Mittwoch, 28. März 2012

Thekentänzer (53)

Herbert hat Durst

"Ich bin erst 26, aber meine Eltern haben mich Herbert getauft. Kannst du dir das vorstellen?"
Der Junge hebt den rechten Arm und schmeißt ihn gestikulierend durch die Luft.
"Herbert", ruft er in Richtung Kneipendecke, hinter der er, irgendwo über den Wolken, wohl einen bösen Urpaten vermutet. Leider hat er sich den Hocker rechts in der Nische ausgesucht, sitzt also direkt neben mir.
"Ich heiße Bernd", sage ich beschwichtigend, "da trägt man auch dran."
Aber Herbert kippt den Wodka, knallt das Glas auf den Tresen und sagt: "Noch einen."
Am rechten Hochtisch sitzt eine einzelne Frau, die wartet bestimmt auf ihren Macker. Wie sie aussieht – weiße Bluse, lila Handtasche, Brille mit Halskette – ist der Typ entweder Stenz oder BWLer. Keine Hilfe zu erwarten von denen.
"Kein normaler Mensch nannte sein Kind 1986 Herbert. Nur meine verstrahlten Eltern. Zwischen 1910 und ´30, ich hab das mal nachgesehen, da war ich richtig beliebt. Da lag Herbert an 11. Stelle im Schnitt. Direkt hinter Horst und Helmut. Und vor Ernst und Rudolf."
Herbert trinkt sein Glas aus: "Noch vor Rudolf, überleg mal!"
Draußen jagt der Wind über die Straßen, fegt den Dreck an die Bordsteine und zwei weitere Trinker in den Raum. Der eine ist Koch, den kenne ich. Aber ein Blick genügt, um zu realisieren, dass der heute keine Frikadelle mehr knetet. "N´ag", gurgelt er zur Begrüßung, "ma´a zw Glsch." Dann schlägt er seinem Kumpel auf den Rücken und fängt an zu husten.
"Wo du so nett fragst, Barmann: Herbert kommt von ´Heer´. Und der scheißheilige Heribert war ein verdammter Kölner Erzbischof. Der konnte Regen machen und alles, der hat sich um jede Dürrekatastrophe gekümmert. Und wenn du´s genau wissen willst: Ich will auch son heiliger Heribert sein."
Der betrunkene Koch horcht auf: "Du heißt Herbert, du hässliche Pocke?"
"Heer", schreit Herbert zurück, "wie ´hehr´. Eine ´hehre´ Absicht und so, verstehst du? Kölner?"
Das letzte Wort spuckt mehr, als er es spricht. Eine junge Frau steckt den Kopf zur Tür herein, sieht Herbert, sieht den Koch und will wieder gehen. Dann entdeckt sie ihre Freundin mit der weißen Bluse und lächelt gequält. Sie bleibt in der Tür stehen, während die BWLerin ihre Rechnung verlangt. "Stimmt so", sagt sie und legt statt der verlangten 1,40 zehn Cent mehr auf die Theke.
"Herbert von Karajan", ruft Herbert triumphierend. Er sticht mit einem imaginären Dirigentenstab in die Rauchschwaden und wirft den Kopf hin und her: "Herbert Wehner. Mach mir noch sonen scheiß Wodka, Barmann."
Der Freund des Kochs ist auf der Theke eingeschlafen. "Herbert Neumann kenn ich", murmelt der nun völlig entkräftete Küchenchef. Bald darauf legt er sich zu seinem trostlosen Freund.
Der Zeiger schwenkt auf Mitternacht, als Herbert zum finalen Schlag ausholt:
"So, und jetzt gibst du mir gefälligst einen aus, du kölscher Katholik."
Ich blicke ihn auf eine Art an, die er für überrascht halten mag. Und Herbert fährt fort: "Seit einer halben Minute haben wir den 16. März, mein Lieber. Und du wirst mich ja wohl jetzt nicht fragen, wessen Namenstag das ist."

Manchmal ist das Leben still


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Mittwoch, 21. März 2012

Interviews (2)

Der Flönz-Meister

Die kölsche Blootwoosch ist ein Mythos. Wer ihm auf die Spur kommen will, muss den Ehrenfelder Metzger Karlheinz Froitzheim besuchen. Denn dieser Mann ist sechsfacher Preisträger eines traditionsreichen Wettbewerbs namens: „Die beste Flönz“. Heute ist der Laden an der Landmannstraße geschlossen, aber der Meister arbeitet natürlich trotzdem. „Hoffentlich schmeckt der Kaffee“, sagt er, „die Maschine ist neu.“ Auf dem Tisch der kleinen Küche liegen die Kippen bereit, es kann losgehen.


Warum ist Flönz nicht das gleiche wie Blutwurst?

Die Blutwurst ist ein Produkt der alten Hausschlachtungen, und mit Flönz bezeichnet man halt die rheinische Variante. Der Rheinländer hat seine Blutwurst lieber ein bisschen knackiger.

(Karlheinz Froitzheim bleibt auch im Hochdeutschen immer als Kölner erkennbar. Das Wort Flönz spricht er mit einem sehr geschlossenen, ins ü gleitenden ö aus. So klingt es noch knackiger.)


Unsere Flönz ist tatsächlich fester als anderswo?

Ja, die muss so richtig mangs sein, verstehen Sie? Die Flönz ist heute eine kölsche Spezialität, da kommt es enorm auf die Abstimmung an. Nehmen Sie etwa den Speck, der sollte vom Rücken des Schweins kommen. Kammspeck hingegen ist eher schmalzig.


In England isst man Black Pudding, ein ziemlich gewöhnungsbedürftiges Zeug.

Genau, in Irland tun sie noch Schafskäse dazu und mehr… wie etwa Grütze. Auch in Süddeutschland ist die Blutwurst fast schwarz, die wird da geräuchert.

Ich habe es so gelernt, dass die Flönz immer die Arme-Leute-Wurst war.

Klar, früher war auch Mettwurst mit Grünkohl ein preiswertes Essen. Aber sehen Sie sich heute mal die Speisekarten an, auch von den schickeren Restaurants. Da sind diese alten Sachen inzwischen sehr populär, weil sie schmackhaft und nahrreich sind.


Auch die Flönz-Herstellung scheint eine Kunst für sich zu sein.

Durchaus, bei der Verarbeitung spielt sogar das Wetter eine Rolle. Im Sommer ist es viel einfacher.

Wieso das?

Weil das Blut und die übrigen Zutaten dann nicht so schnell erkalten. Im Kutter (von englisch to cut = schneiden, große Schüssel zum Schneiden und Vermengen der Ingredienzien, B.I.) brauchen Sie eine Temperatur von 35 bis 55 Grad. Die Masse soll ja emulgieren, also sich schön vermengen.

Kann man so etwas nicht per Computer steuern?

In einem Industriebetrieb könnten sogar Sie die Wurst machen. Da tun Sie einfach, was die Maschine Ihnen sagt: „Jetzt Kräuter beigeben!“ Aber das hier ist ein Handwerksbetrieb. Für gute Wurst brauchen Sie Fingerspitzengefühl, genau wie für einen guten Kuchen zuhause.


Und darüber hinaus?

Ich kann nur etwas Gutes herstellen, wenn ich gutes Ausgangsmaterial habe. Deshalb fahre ich jeden Tag zum Schlachthof, da bekomme ich alles frisch. Und wo Sie Frisches reintun, kommt auch Frisches raus.

Und wie wird aus den ganzen Zutaten ein Flönzring?

Wichtig ist, dass bei der Wurstherstellung eine Einheit entsteht. Das soll schließlich alles appetitlich aussehen. Der Speck wird zum Beispiel kurz mit 90-Grad-Wasser überbrüht, damit er sich danach nicht vom Blut rot verfärbt.


Bei 90 Grad schließen sich die Speckporen?

(lacht) So ungefähr, der muss schneeweiß bleiben, und nach dem Kochen muss man den flitschen können.

(Froitzheim unterstützt diesen Satz mit einem Fingerschnicken. Ohnehin arbeitet er beim Reden stark mit Händen und Armen - da spricht der engagierte Handwerker, immer voll bei der Sache.)

Ich nehme an, da hat jeder Metzger seine kleinen Geheimnisse. Liegen die vor allem im Bereich der Gewürze?

Es gibt zunächst mal bundesweit verbindliche Leitsätze bezüglich der Zutaten. Ich darf da nicht reintun, was ich will. Metzgereien werden schärfer kontrolliert als Krankenhäuser, das muss auch so sein.Und weil ich keine chemischen Zaubermittelchen benutze, ist die Gewürzabstimmung natürlich sehr wichtig. Auf jeden Fall brauchen Sie Salz, Pfeffer, Thymian, Majoran, ein bisschen Muskatblüte, Nelke und Kardamon.

Klingt nach einem edlen Blutcocktail.

Gerade Kardamom ist unheimlich gefährlich. Der macht pro Kilo nur 0,05 Gramm aus, wenn Sie davon ein bisschen zuviel reintun, haben Sie alles verwürzt. Und so lernt jeder Metzger über die Jahre dazu und entwickelt seine eigene Mischung.


Sie sind nun seit über 30 Jahren Fleischer. Haben Sie schon als Kind davon geträumt, Bäuche aufzuschlitzen?

Wissen Sie, ich bin in einer Metzgersfamilie aufgewachsen, und für mich war immer klar, dass ich auch Metzger werde. Als ich von der Schule ging, sollte man noch einen zweiten Berufswunsch fürs Zeugnis angeben, aber das konnte ich gar nicht. Im übrigen ist das ja auch ein sehr kreativer Beruf.

Inwiefern?

Ich haben einen Rohstoff und mache daraus ein edles, schmackhaftes Produkt, das den Kunden gefällt.

Sie sind 2011 zum sechsten Mal Sieger des Wettbewerbs „Beste Flönz“ geworden.

Ja, das gab es noch nie. Und selbstverständlich wissen die Juroren nicht, von wem die Wurst jeweils stammt.


Die haben über 300 Flönze verköstigt, das scheint ein richtig harter Job zu sein.

Naja, das sind ja mehrere. Die Ergebnisse entstehen in der Summe der Kriterien Geruch, Biss, Geschmack und Konsistenz. Ab einer gewissen Punktzahl bekommt man eine Goldmedaille, aber auch unter den Preisträgern wird dann nochmal der Beste gekürt.

Wie wirkt sich dieser Erfolg auf Ihr Geschäft aus?

Ich muss auf jeden Fall mehr machen, allein diese Woche kamen Leute aus Leverkusen, Düsseldorf und Bochem hier vorbei. Ich verschicke unsere Flönz sogar an ein Gourmetrestaurant in Norddeutschland, für die Leute dort ist eine rheinische Blutwurst was ganz Besonderes. Aber diese Verschickung kann ich natürlich nicht endlos ausdehnen.


Weil Ihre Flönz ein Verfallsdatum hat.

Richtig, da sind keinerlei Frischhaltemittel drin. Meiner Meinung nach beeinträchtigt jeder Zusatzstoff den Geschmack, und das will ich nicht.

Im Discounter bekommt man einen Flönzring für ein bisschen Kleingeld. Was sollte ein guter kosten?

Bei mir kostet das Kilo 9,90 Euro, das heißt, den Ring kriegen Sie für rund 8 Euro. Aber da ist dann auch noch gutes Fleisch drin, und ich mache die dreimal die Woche frisch. Mit Supermärkten kann und will ich nicht konkurrieren.

Kleiner Schnitt, wenn auch nicht mit dem Messer: Wer sind die Kölner Fleischersänger?

Die Fleischersänger von 1902 e.V. (lacht)! Die wollten mich auch schon haben.

(Ein schönes Zitat aus der Fleischersänger-Satzung: „Man muss kein Metzger sein, um bei uns mitzusingen, doch sollte man Fleisch und Wurst essen und diese im Fleischer-Fachgeschäft kaufen.“)

Sie sind doch in einem entsprechenden Gremium, oder?

Ja, ich bin mit im Vorstand der Kölner Fleischer-Innung, zu der der Chor gehört. Der singt gern auch auf Karnevalssitzungen.

Und Sie, mit Ihrer Marlboro-geschwängerten Stimme, sind nicht dabei?

Glauben Sie mir, ich kann nicht singen. Und außerdem sag ich mal, ich bin auch noch ein bisschen jung dafür. Die Jungs sind alle schon in einem gewissen Alter.

Gibt es eine volkstümliche Tradition von Metzgersliedern? So Songs über Koteletts und Wildschweinbraten?

Da weiß ich jetzt nichts von, da müssten Sie mal die Fleischersänger direkt fragen.

So etwas wie „Blootwoosch, Kölsch un e lecker Mädche“ kann doch eigentlich nur von einem Fleischer geschrieben worden sein.

(lacht) Das können die Jungs jedenfalls aus dem Eff-Eff singen!

Der Karneval naht schon wieder. Könnte man vor dem Ausgehen statt Muuzemandeln nicht auch Flönz essen?

Nein, denn da fehlt der Fettgehalt! Die fetteste Wurst ist die Teewurst, Flönz kann da nicht mithalten. Andererseits passt Blutwurst schon gut zum Winter: etwas „schwerere“ Kost halt, so wie Leber- oder auch Zungenwurst.

Was wäre denn im Gegenteil leichte Wurst?

Im Sommer verkaufe ich eher Fleischwurst oder Sülze. Sie kennen das doch selbst: Wer hat schon bei 30 Grad im Schatten Lust auf Schweinebraten? Da essen Sie doch eher ein leichtes Salätchen.

Und wie essen Sie persönlich Ihre Flönz am liebsten?

Roh, mit Zwiebelchen und Senf auf einem Brötchen.

(Nach dem Interview verschwindet der Meister im Kühlraum und kommt mit einer seiner preisgekrönten Flönze zurück. Darf man solch ein Geschenk als unabhängiger Journalist überhaupt annehmen? - Egal, das Teil riecht einfach zu gut.)

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Zur Person

Karlheinz Froitzheim, geboren 1964, wuchs in Ehrenfeld auf. Nach der Fachoberschulreife absolvierte er eine Metgerlehre, brachte es 1987 zum Meister und arbeitete bis 1991 mit im Geschäft seiner Eltern in Vogelsang. Ein anderer Vorfahr von Frotzheim hat es sogar zum Kölner Erzbischof gebracht hatte: Philipp Krementz lebte von 1819 bis ´99.
Nach der Meisterprüfung 1987 und einer Wander- und Lernzeit durch verschiedene Metzgereien feierte er im Jahr 2000 die Eröffnung des eigenen Ladens in der Landmannstraße 36 in Ehrenfeld. Seither gewann Froitzheim sechs Mal den Wettbewerb zur Besten Flönz des Jahres.


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Mittwoch, 14. März 2012

Geschichten aus 1111 Nächten (20)

Anton und der Blinde

Anton, der alte Taugenichts, schlenderte ziellos durch die Altstadt. Sein vom Vorabend benebeltes Hirn erlaubte ihm keinen klaren Gedanken zu der Frage, was mit diesem Tage wohl anzufangen sei. Zarter Schnee bedeckte das Pflaster, und als er am Fischmarkt anlangte, sah er dort einen blinden alten Mann auf einer Bank sitzen. Und weil er ja ohnehin nichts Besseres vorhatte, ließ er sich neben ihn nieder.
Die beiden stellten einander vor, und der Blinde sprach: „Sag mir, Anton, wie der Schnee ist.“
„Er ist weiß“, antwortete Anton nach einigem Nachdenken.
„Aha“, sagte der Blinde.
Und nach einem weiteren Moment fragte er: „Wie ist weiß?“
„Weiß“, hob Anton müde an, „weiß ist wie Bierschaum.“
„Aha“, machte der Blinde erneut.
Nur um bald darauf nachzuhaken: „Und wie ist Bierschaum?“
„Also Bierschaum“, sagte Anton und leckte sich die Lippen unter der großen, triefenden Nase. „Bierschaum ist wie die Möwen auf dem Rhein, wie die Schwäne auf dem Aachener Weiher ...“
„Aha“, sagte der Blinde.
Und dann wollte er wissen: „Sag mal, Anton, was ist ein Schwan?“
Anton straffte sich ein wenig, als er antwortete: „Tja, also, das ist so ein stattlicher Vogel mit großen Flügeln, einem langen, gebogenen Hals und so einem Schnabel ...“
Dabei beugte Anton seinen Arm und bog das Handgelenk so nach unten, dass es aussah wie ein Schwan. Der Blinde indes streckte die Finger aus und strich langsam und sorgfältig über Antons Arm und Hand. Dann sagte er lächelnd:
„Ah, jetzt weiß ich, wie Schnee ist.“

Weiße Vögel im Römisch-Germanischen Museum

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Mittwoch, 7. März 2012

Interviews (1)

Der Bier-Sommelier

Das Wort reimt sich, wenn man es hochdeutsch ausspricht: Bier-Sommelier. Andree Vrana ist Braumeister bei der Malzmühle am Heumarkt. Da setzt er Kölsch an. Und nebenher probiert er so einiges aus. An jenem Morgen um 11 wird im Beichtstuhl gerechnet, die Köbesse richten die Tische her und es riecht nach Kölsch und Senf. Andree Vrana nimmt an einem Hochtisch in der Schwemme Platz.

Im letzten Jahr haben Sie an der Biersommelier-WM teilgenommen. Wie muss man sich so einen Wettkampf vorstellen?

Da finden wie bei jedem großen Turnier Vorausscheidungen statt. Die 50 Bsten kamen dann zur Endrunde, da waren Sommeliers aus Lichtenstein, Brasilien oder auch Italien dabei.

Bier aus Italien?

Oh ja, Hausbrauereien, das ist eine Boombranche in Italien.

Italienisches Bier ist teuer und labberig.

Richtig, so war das bisher. Aber die haben sich inzwischen viel bei den deutschen Brauern abgeguckt und machen ganz phantastische Biere.

Läuft so eine WM wie Loriots Benimmkurs: Am Ende haben die Probanden so viel getestet, dass alle nur noch lallen?

Nein. In der 1. Runde zum Beispiel bekamen wir zehn Biere mit sogenannten Off-Flavours vorgesetzt. Da geht es darum, mit der Nse zu erkennen, was da Besonderes drin ist. Das kann mal ein echter Fehlgeruch sein, mal ein positiver, der aber nur für dieses spezielle Bier geeignet ist.

Welcher etwa?

In einem böhmischen Pils wäre Diazetyl angebracht, ein butteriges Gärungsnebenprodukt. In einem deutschen Pils hingegen nicht. Und so etwas musst du als Biersommelier erkennen.

Und wie entsteht so ein regionaltypischer Geruch?

In dem Fall war das ursprünglich ein Nebenprodukt, das sich durch leichte Verunreinigung entwickelte. Als Pilsener Urquell sich dann eine neue Edelstahl-Brauerei baute, verschwand das Diazetyl, und die Kunden erkannten ihr Pils nicht wieder.

Also mussten die ihr Bier künstlich verunreinigen?

Nein, Diazetyl ist einer von rund 600 verschiedenen Stoffen, die während der Gärung entstehen und dem Bier sein Aroma verleihen. Normalerweise wird Diazetyl dann in der Nachgärung abgebaut. Aber wenn man frühzeitig runterkühlt, kann man es erhalten.

Bier-Sommelier, das klingt für den normalen Thekensteher ein bisschen überkandidelt. Woher stammt der Begriff?

Der stammt aus Kreisen der deutschen und österreichischen Braumeister-Organisationen. Seit gut zehn Jahren sinkt der Bierkonsum gegenüber dem von Wein. Und die Leute sagten sich: Wir wollen den Menschen jetzt mal zeigen, dass es auch im Biersektor sehr gute, hochwertige Produkte gibt.

Also eine Marketing-Sache?

Jedenfalls nicht im Sinne von Schaumschlägerei. Es geht darum zu zeigen, dass es neben den industriell hergestellten, langweiligen Fernsehbieren noch andere gibt, die handwerklich hergestellt werden und einen ganz eigenen Charakter haben.

Was meinen Sie mit „Fernsehbiere“?

Die großen, im Fernsehen beworbenen Marken, schmecken inzwischen weder herb noch malzig, die sind alle sehr ähnlich. Und das ist mit ein Grund, warum die Menschen auf Wein umsteigen.

Sommeliere stellen auch die Getränke zum Essen zusammen. Machen wir es doch einmal genau umgekehrt und fragen: Welches Essen passt am besten zu folgenden Bieren: Pils?

(Andree Vrana hat offensichtlich Spaß an dieser Aufgabe. Er konzentriert sich, blickt in die Luft und scheint in Gedanken bereits vorzuschmecken, was er gleich empfehlen wird.)

Ein Pils ist ein schlankes Bier, hochvergoren, wenig Malzzucker, herb. Eignet sich gut als Aperitiv, denn die Kohlensäure regt regt die Speichelproduktion im Mundraum an und damit den Appetit. Auch ein milder Fisch ginge damit gut.

Was essen wir zum Alt? Salzstangen?

Wenn wir von Alt aus einer guten Hausbrauerei reden, von einem stark gehopften Bier mit intensivem Röstmalzaroma, dann könnte man dazu gut gewürzte, auch scharfe Speisen empfehlen.

Guinness?

Ich trinke gern Guinness Export, das ist mit 8% Alkohol doppelt so stark wie normales. Die verwenden außer Gerstenmalz auch den Rohstoff Gerste, das entspricht also nicht dem Deutschen Reinheitsgebot. Aber dafür entwickelt es wunderbare Röstaromen und gibt einen festen Schaum. Dazu passen zum Beispiel Austern.


Und zuletzt natürlich Kölsch, oder in Ihrem Fall Mühlenkölsch?

Klarer Fall, zu so einem gut gehopften Bier isst man einen klassischen Halven Hahn (lacht).

Welchen Negativruf muss Bier heutzutage loswerden?
Auf Karikaturen sieht man keine Biergenießer, sondern immer nur Säufer.

Sollte man beim Biertrinken den kleinen Finger abspreizen?

Nein, das natürlich nicht, aber man kann seinen Biergenuss durchaus verfeinern. Ich habe zu Hause einen Klimaschrank, und wo andere sich ein Fläschchen Wein hochholen, suche ich mir ein besonderes Bier aus diesem Schrank aus.

Gibt es Leute, die sagen: Andree, was soll der Quark?

Na klar, die kommen bei mir Fußball gucken und beschweren sich, weil ich kein normales Kölsch besorgt habe. Auf positive Reaktionen stoße hingegen ich oft in meinen Bierseminaren. Da sind es häufig die Weintrinker, die einen Sinn für die verschiedenen Aromen entwickeln und dann richtig Spaß am Testen haben.

Sie sind seit 25 Jahren bei der Malzmühle als Kölschbrauer beschäftigt. Ihr Name klingt allerdings nicht so richtig rheinisch.

(lacht) Tja, mein Opa ist noch kölsch, aber mein Uropa muss wohl aus dieser Ecke Slowenien, Polen oder so gekommen sein.

Eine verborgene genetische Affinität zu tschechischem Pils haben Sie aber nicht?

Nä! Ich trinke es gern, klar, aber ein gutes Kölsch ist mir lieber.

Zuletzt haben Sie ein Bier mit Champagnerhefe angesetzt.

Ja, das entsprach vollkommen dem Reinheitsgebot.

Und was ist der Unterschied zwischen solchem Champagnerbier und den bei Jugendlichen beliebten Alcopops?

Ich kippe nichts zusammen. Man kann Kirschsaft ins Bier schütten, wie das manchmal in Belgien gemacht wird. Die handwerklich saubere Alternative wäre jedoch, die Kirschen bereits beim Gärprozess hineinzugeben.


Der Trend geht eher in die andere Richtung: Biere werden plötzlich „blond“ und immer milder.

Genau, und das mit der Begründung, dass vor allem Frauen nicht auf bitter stehen. Dabei sieht man überall Frauen mit Aperol oder Campari-Orange in der Hand. Auch bei meinen Verkostungen mögen gerade die Frauen die herberen Biere.

Die kölschen Brauer gelten ja eigentlich als sehr konservativ. Beißt sich das nicht mit Ihrer Experimentierfreudigkeit?

Ich hatte es schon schwer, als ich 2006 als Sommelier angefangen habe. Aber das ist eben ein Trend, man muss mit der Zeit gehen.


Dürfen Sie Ihre Kreationen „Kölsch“ nennen?

Nein! Das ist ja ein geschützter Begriff. Unser „Von Mühlen“ nannte eine Zeitung „Champagner-Kölsch“ - das waren direkt zwei EU-weit geschützte Regionalmarken auf einmal. Und wenn ich jetzt Kirsche beisetzen würde, widerspräche das nicht nur der Kölsch-Konvention, sondern darüber hinaus auch dem Reinheitsgebot.

„Von Mühlen“ wird in Schampusflaschen verkauft, und da sei sogar Karamell drin, habe ich gelesen.

Da ist ein Hauch von Karamell im Aroma und Geschmack, durch das karamellisierte Gerstenmalz. Nicht Karamell wächst auf dem Feld, sondern Gerste. Mir geht´s halt darum, dass die Leute nicht so blind werden, dass bald alle Biere auf der Welt gleich schmecken.

Man sagt, dass in Hausbrauereien wie Päffgen oder der Malzmühle sogar jeder Brauvorgang leicht unterschiedliches Kölsch hervorbringt. Stimmt das?

Ja, aber das merken auch nur Menschen mit besonders guten Geschmackssensoren. Zum einen liegt das an den Rohstoffen, die variieren wie das Wetter und die Ernte. Und auch die eigene Sensorik kann jeden Tag nach Gefühlslage variieren. Ich sage immer: Der Luigi von der Ecke macht seine Pizza auch montags anders als dienstags. Und trotzdem entspricht das Endprodukt immer dem Haus-Charakter.

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Zur Person

Andree Vrana wurde 1970 in Köln geboren, er wuchs in Nippes auf. Nach dem Fachabitur absolvierte er bei der Malzmühle eine Lehre als Brauer und Mälzer. Auch 25 Jahre später arbeitet er noch immer für die Brauerei am Heumarkt.
Im Jahr 2004 zum Braumeister aufgestiegen, darf er sich seit 2006 zudem „Biersommelier“ nennen. Zuletzt entwickelte er „Von Mühlen“, ein Bier auf der Basis von Champagnerhefe. Andree Vrana, der inzwischen in Weidenpesch lebt, veranstaltet darüber hinaus auch Bierseminare und -tastings (s. www.coellenarium.de).

Erstveröffentlicht in der Kölnischen Rundschau.

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