Beim fünften Gedeck fängt der Scheiß mit den Musikwünschen an: „Was von
Chris Rea“, und ab dem sechsten
schimpft sie über Männer.

Trotzdem finden sich im Laufe des Abends
verschiedene Y-Chromosomen, die Doris den Hof machen. Einer
behauptet sogar, mit ihr mal auf dem Schulhof rumgeknutscht zu haben. Aber

immer kurz vorm nächsten Kölsch-Wodka-Gedeck
vertreibt Doris die Verehrer, und wenn du mich fragst, so als unbeteiligter
Kellner: ziemlich brüsk.

Mit ihrem siebten Gedeck steigt sie
in eine Würfelrunde ein und akzeptiert beim Schocken keine einzige Summe,
die die anderen ihr vorrechnen.

Parallel zu ihren Protesten verlangt sie lautstark nach
„was von Chris Rea, oder du zählst die Gänseblümchen von unten.“
Ich mag Chris Rea.

Aber ich erfülle keine Musikwünsche.

Doris verliert die erste Runde und ordert mürrisch,
was die anderen trinken wollen. Mitten in der zweiten
fällt sie vom Hocker und schlägt hart auf. Naja,

hilft ihr direkt einer.

Schöner Moment, irgendwo zwischen „Josephine“ und „Road to Hell“

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Mittwoch, 17. Dezember 2014

Interviews (31)

Der Gänsezüchter Manfred Viander

Zur Person
Manfred Viander wurde 1967 in Köln geboren. Nach dem Abitur absolvierte er eine Lehre zum Versicherungskaufmann und arbeitete anschließend zwölf Jahre bei einer Versicherung als Spezialist in der Unternehmensberatung. 2000 heiratete er in einen Bauernhof ein und entdeckte seine Leidenschaft für die Landwirtschaft. 2002 übernahmen die Vianders den elterlichen Hof und spezialisierten sich auf die Gänsezucht. Außerdem betreiben sie einen kleinen, feinen Hofladen mit weiteren Geflügelspezialitäten.
Manfred Viander lebt mit Frau Britta und Sohn Louis in Hürth-Sielsdorf.
Weitere Informationen: www.sielsdorfer-gaensehof.de

Manfred Viander hat eine beeindruckende Umsteiger-Karriere absolviert: vom Versicherungskaufmann zum Gänsezüchter. Während von der Wiese her die rund 1000 Gänse schnattern, haben wir in seiner Küche Ruhe für ein paar fachmännische Worte über das Federvieh.

Wenn so eine Gans ihre Biografie schriebe: Wie fiele die aus?

Im Mai bin ich geschlüpft und wurde zum Sielsdorfer Gänsehof gebracht. Dort verlebte fünf Wochen in einem 30 Grad warmen Küchenstall, wo ich leckeres Naturfutter bekam. Obwohl mich statt Federn noch immer nur Flaum wärmte, durfte ich im warmen Juni zum ersten Mal ins Freie. Meine Welt auf dem Hof bestand aus einer riesigen Wiese und einem Teich zum Baden.

Ihre Gänseküken werden also anderswo ausgebrütet. Wieso?

Die Zucht ist extrem aufwendig, vor allem die ersten zwei Monate. Das ist, als ob Sie ein kleines Kind hätten, und wir haben hier rund 1000 Gänse. Nebenher eine Brüterei zu betreiben, ist nicht zu schaffen. Da geht es um Klassifizierung, um Zuordnung der Ganter, Gänse und Eier, das kann nur ein Spezialist leisten.

Wie wurden Sie zum Gänsezüchter?

Eigentlich komme ich aus der Finanzwelt, habe aber in eine bäuerliche Familie eingeheiratet. Um 2000 herum gab es hier noch wenige Gänse, aber ich merkte mit der Zeit, wieviel Spaß mir die Aufzucht dieser Tiere macht.

Sie klingen, als wären Sie von Norddeutschland an den Rhein gekommen.

(lacht) Ich bin schon in Köln geboren, kann aber kein Kölsch. Meine Mutter stammt von Sylt, daher wohl die sprachliche Färbung.

Bezeichnen Sie sich heute als Bauer statt als Versicherungskaufmann?

Ja, ich bin Geflügelzüchter mit einer Spezialisierung auf die Gans. Und statt der Gänsemast betreibe ich eine artgerechte Aufzucht mit einem natürlichen Futtercocktail.

Was wird darin angerührt?

Das kommt auf die Jahreszeit an und aufs Wetter - je nach dem, ob die Gänse viel im Freien herumlaufen können. Für die Kohlenhydrate kommt Altbrot hinein, außerdem Zuckerrüben, Futterweizen und Mais. Vor allem der hat es in sich, da muss man gut dosieren.

Was muss eine Weihnachtsgans mitbringen, damit Sie sie hier verkaufen können?

Unsere Gänse leben auf 25.000 Quadratmetern. Die haben also viel Auslauf und können sogar schwimmen gehen, wann sie wollen. Deshalb sind sie sehr saftig, fleischig und deutlich muskulöser als Mastgänse. Es gibt das Vorurteil fetttriefenden Gänse, aber das trifft auf unsere Tiere sicherlich nicht zu.

Joggen Sie mit denen täglich übern Acker, oder wie werden die fit gemacht?

Die joggen von allein, weil sie eben genug Platz haben. Das liegt in deren Natur.

Was kann man bei der Zubereitung einer Gans falsch machen?

Dass man die Temperatur zu hoch stellt und sie übergart zum Beispiel. Bleibt die Gans zu lange im Ofen oder verwendet man Heißluft, trocknet sie aus. Deshalb haben wir für unsere Gänse ein spezielles Rezept entwickelt, das wir den Kunden mitgeben.

Sie züchten artgerecht, dennoch unterscheiden sich Ihre freien Gänse in mancher Hinsicht von den richtig wilden Zuggänsen à la Nils Holgersson.

Das beginnt bei der Körperform, Zuggänse sind viel schmaler und filigraner gebaut. Unsere hier verlieren auch ab einem bestimmten Gewicht ihre Flugfähigkeit, also mir haut hier niemand ab. (lacht)

Gans, Ente, Pute, Huhn, Truthahn - es gibt jede Menge essbares Geflügel. Wodurch sticht die Gans heraus?

Die Gans hat etwa gegenüber der Pute oder dem Hähnchen rotes statt weißes Fleisch, das zudem viel geschmackvoller ist. Ich schmecke aus dem Fleisch auch heraus, wie die Gans gefüttert wurde.

Sind Gänse intelligenter als andere Flattermänner?

(lacht) So weit bin ich noch nicht, dass ich das beurteilen könnte. Aber ich beobachte durchaus die Hackordnung unter den Tieren. Und weil Gänse untereinander sehr rabiat werden können, muss ich zuweilen auch eingreifen.

Zur Bestätigung dessen zeigt der Züchter auf einen abgetrennten Teil der Wiese, wo sich zwei drangsalierte Einzelgänger verlustieren. Auch Sie werden jedoch früher oder später in einem Bräter schmoren.

Essen wir nur Gänse oder auch Ganter?

Beides. Ganter sind schwerer und tragen mehr Fleisch, bei denen muss man noch mehr aufpassen, dass sie nicht zu fett werden. Aber geschmacklich gibt es keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern.

Geben Sie Ihren Gänsen Namen?

Nein, so viele könnte ich mir nicht merken.

Sie entwickeln also kein persönliches Verhältnis zu den Tieren?

Nein, das fände ich auch ein bisschen makaber. Aber im Sommer setze ich mich gern an den Teich und schaue den Gänsen beim Plantschen zu.

Töten Sie selbst?

Manchmal schon, denn ich muss immer mal wieder neue Leute einarbeiten. Die Tiere werden zunächst durch einen Kopfschlag betäubt. Wichtig ist, diesen Schlag professionell durchzuführen, dafür braucht man einen regelrechten Sachkundenachweis.

Was kann falschlaufen?

Das Tier darf keinerlei Stress empfinden. Sonst stellen sich die Federn auf, und später bekommt man sie dann schlecht aus dem Fleisch gezupft. Wenn die Kiele in der Haut stecken bleiben, ist die Gans kaum noch verkäuflich.

Haben Sie in der Hinsicht mal etwas Trauriges erlebt?

Nicht in Bezug auf Gänse. Aber beim Saubermachen der Futtertröge habe ich mal ein verwaistes Spatzenküken gefunden. Das habe ich dann acht Wochen lang aufgepäppelt, habe mir eine Futterspritze besorgt und bin alle zwei Stunden nachts aufgestanden. Zum Dank dafür wurde der Spatz sehr anhänglich und verbrachte viel Zeit auf meiner Schulter.

Bis hierhin wirkt das wie eine klassische Weihnachtsgeschichte.

Aber dann kam jener Tag, da wir im Garten grillten und sich der Spatz von der Schulter auf meinen Fuß setzte. Als ich irgendwann aufstand, habe ich ihn übersehen und bin auf ihn getreten. Es war schrecklich, ich habe geknatscht wie ein kleiner Junge.

Sie leben in einem Dorf ohne Schule und Kirche, ohne Laden oder Büdchen und mit nur einer Kneipe. Klingt nach sozialem Brennpunkt.

Nein, Sielsdorf ist eher ein kleines, verschlafenes Nest, in dem es sehr beschaulich zugeht. Hier gibt es alljährlich eine Kirmes, ein Sommerfest und einen Martinszug - ich fühle mich sehr wohl hier.

Woher kommen die Kunden Ihrer Gänse und des kleinen Hofladens?

Aus Sielsdorf kommen eher wenige, aber dafür haben wir viele Kunden aus dem Bergischen hier. Die nehmen auch zwei Stunden Fahrtzeit in Kauf, um eine anständige Gans zu bekommen.

Und was halten Sie von der immer mal wieder aufflammenden Diskussion, Hürth nach Köln hin einzugemeinden?

(lacht) Ich glaube nicht, dass uns das hier irgendwelche Vorteile brächte. Aber mein alter Traktor hat noch ein Kölner Kennzeichen.

Mittwoch, 10. Dezember 2014

Geschichten aus 1111 Nächten (53)

Kölsch, katholisch, klug

Ein an sich sehr gläubiger Kölner war zu ein bisschen Geld gekommen und beschloss, zum ersten Mal in seinem Leben einen Skiurlaub zu buchen. Weil er nicht nur gottesfürchtig, sondern auch mutig war, jagte er schon am Ankunftstag eine schwarze Piste hinunter. Es kam, was kommen musste: Der Draufgänger stürzte in eine Schlucht, so gerade noch konnte er sich an einem dürren Strunk in der Steilwand festhalten. Seine Kraft ließ nach, der Busch begann zu knacken, also hob er die Augen zum Himmel und rief:
„Ist da jemand? Ist da jemand?“
„Ich bin hier, mein Sohn“, ertönte eine sonore Stimme. „Fürchte dich nicht, und lass den Strunk los. Meine Engel werden herbeigeflogen kommen und dich sanft zur Erde bringen.“
Der kölsche Kathole dachte nun einen Augenblick nach, und dann rief er:
„Ist da noch jemand?"

Manchmal hängt man ganz schön blöd rum

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Mittwoch, 3. Dezember 2014

Thekentänzer (82)

Doornkaat-Cola

Seit Tagen schon goss es so stark, dass die Schnecken ersoffen. Sugar hatte sich vorgenommen, ein Gedicht zu schreiben. Aber dann war er doch wieder bei Rosi gelandet.
„Du schon wieder“, begrüßte sie ihn, während er seinen Hocker besetzte.
„Der Himmel hängt voller Arschgeigen, Rosi“, gab er zurück. „Aber ich bin Trommler.“
Die Wirtin fragte sich nicht, was der Spruch bedeuten mochte. Das tat sie nie, schon gar nicht bei Sugar. Stattdessen nahm sie die Schnapsflaschen aus dem Regal und staubte ihnen die Hälse ab.
Sugar trank sein Bier, Rosi machte. Draußen starben die Schnecken.
So gegen halb 8 erschien ein zweiter Gast, kippte einen Doornkaat-Cola und verschwand wieder.
„Doornkaat-Cola“, murmelte Sugar. „Macht mich ganz melancholisch, das Wort.“
„Du wirst eben auch nicht jünger“, erwiderte Rosi.
Sugar zahlte seinen Deckel, ging zum Büdchen und kaufte sich eine Flasche Doornkaat. Dann ging er nach Hause und schrieb ein Gedicht über ersoffene Schnecken.


Ein echtes Schnäppchen

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Mittwoch, 26. November 2014

Coloniales (49)

Google-Meldungen an einem Tag im 2. Jahrzehnt des 3. Jahrtausends


„Bernd Imgrund“ 11.900
„Blühende Landschaften“ 160.000
„Currywurst“ 2.480.000
„Lukas Podolski“ 7.440.000
„Bibel“ 18.100.000
„Leverkusen“ 18.200.000
„Mick Jagger“ 18.200.000
„Karl Marx“ 19.900.000
„Sonne“ 27.000.000
„Maggi“ 29.300.000
„4711“ 37.700.000
„Freiheit“ 42.300.000
„Mond“ 58.800.000
„David Beckham“ 64.500.000
„Beethoven“ 65.600.000
„McDonalds“ 78.800.000
„Michael Jackson“ 119.000.000
„Picasso“ 124.000.000
„Superstar“ 135.000.000
„Shakespeare“ 145.000.000
„Beatles“ 150.000.000
“Düsseldorf“ 160.000.000
„Coca-Cola“ 169.000.000
„Köln“ 194.000.000

7.440.000 Meldungen

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Mittwoch, 19. November 2014

Thekentänzer (81)

Der Typ mit dem Blutdruckmessgerät

Eigentlich hatte ich gar keine Lust, mich zu unterhalten. Die Musik war gut, das Bier kalt, alles prima. Aber der Typ da neben mir ... Wie der stöhnte.
„Ich trage ein Blutdruckmessgerät“, sagte er wie zur Entschuldigung. „24 Stunden, alle paar Minuten eine Messung. Und wenn das Ding zweimal direkt hintereinander pumpt, waren die Werte schlecht.“
Nun fiel mir auch der Wulst unter seinem Jackenärmel auf. Das Gerät pumpte, die Luft entwich. Und dann pumpte es sofort noch einmal.
„Scheiße“, sagte der Typ und ging eine rauchen.

Wir werden alle alt

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Mittwoch, 12. November 2014


Interviews (30)

Heute: Abu Azaitar, Mixed-Martial-Arts-Kämpfer

Abu Azaitar wurde 1986 in Köln als Sohn marokkanischer Einwanderer geboren und wuchs in Dellbrück auf. Er besuchte eine Privatschule, die saudi-arabische König-Fahd-Akademie in Bonn. Nach dem Fachabitur glitt er in kriminelle Kreise rund um die Kölner Ringe ab, lieferte sich zahllose Schlägereien und landete schließlich für dreieinhalb Jahre im Gefängnis. Nach seiner Entlassung 2006 begann er mit Kampfsport und fand über das Thai-Boxen zum MMA - Mixed Martial Arts. Seit 2010 betreibt er den umstrittenen Sport professionell und führt inzwischen sogar die deutsche Rangliste an. Auch europaweit gehört der Kölner zu den Top-Ten-Athleten. Jenseits des Kampfrings absolviert er Benefiz-Veranstaltungen gegen Straßengewalt und führt u.a. Gewaltpräventions-Trainings durch.
Abu Azaitar wohnt in Weiden.



Abu Azaitar ist ein harter Bursche, der in diesem Altstadt-Café voller älterer Herrschaften auffällt. Harmlos hingegen seine Bestellung: ein Milchkaffee, ein stilles Wasser.

Jenseits Ihrer Kämpfe geben Sie Kurse zur Gewalt-Prävention. Was erzählen Sie dort den Teilnehmern?

Vor allem versuche ich zu vermitteln, dass Sport einen Menschen verändern kann, denn da geht es um Respekt und Disziplin. Und ich erzähle immer, dass man an sich glauben muss: Viele Menschen ahnen gar nicht, was für ein Potenzial sie haben.

Sie führen die deutsche Rangliste der Mixed Martial Arts (MMA) an. Was sind die Besonderheiten dieses Kampfsports?

Dass das von allem etwas ist. Du musst Judo-Techniken genauso beherrschen wie Thaiboxen oder Ringen. Aber auch Turnen und Yoga sollte man trainieren, man muss für MMA ungeheuer beweglich sein.

Warum finden MMA-Fights nicht im Ring, sondern in einem Käfig statt?

Die meisten Leute glauben, der Käfig soll das Spektakel verstärken: Da werden jetzt zwei Wilde aufeinander losgelassen, und nur einer kommt wieder raus. In Wirklichkeit schützt mich das Käfignetz davor, durch die Seile zu fallen. Und es hilft mir auch im Kampf bei der Stabilisierung, wenn mir zum Beispiel jemand an die Beine geht.

Ihr Kampfname ist „Gladiator“. Wo kommt der her?

(lacht) Den habe ich von meinem Bruder Omar. Er und auch später mein Trainer haben immer daran geglaubt, dass ein guter Sportler in mir steckt. Bei meiner ersten Veranstaltung habe ich dann fast ohne Vorbereitung und Erfahrung alles gewonnen, was zu gewinnen war. Und seitdem heiße ich so.

Was ist der Unterschied zwischen kämpfen auf der Straße und kämpfen im Ring?

Auf der Straße geht alles schneller. Da gibt´s keine Regeln, und es kommt auch nicht so sehr auf die Technik an. Wenn einer ein erfahrener Schläger ist, setzt der sich durch. Im Ring hingegen gibt es Regeln, Respekt und eine Kampfzeit, die eingehalten wird. Ich bevorzuge inzwischen ganz klar den Ring.

Fühlt es sich anders an, wenn man jemanden im Ring besiegt?

Na klar. Auf der Straße kriegst du keine Anerkennung, sondern Kopfschmerzen, Probleme und unter Umständen eine Anzeige. Ein sportlicher Sieg dagegen bringt dir Lob ein, davon wird berichtet, und du fühlst dich gut. Damit wird die harte Arbeit anerkannt, die du im Vorfeld geleistet hast.

Würde mich jemand schlagen, empfände ich das als Demütigung.

Ich genauso, auch im Ring lasse ich mich ungern schlagen. Aber ich habe einen gut funktionierenden Tunnelblick. Ich freue mich auf jeden Kampf im Käfig. Wenn der zugeht und der Refereee fragt, ob Blue und Red Corner bereit sind: Das ist ein großartiges Gefühl. Mike Tyson hat mal gesagt: Fürchte dich nicht vor Leuten, die was drauf haben, sondern vor denen, die daran Spaß haben.

Wie gehen Sie mit Niederlagen um?

Die muss man physisch, aber vor allem psychisch verkraften. Es gibt immer Neider, die einen danach schlechtreden. Vorher warst du vielleicht hoch angesehen und standest überall im Mittelpunkt, und plötzlich kommen sie aus allen Löchern und lachen dich aus. Aber man muss damit umgehen lernen und um so stärker zurückkommen.

Können Sie sich an ihre ersten Prügeleien als Kind erinnern?

(lacht) Ich und meine Brüder Omar und Khalid, wir haben uns immer geprügelt. Als dann unser jüngster Bruder Ottman größer war, haben wir auch gern zwei Gangs gebildet und gegeneinander gekämpft.

Und wie sah es in der Schule aus?

Nein nein, ich war brav. Ich habe höchstens mal ein Nutella-Brot erobert. (lacht)

Ihre Schule war die private König-Fahd-Akademie in Bonn. Hatten Sie Lieblingsfächer?

Na ja, in Chemie war ich ganz gut und natürlich in Sport. Aber ehrlich gesagt, ich habe auch in der Schule viel Mist gebaut. Eigentlich habe ich nur meinem Vater zu verdanken, dass ich Abitur gemacht habe. Der hat uns zwölf Jahre lang nach Bonn gefahren und nachmittags wieder abgeholt.

Stimmen die Knast-Klischees, die man aus Filmen kennt? Muss man sich dort körperlich durchsetzen?

Vor allem im Jugendknast geht es sehr hart zu, da herrscht eine brutale Hierarchie. Und das wird heutzutage immer schlimmer, nicht zuletzt wegen dem ganzen medialen Wahnsinn, den Jugendliche heute mitbekommen. Ultrabrutale Videospiele, echte Gewaltvideos, Pornografie: Das ist alles mit einem Klick zugänglich.

Und wie war´s bei Ihnen?

Als mein Bruder und ich 2003 einfuhren, haben wir schnell Kontakte aufgebaut. Eine unserer Rollen war, Beschützer für die deutschen Gefangenen gegenüber einigen skrupellosen Ausländergruppen zu sein.

Wie reagieren die Wärter und Anstaltsleiter auf solche Zustände?

Natürlich gibt es Strafen, wenn etwas auffliegt. Aber die meisten Gefangenen trauen sich nicht auszusagen, weil sie danach erst richtig Ärger kriegen würden. Und auch die Wärter kehren vieles unter den Teppich. Die sagen sich: Ich muss mit diesen Leuten unter Umständen drei, vier Jahre auskommen, das lasse ich jetzt so laufen, solange es nicht völlig eskaliert.

Ich war mal wegen eines Tischtennis-Wettkampfs in der JVA Siegburg, wo Sie auch eine Zeitlang gesessen haben. Das ist ein trostloses altes Backsteingebäude.

Ich bin psychisch sehr stabil. Aber der alte Teil von Siegburg ist wirklich eine Zumutung. Da hat man einfach keine Perspektive. Alles kreist um Verbrechen, alle um dich rum prahlen mit ihren Taten, und was da an Anti-Aggessionstraining läuft, ist alles nur Alibi. Allerdings gab es da auch einen Mann, dem ich viel verdanke: Karl-Heinz Lichtenberg, dem Sportkoordinator der JVA. Wir machen auch heute noch so manche Benefiz-Sache zusammen.

Haben Sie nach Ihrer Flucht aus Köln 2003 tatsächlich überlegt, in die Fremdenlegion einzutreten?

Ich war praktisch schon dabei, weil ich mir dachte, alles ist besser als in den Knast zu gehen.

Aber?

Der Mann hat mir im Einstellungsgespräch Dinge erzählt, über die er eigentlich hätte schweigen müssen. In der Fremdenlegion sind deine Kontakte zur Außenwelt komplett gekappt. Da wirst du zur Mordmaschine ausgebildet, die machen Sachen jenseits jeder Moral und Legalität. Also habe ich mich dann doch der deutschen Justiz gestellt. Auf dem Weg habe ich mir übrigens einen Fernseher gekauft, für meine Zelle. (lacht)

Sind Ihre Eltern als Gastarbeiter aus Marokko nach Deutschland gekommen?

Ja, vor mittlerweile über 40 Jahren. Ich hingegen bin ein echter Kölner: in Holweide geboren und in Dellbrück aufgewachsen.

Ein sehr bürgerliches Viertel eigentlich.

Ja, auf die schiefe Bahn bin ich erst später gekommen. Da wohnten wir schon in Weiden, auch ein sehr ordentlicher Vorort. Aber ich habe mich ab meinem 16., 17. Lebensjahr viel auf den Ringen rumgetrieben, in Diskos und so. Zu viel.

Ist Köln für Sie, als Mensch und als Sportler, wichtig?

Natürlich, das ist meine Heimatstadt! Ich bin hier geboren und aufgewachsen, ich kenne hier jede Gasse. Köln wird immer ein Teil von mir bleiben.

Nach dem Interview stellen Abu Azaitar und ich uns auf zum gemeinsamen Foto dieser Gesprächsreihe, das immer ein bisschen an die Aufstellung zweier Boxer erinnert. Und was passiert? Der Mann, der gewohnt ist, in diesen Situationen hochkonzentriert und entschlossen Augenkontakt zu halten, muss lachen.

Mittwoch, 5. November 2014

Thekentänzer (80)

10 Millionen in kleinen Scheinen

Ein Mann kommt ins Gasthaus und sagt zum Wirt: „Ich wette 50 Euro, dass ich euch heute das Verrückteste zeige, das ihr jemals gesehen habt.“
Der Wirt sagt mutig zu.
Daraufhin nimmt der Mann ein 20 cm großes Männlein aus der Tasche. Das Männlein marschiert auf der Theke rauf und runter und ruft dabei: „Guten Tag, meine Damen und Herren. Mein Name ist Johannes Mario Simmel.“
Tosender Beifall von den anwesenden Gästen. Und der Wirt gibt die 50 Euro gerne: „So etwas Verrücktes hab ich wirklich noch nicht gesehen. Aber eines müssen Sie mir verraten: Woher haben Sie das Zwerglein?“
Der Mann sagt: „Da hinten im Wald steht eine alte Eiche. Bei den Wurzeln liegt eine kleine, rostige Lampe. Wenn man daran reibt, erscheint ein Lampengeist und erfüllt genau einen Wunsch. Mein Tipp: Sorgfältig wählen und deutlich aussprechen!“
Natürlich eilt der Wirt sofort zu der Eiche. Er findet die Lampe und reibt daran. Der Lampengeist erscheint und fragt nach seinem Wunsch.
Der Wirt erwidert: „Ich will 10 Millionen in kleinen Scheinen!“
„Dein Wunsch sei dir gewährt“, erwidert der Geist. Und schon liegen 10 gegrillte Ferkel am Boden, jedes mit einer Zitrone im Maul.
Ziemlich verärgert stürmt der Wirt zurück in sein Gasthaus. Dort stellt er den Mann zur Rede: „Dein blöder Lampengeist hat einen massiven Hörfehler. Ich bitte ihn um 10 Millionen in kleinen Scheinen, und ich bekomme 10 Zitronen in kleinen Schweinen!“
Der Mann sieht ihn an und erwidert dann langsam: „Na ja, mein Bester! Glauben Sie wirklich, dass ich mir einen 20 cm großen Simmel gewünscht habe?“

Ferkeldemo in Haßleben. Wo sonst.

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Mittwoch, 29. Oktober 2014

Coloniales (48)

Kölsche Irrungen

1) Das Haus „Im Walfisch“ in der Salzgasse stand früher ein paar Meter weiter und wurde hierhin versetzt. Seit einigen Jahren firmiert es als Stammhaus der Sünner-Brauerei. Es stammt ursprünglich aus dem frühen 17. Jahrhundert, und damals war offenbar noch nicht allgemein bekannt, dass der namensgebende Meeresbewohner kein Fisch ist, sondern zu den Säugern gehört.


Kein Fisch, der Wal

2) Ein Kapitell im Kreuzgang von St. Maria im Kapitol zeigt zwei Greifvögel. Erstaunlicherweise essen diese Fleischfresser Früchte.

Trauben naschende Greifvögel

3) Hohenzollernbrücke (beidseitig) und Heumarkt (Südseite): Preußische Könige auf rassigen Rossen flankieren die Rampen der Brücke und den Platz. Pferde-Experten streiten bis heute darüber, ob die dargestellte Gangart der Tiere überhaupt existiert. Beim Reiterstandbild am Heumarkt kommen zwei weitere Makel hinzu: Der Oberkörper des Monarchen sei viel zu groß geraten, monieren die einen und die anderen, der Hintern des Gaules ende zu abrupt.

Künning zo jroß, Futt zo platt?

Am Walfisch stimmt übrigens noch etwas anderes nicht, nämlich die außen angebrachte Jahreszahl. Nach der Versetzung des Gebäudes verwandelte jemand die finale 9 in eine 6:


Mittwoch, 22. Oktober 2014

Thekentänzer (79)


Jessies Ausschnitt

Draußen gießt es aus
Kannen, drinnen
sitzt Jessie.

„Weißt du eigentlich,
wo ich herkomme? Aus
Bamberg nämmich!“

Für Josef ändert das
die Situation nicht
wesentlich. Er

Stiert weiter
abwechselnd in sein Glas und
Jessies Ausschnitt.

„Ne Kollegin von mir trägt
auch gern Hellgelb“,
sagt er, aber

da ist Jessie schon
durch die Tür.
Klatsch-

nass. Sogar der Regen ist heutzutage
für nichts mehr
gut.

„Belogen Betrogen zum hassen Erzogen“ - in der DDR konnten sie noch Tattoos.


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Mittwoch, 15. Oktober 2014

Deutsche Sprichwörter (4)

Der Bonner Philologe Karl Simrock (1802-76) edierte unter anderem eine umfangreiche Sammlung deutscher Sprichwörter. Hier eine Wochenauswahl zum Thema Trinken:

Es ertrinken mehr im Glas als in allen Wassern.

Lieber einen Darm im Leib gesprengt, als dem Wirt ein Tröpfchen geschenkt.

Je schöner die Wirtin, desto höher die Zeche.

Wenn das Fass leer ist, wischen die Freunde das Maul und gehen.

Gott gebe, Gotte grüße!
Bier und Wein schmecken süße.
Versauf ich auch die Schuh, behalt ich doch die Füße.

Currywurst macht Durst

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Mittwoch, 8. Oktober 2014

Thekentänzer (78)

Origami, Ikebana & der ganze andere Quark

„Ming Frau määt jetz Origami“, sagt
der Dicke mit dem orientalischen Messer auf dem Oberarm.

„Du meinst Ikebana, oder?“ fragt sein Kumpel, der
wahrscheinlich weiß, warum er so vorsichtig fragt, denn:

„Origami is doch, wat
m´r op en Pizza deit.“

Der Dicke schnauft kurz durch, dann
nickt er mit dem Kopf.

Ein gehöriges Quantum Zeit verstreicht, bis er
anhängt:

„Ich han dat allt ens
jerouch.“

„Wat? Origami?“
fragt sein Kumpel, „hät et jeschmeck?“

„Weiß ich nit mieh,“
sagt der Dicke, „ich

wor esu breit, mir hättste
och Päädsäppel en d´r Tabak grümmele künne.“

Rollenorigami für Fortgeschrittene


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Mittwoch, 1. Oktober 2014


Interviews (29)

Heute: Die Pianistin Olga Scheps

Olga Scheps wurde 1986 in Moskau als Tochter eines Musikprofessors und einer Klavierlehrerin geboren. Mit sechs Jahren wanderte sie nach Wuppertal aus und begann 1999 ihr Klavierstudium an der Kölner Musikhochschule. Sie errang Siege bei „Jugend musiziert“ und „Jugend spielt Klassik“. 2010 veröffentlichte sie ihr erstes Album (namens „Chopin“), dem zahlreiche weitere folgen sollten. Heutzutage hat sie Auftritte in allen Teilen der Welt und mit vielen namhaften Dirigenten und Orchestern. Bei Sony Classical erschien zuletzt ihre CD mit zwei Klavierkonzerten von Chopin in einer Kammerorchesterfassung.
Olga Scheps probt und wohnt im Eigelstein.

Während der sonnenbeschienene Eigelstein voller Leben ist, sitzt Olga Scheps in ihrem Proberaum am Piano. Für unser Interview jedoch macht sie ein Stündchen Pause, wir treffen uns in einem Café an der Torburg. So ruhig ihre Augen, so besonnen auch ihre Antworten.

Bernd Imgrund, Olga Scheps, Foto: Günter Meisenberg

Sie haben Ihre ersten sechs Jahre in Moskau verbracht. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Stadt?

Meine Eltern sind aus politischen Gründen ausgewandert, wir haben dann zuerst in Wuppertal gelebt. Mit Moskau verbinde ich zwar ein paar Kindheitserinnerungen, aber die dürften inzwischen weit entfernt von der Realität sein. Die Stadt hat sich in den letzten Jahren sehr stark gewandelt.

Fühlen Sie sich in Köln heimisch?

Ich bin vor gut zehn Jahren hier hingezogen und fühle mich als Kölnerin. Ich mag diese Unkompliziertheit und Offenheit der Menschen. Wenn ich von einer Reise zurückkehre, freue ich mich immer aufs Nachhausekommen.

Ist eher der Dom oder die Eigelsteintorburg Ihr Heimathaken?

Auf jeden Fall die Torburg. Hier ist die Musikhochschule nicht weit, und dementsprechend wohnen auch viele Freunde von mir im Viertel.

Die Kölner Musikhochschule ist äußerlich recht unattraktiv. Sehen Sie das auch so?

(lacht) Mir hat man mal erzählt, das sei Absicht, um die Studenten nicht vom Lernen abzulenken.

Empfanden Sie das Studium dort als qualitativ gut?

Bei den Instrumentalisten ist der nicht zuletzt Hauptfachlehrer das Entscheidende. Meiner war ganz, ganz toll. Pavel Gililov ist inzwischen nach Salzburg an die Hochschule Mozarteum gewechselt, aber er ist nach wie vor eine ganz wichtige Bezugsperson für mich, und so oft es geht fliege ich nach Salzburg..

Sie haben an Ihr Klavierstudium noch das „Konzertexamen“ gehängt, obwohl Sie längst gut beschäftigt waren.

Zum Klavierspielen gehört auch ein bestimmtes Wissen - z.B. über die Geschichte des Instruments, der Pianisten und der Komponisten. Außerdem finde ich, dass man zuendebringen sollte, was man anfängt. Ich fühle mich jedenfalls gut damit, mein Diplom zu haben.

Ihre Eltern sind ebenfalls Klavierspieler. War Ihr Weg vorgezeichnet?

Meine Eltern haben sich über die Musik kennengelernt und sind seit 35 Jahren verheiratet. Musik war bei uns alltäglich präsent. Meine Mutter ist Klavierlehrerin, mein Vater Professor, ich mache wieder etwas anderes. Aber die Klaviermusik verbindet uns alle.

Ist Klavierspielen körperlich anstrengend?

Ja, es kann anstrengend sein. Ich versuche meine Grenzen immer zu erweitern. Gewisse Aspekte kann man durchaus mit dem Leistungssport vergleichen. Je mehr man trainiert, desto besser wird man.

Man liest, Sie üben acht Stunden am Tag. Klingt geradezu proletarisch.

Naja, acht Stunden sind es meistens nicht. Manchmal übe ich tagelang, viele, viele Stunden. An Reisetagen übe ich oft nicht, weil ich keinen Flügel zur Verfügung habe. Ich freue mich dann, wenn ich wieder spielen kann, wann ich will, und dabei gucke ich nicht so viel auf die Uhr.

Die Kondition kann man auch beim Joggen um den Aachener Weiher trainieren.

In Köln gehe ich lieber ins Fitnessstudio, weil ich mir beim Laufen zu beobachtet vorkomme. Aber in Wuppertal bin ich viel gejoggt, die Wälder dort sind angenehm einsam. Auch für einen kurzen Wandertrip sehr zu empfehlen.

Sie spielen fast ausschließlich Noten von toten Menschen. Was für eine Art Kommunikation ist das?

Diese toten Menschen haben uns ihre Biographien und Kompositionen überlassen. Klassische Stücke leben dadurch weiter, dass man sie immer wieder neu interpretiert. Mich selbst interessiert immer sehr, wie der Komponist sich wohl gefühlt hat, in welcher Lebenslage er war, als er das jeweilige Stück schrieb.

Gibt Ihnen ein Stück von Mozart oder Schubert etwas anderes als die aktuellen Radiocharts?

Ich höre nicht nur Klassik. In jeder Musikrichtung gibt es spannende oder weniger spannende Songs oder Werke für mich. Sie erzählen alle mehr oder weniger von eben den Dingen, die die Menschen bewegen und betreffen. Klassik für „elitär“ zu halten, ist deshalb fraglich, finde ich.

Kennen Sie eine sinnvolle Definition des Unterschieds zwischen U- und E-Musik?

(lacht) Nein. Das gibt es ja auch tatsächlich nur in Deutschland. Aber die Diskussion darum, diesen Unterschied abzuschaffen, läuft ja auch schon seit Jahren.

Mancher Schlager behandelt sein Thema tiefergehend als die ein oder andere Oper.

Auch bei Opern kann man fragen, ob das nicht Unterhaltungsmusik ist. Die Oper war in vergangenen Jahrhunderten das, was heute Kinofilme und Fernsehsendungen sind. Sie können Kunstwerke sein und Unterhaltung, ich finde es schwierig, dort eine Grenze zu definieren.

Als Beispiel für bekannte Pianosongs in der U-Musik will ich nun mit Olga Scheps über „Ebony and Ivory“ von Paul McCartney/Stevie Wonder reden. Kennt sie jedoch nicht, und das ist auch verständlich: Die Pianistin wurde 1986 geboren, vier Jahre nach jenem Hit. Also erkläre ich:

Das ist ein Song, der die schwarz-weißen Klaviertasten als Metapher gegen Rassismus benutzt.

Okay, interessant. Damit habe ich die Tasten noch nie in Verbindung gebracht. Den Song muss ich mir mal anhören.

Was ist - ganz objektiv - an einem Steinway-Flügel besser als an anderen.

Sein Reichtum an Farben ist unvergleichlich. Ich habe auch schon an schönen Flügeln anderer Marken gesessen, aber an Steinway reichen sie einfach nicht ran.

Und um direkt das nächste Klischee abzuarbeiten: Gibt es typische Klavierfinger?

Kurze Nägel sind wichtig, und auffälliger Nagellack wäre schlecht, weil er abbröckelt beim Spielen. Was auffällt, wenn man drauf achtet: Pianisten haben auch immer recht muskulöse Rücken und Arme.

Sie hatten mal einen Fahrradunfall, bei dem Sie sich einen Finger verletzten.

Das war Horror, aber ich fahre weiterhin gern Fahrrad. Sowas wie Inline-Skaten spare ich mir allerdings, und eine Versicherung für die Hände habe ich inzwischen auch.

Warum nicht gleich so?

Weil ich fand: Wer zu sehr ans Unglück denkt, der zieht es an. Aber irgendwann habe ich auch eingesehen, dass es sinnvoll ist.

Sie spielen demnächst in der Kölner Philharmonie, die besten Karten werden 90 Euro kosten. Wie erklärt sich so ein Preis?

90 Euro? Hm, das ist bei jedem Veranstalter anders. Gut finde ich, dass man in Köln Ermäßigungen bekommt, als Studentin habe ich meistens nicht mehr als 10 Euro bezahlt. Schon 30 Euro wären für viele Studenten ein Grund, ein Konzert nicht zu besuchen, und so etwas finde ich schlimm. Ich finde jeder sollte sich das leisten können.

Sie treten demnächst in Südkorea auf. Wie reagieren die Leute dort auf Chopin oder Schubert?

In Südkorea war ich bislang noch nie. Aber meine Erfahrung mit Asien ist, dass das Klavier dort Kultstatus genießt und noch präsenter ist als hier. Allein in China gibt es 80 Millionen Klavierspieler. Das Publikum bei meinen Konzerten ist genauso gemischt wie hier.

300 Jahre alte chinesische Musik wäre mir vermutlich sehr fremd. Ist man in Asien vertraut mit europäischer Klassik?

Ja, das Interesse ist ganz verstärkt da. Wie auf Südkorea freue ich mich auch auf London, wo ich demnächst spiele - eine meiner absoluten Lieblingsstädte.

Sie haben mal gesagt, ihr einziger Plan B neben dem Klavierspielen wäre, sich einen Plan B auszudenken. Sind Sie inzwischen weitergekommen?

(lacht) Nein. Ich habe schon zu Schulzeiten darüber nachgedacht, vom Klavierspielen zu leben. Im 11. Schuljahr habe ich dann damit ernstgemacht: also das Abitur abgebrochen und Musik studiert. Es hat sich einfach richtig angefühlt, mein Leben komplett der Musik zu widmen. Und das tut es bis heute.