Mittwoch, 16. Mai 2012

Interviews (3)

Der Schreiner vom Hänneschen, oder: Knollendorf ist überall

Ralf Bungarten wurde 1963 in Köln geboren und wuchs in Pesch auf. Nach dem Abitur absolvierte er 1985-88 eine Schreinerlehre bei den Bühnen der Stadt Köln. Darauf folgte der Zivildienst. Am 1. Oktober 1991 schließlich begann er als Schreiner in der Hänneschen-Werkstatt, einen Beruf, den er bis heute ausübt.

Sie hatten Englisch im Leistungskurs. Um mal aus Köln herauszukommen?

(lacht) Woher wissen Sie das denn?

Es gibt im Internet großartige Fotos von diesem LK. Da tragen Sie eine Samtcordjacke und Schlaghosen.

Oh la la, lang ist´s her. Aber Englisch hatte ich nur, um in der Schule einigermaßen durchzukommen. Das war halt das kleinste Übel. Ins Ausland zu ziehen, wird für mich erst heutzutage ein Thema. Aber wenn, dann nicht England, sondern Italien.

Weil Köln ohnehin die nördlichste Stadt jenes Landes ist?

Nein, mein Verhältnis zu Köln war immer gespalten. Ein emotionaler Bezug hat sich eigentlich erst in den letzten Jahren entwickelt.

Was stört Sie hier?

Genau das, worauf man in Köln angeblich so stolz ist, dieses „Küsst´e hück nit, küsst´e morje“. Mit diesem Unverbindlichen und Oberflächlichen kann ich nichts anfangen.

Vielleicht, weil Sie als Schreiner auf den Millimeter arbeiten?

Das hängt bestimmt miteinander zusammen. Ich bin nicht umsonst Schreiner geworden.

Englisch war okay, sagen Sie. Wie steht es denn um Ihr Kölsch?

Ich tue mich schwer damit. Im Hänneschen wird natürlich Wert auf ein sauberes Kölsch gelegt, aber damit kann ich nicht dienen. Das liegt letztlich daran, dass man in meiner Jugend nicht Dialekt sprechen durfte, das war verpönt.

Kölsch met Knubbele also. Aber Sie arbeiten doch auch als Puppenspieler.

Ja, immer im Karnevalsstück, weil bis zur Osterzeit hier in der Werkstatt vergleichsweise wenig zu tun ist. Unsere Mitwirkung ist freiwillig, das hat sich bei meinem Vorgänger Werner Schulz so eingespielt.

Gefällt es Ihnen hinger d´r Britz?

Meistens schon. Das hängt halt immer von der Stimmung im Ensemble und auch von der eigenen Form ab. Aber es ist auf jeden Fall eine nette Abwechslung.

Bekommen Sie auch Sprechrollen?

Nein, nie! Das ginge auch wirklich nicht mit meinem Kölsch. Auch Hochdeutsch auf der Bühne wäre nicht mein Ding.

Mal angenommen, Sie sprächen besseres Kölsch als Peter Ulrich, der Schäl. Welche Puppe würden Sie gern spielen?

(überlegt länger) Ich denke, mir würde der Tünnes gefallen, weil ich gern ein Stück von seiner Gelassenheit hätte. Aber auch die fiese Seite vom Schäl gefällt mir, darüber kann man bestimmt einiges rauslassen. Figuren wie das Hänneschen hingegen wären gar nichts für mich.

Zu kreischig?

Ja, bezüglich Temperament und Persönlichkeit, viel zu wibbelig und zu unverbindlich in seinem Handeln - nein, das ginge nicht.

Ihre Hauptarbeit liegt ja ohnehin hier in der Werkstatt. Was unterscheidet einen gewöhnlichen vom Hänneschen-Schreiner?

Ich sage immer so ein bisschen abfällig: Wir sind hier eine Kistenfabrik. Was wir bauen, muss nur von einer Seite schön aussehen - Kulissen eben.

Die meisten Schreiner bauen den ganzen Tag Küchen zusammen.

Ja, das ist schade. Der reine Schreiner-Anteil liegt bei uns vielleicht bei zwanzig Prozent, dafür kann man hier jenseits dessen sehr kreativ sein. Aber manchmal bin ich auch froh, wenn ich einfach nur ein paar Bretter zusammenhauen muss.

Sie erarbeiten die Kulissen mit den Autoren und Regisseuren der Stücke. Wie läuft das normalerweise?

Ideal ist, wenn jemand schon mit relativ konkreten Vorstellungen hier ankommt. Dann kann man sich mit dem auseinandersetzen. Wenn jemand seine Ideen nur ganz schwammig formuliert, hängt man in der Luft. Und dann kann auch schneller was schiefgehen.

Haben Sie schonmal etwas gebaut, das letztlich nie zum Einsatz kam?

Ja, ein solches Teil gibt es. Den Düüvels-Alt-Bierpavillon.

Was war dessen Schicksal?

Da ging es um ein Karnevalsstück. Das sind ja bei uns immer Ensembleproduktionen: einzelne Wort-und Liedbeiträge verschiedener Autoren werden zu einem Bühnenstück zusammengefügt. Um es vorsichtig zu formulieren: Gewisse Dinge wurden im Vorfeld nicht ausreichend angesprochen. Wir sollten ein älteres Bühnenbild aufmotzen. Weil es keine klaren Vorgaben gab und es uns passend erschien, entstand die Düüvels-Alt-Bude.

Klingt doch nach einer netten Idee.

Tja, aber niemand kam, um sie abzusegnen. Wir haben sie dann im Theater aufgebaut, aber als wir uns bald danach mal eine Probe ansahen, war unser Pavillon verschwunden. Ohne jede Begründung.


 Wie lange hatten Sie daran gearbeitet?

Ach, es ging. 20 Stunden vielleicht.

Die Düüvels-Bierbude liegt in Einzelteilen im großen Lager am Mühlenbach. Ziemlich hoch unterm Dach, schwer zu erreichen. Aber durchaus jederzeit reaktivierbar, wie der Werkstattleiter versichert.

Von den Kulissen zu den Puppen: Schnitzen Sie eigentlich auch selbst?

Ja, das habe ich bei Werner Schulz gelernt, der konnte hervorragend schnitzen. Man guckt eine Weile zu, dann gibt es mal einen kleinen Workshop, und der Rest ist einfach Learning by doing.

Wie gehen Sie vor beim Entwickeln einer Puppe?

Wenn ein Kopf schon vorhanden ist, wird er schlicht mit der Kopierfräse dupliziert. Schwieriger sind Porträitpuppen, dafür braucht man vor allem gute Fotos. Am besten wie aus der Verbrecherkartei, Profile aus immer gleichem Abstand.

Arbeiten Sie weg wie ein Bildhauer oder zu wie bei einer Plastik?

Modellierte Plastiken benutze ich als Hilfe. Aber der Kopf wird bei uns immer aus dem ganzen Holz gefräst und geschnitzt. Dafür nimmt man übrigens Lindenholz, das ist am besten zu verarbeiten.


Wie begann das mit Ihren Portraitköpfen?

Ich wurde ins kalte Wasser geworfen. Mein Vorgänger verließ die Werkstatt nach theaterinternen Streitigkeiten Hals über Kopf. Und ich stand plötzlich vor der Aufgabe, binnen kürzester Zeit die ganzen Bandmitglieder der Paveier zu gestalten. Das war heftig, dafür habe ich mich zwei Wochen hier eingesperrt.

Ich fand immer die Physiognomien der Hänneschen-Figuren interessant. Haben die einen historischen Hintergrund?

Früher sahen die komplett anders aus, die wurden ja zum Teil noch aus Salzteig geformt. Die Köpfe von heute sind irgendwann nach dem Krieg entstanden und werden seitdem kopiert. Die Knollendorfer Charaktere sehen immer exakt gleich aus.


Sagen wir mal so: Typen wie dieser Schäl, der Speimanes oder der Besteva sind ja nun nicht gerade attraktiv.

Nein, im Gegenteil. Auch Hänneschen und Bärbelchen nicht, die sind sogar ziemlich hässlich.

Süße, pausbäckige Kindergesichter sehen tatsächlich anders aus.

Das liegt zum Teil natürlich an der Theaterperspektive. Augen, Mund, Nase und Ohren sind immer viel zu groß, sodass die Gesichter wie Karikaturen wirken. So eine Puppe muss halt auch auf dreißig Meter Entfernung wirken.

Das leuchtet mir ein, aber sie könnte auch auf dreißig Meter durchaus sympathischer wirken. So ein Schäl hat für kleine Kinder doch geradezu etwas Gruseliges.

Das sind Knollendorfer Bauerngesichter. Ich könnte mir vorstellen, dass man mit diesen auffälligen Köpfen bewusst aus dem Rahmen fallen wollte, um sich abzuheben. Hinzu kommt, dass durch Typen wie den Schäl oder den Manes auch Minderheiten in den Vordergrund rücken. Der eine schielt, der andere stottert und hat nen Buckel, solche Menschen stehen ja normalerweise nicht im Mittelpunkt.


Haben diese Gesichter für Sie etwas Kölsches?

(längere Pause) Der Tünnes durchaus, finde ich. Diese Nase erinnert mich an manche Kneipengänger. Mein Vater hatte eine Autoreparatur in der Kurfürstenstraße. Und wenn der mich mitnahm in seine Südstadtkaschemmen, dann standen sie da alle an der Theke: die Tünnesse, Schäls und Bestevas.

Und wie sieht´s bei den Frauen aus?

Die Zänkmanns Kätt und die Marizebill triffst du auch heute noch auf der Straße, wenn du durchs Severinsviertel gehst. Die sind schon sehr kölsch.

Ist Knollendorf Köln?

Knollendorf ist überall, jedenfalls überall im Rheinland. Ob es gerade um ein Dorf geht oder die Stadt, hängt vom jeweiligen Stück ab.


Welche Zeit repräsentiert denn die klassische Knollendorf-Kulisse?

In mancher Hinsicht ist die zeitlos, denn das klassische Knollendorf sind drei Bühnenbilder in einem. Rechts stehen dörfliche Fachwerkhäuser, in der Mitte meistens ein Landschaftsprospekt. Und auf der linken Seite reihen sich Stadthäuser aneinander. Das stammt aus alter Zeit, aber für heutige Regisseure ist das nicht mehr zeitgemäß. Die wollen möglichst für jede Szene ein separates Bühnenbild. Und das ist ja auch gut so,denn der Zuschauer bekommt so optisch natürlich viel mehr geboten

Gibt es zeitgenössische Themen, die Sie im Hänneschen gerne sehen würden?

Ich wünsche mir manchmal, dass sogenannte Randgruppen mehr in den Knollendorfer Alltag einbezogen werden. Insgesamt ist mir das Hänneschen auch nicht politisch genug.

Wie meinen Sie das?

Denken Sie mal an die neue Moschee, oder an die Keupstraße. Türkische Puppen haben wir gar nicht, da wird dann höchstens mal eine vorhandene mit Schnäuzer versehen und Goldkettchen behängt. Gerade die türkische Kultur und Mentalität mehr zu thematisieren finde ich wünschenswert, trotz oder vielleicht gerade wegen der Tradition des Theaters. In der vergangenen Puppensitzung hat sich im übrigen gezeigt, dass dies beim Publikum sehr gut ankommt, und vielleicht würden dann sogar in Zukunft mehr türkische Mitbürger den Weg ins Hänneschen finden.

Und wie steht´s mit den Politiker-Mitbürgern?

Ich finde, die Obrigkeit sollte noch viel mehr ins Visier genommen werden, gerade hier in Kölle gibt es dazu wahrlich genug Anlass. Als Puppenbühne hätten wir viel eher als andere Theater die Möglichkeit, da richtig draufzuhauen.


Tipp also für zukünftige Stückeschreiber: Schäl wird Architekt, baut postmoderne Moscheen und versucht, islamische Unterhändler übers Ohr zu hauen. Und nachher stellen sich alle zusammen an den Bierpavillon von Mählwurms Pitter und trinken, na was wohl: Düüvels Alt.

Hässlicher Panz
 

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