Mittwoch, 15. August 2012


Interviews (4)

Der kölsche Irland-Auswanderer, oder: „Köln liegt hinterm Hügel“

Frühschoppen im Haus Schäffer am Südfriedhof. Ecki Krupp war einige Jahre nicht mehr in Köln und hebt nun seine erste Kölschstange an den Mund. Er wirkt glücklich.

Sie tragen einen berühmten Namen, und das nicht ganz zufällig.

Soweit ich weiß, haben sich die Essener und Kölner Krupp-Linie im 17. Jahrhundert getrennt. Wir sind dann hier allerdings nicht ganz so berühmt geworden wie die im Ruhrgebiet.

Wie weit zurück reicht Ihr Wissen um die Kölner Familientradition?

Mein Urgroßvater hatte ein Hotel in der Salzgasse, gegenüber dem heutigen Päffgen-Bierhaus. Gasthaus Krupp hieß das.

Auch in den Kneipen rund um den Kölner Schlachthof sind die Krupps noch immer sehr bekannt. Wieso?

Weil mein Großvater dort gegen Ende der 1940er eine Kohlenhandlung aufgemacht hat. Als meine Oma starb, musste mein Vater, mit 15, die Schule verlassen und ebenfalls in die Firma einsteigen.

War man wer als Kohlenhändler?

Das war schon eine große Sache, noch in den 1960ern haben die Krupps richtig „Kohle“ verdient. Da fuhren zehn LKW rum, und ich erinnere mich, dass bei uns immer zwei dicke Mercedes vor der Tür standen.


Ecki Krupp vor seinem alten Benz



Sind sie mit der Kohle aufgewachsen?

Tja, man spielte auf diesen Kohlehalden. Schwarz wie die Nacht waren wir als Kind, jeden Tag. Das war toll!

Hatten Sie so einen Kohlesack mal auf dem Rücken?

Einer unserer Kohlenfahrer hatte seinen Führerschein verloren – ziemlich hoher Promillewert. Und dann habe ich ein Jahr lang Kohlen ausgefahren, immer ab morgens um 5.

Wie schwer ist so ein Sack?

An sich sollten da 50 Kilo drin sein. Aber der Kölsche Zentner, nun ja, der ist etwas leichter. Mein Großvater war ein Baum und hatte Hände wie Klodeckel. Der konnte auch zwei Säcke auf einmal in den dritten Stock tragen.

Kennen Sie den Unterschied zwischen Briketts und Klütten?

Briketts sind gepresst, also veredelt. Klütten wurden einfach nur aus dem Flöz geschnitten. Das war Brennmaterial für arme Leute und qualmte ziemlich wegen der hohen Feuchtigkeit.

In Köln haben Sie 1993 die Kneipe „Durst“ an der Weidengasse gegründet. War das die Flucht vor den Kohlensäcken?

Bei meinem Vater hätte ich früher oder später ins Büro gemusst, das wäre nichts für mich gewesen. Ich wurde dann erstmal Kellner in einer anderen Kultkneipe, der „Station“ an der Zülpicher Straße. Und als die schloss, hinterließ das für mich und meine Kumpels ein trinkerisches Vakuum. Also habe ich den „Durst“ aufgemacht.

Ihr Abgang nach drei Jahren dort war nicht so ganz durchorganisiert, hört man.

Ich wollte ohnehin nach fünf Jahren auswandern. Dann starb jedoch plötzlich einer meiner Kellner in kürzester Zeit an Lungenkrebs. So traurig das war, sah ich das auch als Aufruf: Wenn du deine Träume verwirklichen willst, dann warte nicht zu lange.

Haben Sie dann auch nicht getan.

Bald darauf war Rosenmontag, ich lief durch die Stadt und fühlte mich fremd. Am selben Abend habe ich mir, in einem schwarzen Samtrock und gut versorgt mit Malzwhiskey, meine Instrumente geholt und bin zum Flughafen gefahren. Am nächsten Tag war ich in Irland.

Warum diese Insel am Rand von Europa?

Meine Irlandgeschichte hängt unbedingt mit der Musik zusammen. Mein Vater hatte eine Dubliners-LP im Regal, deren Lieder mich ausgesprochen fröhlich stimmten. Und obendrein konnte man die auf der Gitarre selber spielen! Da bin ich erstmal sieben Wochen durch Irland getrampt.

Heinrich Bölls „Irisches Tagebuch“ wird von vielen Kritikern als Sozialkitsch abgelehnt.

Aber es traf Anfang der 1980er noch weitgehend die damalige Atmosphäre. Die Leute waren arm, aber Armut war, weil der Normalzustand, gesellschaftlich völlig akzeptiert. Und genauso selbstverständlich konnte man in Irland „anders sein“, also da gab es jede Art von Hippies, Freaks, Aussteigern, die einfach mit dazugehörten.

Traditionelle irische Musik macht vor allem Duddeldi-di, duddeldi-da. Was gefällt Ihnen daran?

Die ist eben komplexer als Duddeldi-di. Hinter dieser an sich lustigen Tanzmusik steckt eine tiefe Düsternis. Das merkt man, wenn man in diese Musik eintaucht, die ja nicht von der tragischen irischen Geschichte zu trennen ist. Man denke nur an die Jahrhunderte unter englischer Knute oder an die Big Famine, die große Hungersnot.

In den späten 1840er Jahren grassierte in ganz Europa die Kartoffelseuche, aber nirgendwo war man so abhängig von der Knolle wie in Irland. Zwischen 1845 und ´49 verhungerten dort rund eine Million Menschen, eine weitere Million wurde zur Emigration gezwungen.

Stimmt es eigentlich, dass kölsche Bands ihre Melodien vorzugsweise in der irischen Volksmusik finden?

Dafür gibt es allerdings jede Menge Beispiele, allen voran bei den Höhnern. Aber das ist schon in Ordnung und steht in einer durchaus langen Tradition: Schon Ferdinand Freiligrath hat irische Lieder ins Deutsche übersetzt. Und in den 1970ern kamen sämtliche großen irischen Musiker nach Deutschland. In Köln war vor allem das Tinnef auf der Kyffhäuser Straße eine Spitzen-Adresse für Folk-Konzerte, jeden Mittwoch.

Da waren Sie dann wohl auch regelmäßig?

Klar, zwei Stunden Straßenmusik auf der Hohe Straße brachten mir das Geld für die Eintrittskarte. Und ein paar Kölsch waren wohl auch noch drin.

Hat man, nach nunmehr 15 Jahren Irland, einen anderen Blick auf die kölsche Kultur?

Na, vor allem ist doch toll, dass es die überhaupt noch gibt! Authentizität ist selten geworden, überall auf der Welt. In Köln hat man immer ein kölsches Gefühl. Und ohne über die Musik im einzelnen zu reden: Menschen, die Lieder haben, sind immer besser dran als Menschen, die keine haben.

Was ist „das kölsche Gefühl“ für Sie?

Oh Jesus (Krupp spricht das englisch aus – Dschiisess). Vor allem: Ostermann, och war wor dat fröher … Und dann die Schrebergärten und der Kühlturm vom Schlachthof damals bei uns hinterm Kohlenlager. Und nicht zuletzt: Endlich mal wieder ein richtiges Kölsch zu trinken. (lacht)

Beschreiben Sie mal das 360-Grad-Panorama bei Ihnen zu Hause.

Nach vorne raus das Meer mit zwei Halbinseln und Leuchttürmen. Und hinterm Haus steht ein Hügel mit Schafen.

Liegt Köln hinterm Meer oder hinterm Hügel?

Hinterm Hügel, also ziemlich genau östlich.

Verlernt man in so einer Umgebung das Großstadtleben?

Es bekommt eine neue Faszination. Wenn unsere Nachbarn näher als 500 Meter wohnten, würde mich das in Irland schon stören. Andererseits sind es für mich auch acht Meilen, also gut zwölf Kilometer bis zur nächsten Kneipe. Hier hingegen leben so viele Menschen eng aufeinander, und es klappt im Großen und Ganzen trotzdem recht gut.

In Köln wurde der Archiveinsturz als Katastrophe wahrgenommen. Bekommt man das in Irland mit?

Nur sehr nebenbei. Die irische Presse ist eigentlich nicht sehr am Ausland interessiert, vielleicht am ehesten noch an den USA. Aber auf zehn Seiten Inlandsberichterstattung kommt vielleicht eine internationale: „The World“. Das letzte Windhundrennen oder der Rekordbulle vom Farmerfest machen die deutlich größeren Schlagzeilen. (lacht)


Was nehmen Sie mit aus Köln?

Ein warmes Herz! Und ein paar tolle Nächte, die ich in Irland so nicht habe.

Eckehard Krupp leert sein letztes Glas, er hat noch viel vor heute. Zuhause warten seine irische Frau Kathy und die Zwillingstöchter. Die sollen auf jeden Fall noch die Salzgasse sehen, wo einst das Kruppsche Hotel stand.



Zur Person

Eckehard Krupp wurde 1962 in Köln geboren. Anstatt wie seine Vorfahren Kohlen und Heizöl zu verkaufen, versuchte er sich auf diversen anderen Feldern. Unter anderem absolvierte er ein Praktkum als Landwirt und studierte einige Semester an der Philosophischen Fakultät. Auch der Job beim neugegründeten Privatsender RTL blieb nur eine Episode, gehörte doch seine wahre Liebe der irischen Musik. In den 1980ern und 90ern recht bekannt war seine Folkrock-Band „Finnegan“.
Krupp gründete 1993 die Kneipe „Durst“ auf der Weidengasse, wanderte dann jedoch drei Jahre später in ein winziges Dorf im irischen Südwesten aus. Nach Jahren im Wohnwagen wohnt er inzwischen mit seiner irischer Frau und den Zwillingen Lilly und Lucy im eigenen Bruchstein-Cottage. Eckehard Krupp arbeitet als Kneipenmusiker und Musiklehrer.


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