Mittwoch, 2. Oktober 2013

Interviews (16)

Heute: Die Frauen-Historikerin

Zur Person
Irene Franken wurde 1952 in Düsseldorf geboren. Ab 1972 studierte sie in Köln die Fächer Deutsch und Geschichte und absolvierte die Ausbildung zur Realschullehrerin. 1986 gründete sie mit anderen den Kölner Frauengeschichtsverein, um ´weibliche´ Geschichte in der Stadt sichtbar zu machen. In der Folge sorgte er etwa dafür, Straßen nach Frauen zu benennen und den Rathausturm mit 18 statt der vorgesehenen 5 Frauenfiguren zu bestücken. Neben Stadtführungen übernimmt Irene Franken regelmäßig Lehraufträge im Seniorenstudium der Kölner Universität. Ihre erfolgreichste Publikation ist der historische Stadtführer „Frauen in Köln“ (Bachem Verlag).


BI: Sie stammen aus Düsseldorf. Warum sind Sie nach Köln gekommen?

IF: Damals wollte ich weg von Düsseldorf und habe einen neuen Studienort gesucht. Über Köln wusste ich zu dem Zeitpunkt nichts.

BI: Sie wollten raus aus dieser Stadt im Norden?

IF: Ich habe sie sehr genossen, allein schon wegen meiner damaligen Trendkneipe CreamCheese. Da hingen avantgardistische Bilder von Günther Uecker an der Wand, und es lief Undergroundmusik.

BI: Finden Sie, nach mittlerweile 40 Jahren in Köln, die Kabbeleien zwischen den Städten lustig?

IF: Die tangieren mich überhaupt nicht. In Düsseldorf interessiert das sowieso niemanden, das geht eher von Köln aus. Ich vergleiche das gern mit dem Windhund, der vom kleinen Straßenköter angekläfft wird.

BI: Lassen Sie das wirklich so stehen?

IF: (lacht) Es ist ja nicht so, dass ich die Windhunde lieber mag als die Mischlinge.

BI: Gibt es frauenhistorische Unterschiede zwischen Düsseldorf und Köln?

IF: Ja, schon. In Düsseldorf gab es einen Hof, hier nicht. Also existierten auch keine Salons, keine Hofdamen undsoweiter. Außerdem hatte Köln sowohl Juden/Jüdinnen als auch Protestanten aus der Stadt geworfen. Köln war dadurch spätestens ab dem 17. Jahrhundert kulturell eher randständig, hier brodelte man im eigenen Mief.

BI: Einige berühmte Frauen hat Köln aber schon hervorgebarcht. Dass wir sie kennen, verdanken wir nicht zuletzt dem von Ihnen gegründeten Frauengeschichtsverein.

IF: Große Möglichkeiten bot das Kölner Zunftrecht. Während Frauen im Privatleben unter der Vormundschaft eines Mannes standen, war es ihnen hier dennoch möglich, Handel zu treiben, eine eigene Werkstatt zu leiten und auf eigene Rechnung zu wirtschaften.

Vorher

BI: Auch Clara Schumann, zugewanderte Düsseldorferin und Namenspatin Ihres ehemaligen Gymnasiums, stand unter der Fuchtel eines Mannes. Haben Sie ein besonderes Verhältnis zu ihr?

IF: Nicht wirklich. Über ihre Wiederentdeckung als Komponistin und Musikerin habe ich mich gefreut. Aber ich muss gestehen, mein Herz hing immer ein bisschen an Robert Schumann, der ja tragisch umnachtet starb.

BI: Gab es eine Initialzündung zur Beschäftigung mit Frauenhistorie?

IF: Während meines Studiums der Geschichte in Köln wurden wir mit einer einzigen Frau bekannt gemacht: Bertrada, der Großmutter Karls des Großen. Und auf der Leseliste, einem Kanon für die Deutschstudenten, stand außer Annette von Droste-Hülshoff auch keine Frau. Irgendwann dachte ich, hier stimmt doch etwas nicht.

BI: Anfang der 1970er begann auch die Frauenbewegung.

IF: Schon, aber bis an die Kölner Universität war die noch nicht vorgedrungen. Zusammen mit ein paar Kommilitoninnen haben wir erstmal eine neue Leseliste erstellt. Und auf der stand dann nur ein Mann, ist klar.

BI: Wie wurde diese Pionierarbeit gewürdigt?

IF: An der Uni sind Einige heute dankbar dafür, das war ein Aufbruch. Aber es gab durchaus Vorwürfe aus verschiedenen Ecken, wir würden die Geschichte verfälschen.

BI: Sie arbeiten heute selbst für die Kölner Universität an einem Forschungsprojekt zu Krankenakten der Frauenklinik aus der NS-Zeit. Wie gehen Sie da vor?

IF: Ich versuche, nicht nur – wie üblich - Zwangssterilisierungen aufzulisten. Mir geht es eher darum, die Machtverteilung in den einzelnen sozialen und diskursiven Räumen darzustellen, zum Beispiel die Gleichzeitigkeiten von konfessionellem und parteigebundenem Glauben, was mit erklärt, wie so viele Menschen aktiv beteiligt werden konnten.

BI: Der Frauengeschichtsverein hat 1985 angefangen, frauenspezifische Stadtrundgänge zu veranstalten.

IF: Ja, anfangs sogar nur für Frauen, aber nach lautstarker Kritik auch schon viele Jahre für Männer.

BI: Warum waren Männer ausgeschlossen?

IF: Ich habe selbst erlebt, wie es ist, keine historischen Wurzeln vorzufinden und sich auf keine Vorgängerin beziehen zu können. Wir wollten zunächst einmal allen Kölnerinnen die Augen dafür öffnen, dass es in ihrer Stadt auch eine Geschichte der Frauen gibt.

BI: Und kommen denn inzwischen auch Männer?

IF: Zur Melatenführung sehr gern, das sind die Kölschen. Ansonsten eher wenige, ich denke mir, dass es Männer vielleicht kränkt, zwei Stunden nur etwas über Frauen zu hören.

BI: Was hat sich bei den weiblichen Besuchern in den mittlerweile 28 Jahren geändert? Weniger bunte Latzhosen?

IF: Die Frauenbewegung war nie unsere Hauptklientel. Zu uns kommt vor allem das Bildungsbürgertum reiferen Alters. Ich glaube, Frauen entwickeln das Interesse für unsere Themen allmählich mit den Jahren - sie bringen dann z.B. eigene Erfahrungen mit, die sie historisch vergleichen wollen.

BI: Haben Sie mal einen Junggesellinnenabschied geführt?

IF: Ja, tatsächlich, aber einen sehr zielgerichteten. Die wollten speziell zu historischen Aspekten von Liebe und Ehe informiert werden, und das habe ich gern gemacht.

BI: Haben Sie auch mitgetrunken?

IF: Erst hinterher. Während der Führung hatte ich mir das verbeten.

BI: Ein erster Erfolg des Frauengeschichtsvereins war 1986 die Umbenennung von Unter Seidmacher in Seidmacherinnengässchen. Worin lag der Symbolwert?

IF: Darin, dass Frauen im Stadtbild repräsentiert werden. Uns geht es nie darum, den Frauenstempel unhistorisch aufzudrücken. Aber es war im Mittelalter und der frühen Neuzeit nun einmal so, dass Seide in reinen Frauenzünften hergestellt wurde.


Nachher

BI: Ein Freund von mir wohnt dort und stöhnt noch immer darüber, dass seine Adresse nun so lang sei. Was würden Sie ihm erwidern?

IF: Es gibt größere Probleme. Ich würde ihm raten, sich einen Stempel anzuschaffen. (lacht)

BI: Ist Köln heutzutage eine frauenfreundliche Stadt?

IF: Ich finde, ja. Viele Männer können Frauen stark sein lassen, ohne sich permanent profilieren und in den Mittelpunkt stellen zu müssen.

BI: Ist das eine kölsche Eigenart?

IF: Meiner Meinung nach schon, auch in vielen kölschen Liedern wird die selbstbewusste, oft stämmige Frau gefeiert. Da fallen einem natürlich direkt Trude Herr und Grete Fluss ein, ein Frauenschlag, der am besten zu gemütlichen Männern passt.

BI: Ist der kölsche Straßenköter in der Hinsicht umgänglicher als der Düsseldorfer Windhund?

IF: Definitiv! (lacht)

Kurze Straße, langer Name: das Seidmacherinnengässchen heute

BI: Sollte die Jungfrau des Dreigestirns in absehbarer Zeit weiblich werden?

IF: Nein, das ist für mich eine historische Konstruktion und sollte so bleiben. Emanzipation muss für mich nicht über Traditionsaufweichung laufen.

BI: Also zukünftig auch kein Ruf à la „Die Prinzessin kütt“?

IF: Nein, mir reicht Weiberfastnacht. Wobei ich es schon spannend finde, dass Frauen inzwischen in den Schützenvereinen den Vogel abschießen.

BI: Wie gut vernetzt ist die Kölner Frauenszene? Arbeiten Sie etwa mit dem FrauenMediaTurm, mit dem dortigen Archiv und der Emma-Redaktion zusammen?

IF: Wir arbeiten viel mit örtlichen Projekten zusammen, während Emma ja ein bundesweiter, kommerzieller Betrieb ist. Mit dem Frauenarchiv gibt es allerdings häufiger Kooperationen, wir recherchieren dort auch selbst.

BI: In einem Interview vor einigen Wochen klagte mir gegenüber ein Lokalhistoriker über extreme Nachwuchsprobleme. Wie sieht es im Frauengeschichtsverein aus?

IF: Heutige Studentinnen sind so eingespannt, dass sie keine Chance sehen, bei uns aktiv mitzuarbeiten. Die Jüngsten bei uns sind Anfang 40.

BI: Was bedeutet das für die Zukunft?

IF: Ich habe unseren Verein bei der Gründung 1985 nie als ewig angesehen. Aber die Intervention war nötig, und es gibt noch viel zu tun. Dass Frauen in allen historischen Zusammenhängen wie selbstverständlich auch als Akteurinnen vorkommen, haben wir noch nicht erreicht.



Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.
 

Keine Kommentare: