Mittwoch, 1. Februar 2012

Geschichten aus 1111 Nächten (18)

Das heilige Zittern

Anton und Jean, die beiden alten Streithansel, saßen auf einer Bank am Rheinufer. Das Fläschchen Bier in ihren Händen ging gerade zur Neige, und unter Antons dicker roter Nase qualmte die letzte Camel ohne. Das drohende Ende des Idylls schien ihn nervös zu machen, rief er doch plötzlich aus:
„Unser Pastor ist zehnmal besser als eurer.“
Und dazu muss man wissen: Anton wohnte seinerzeit in Ehrenfeld, Jean hingegen, der schielende Filou, in einer Villa in Bayenthal.
„Nie im Leben“, reagiert Jean prompt.
„Oh doch“, rief Anton. „Unser Pastor hat einen so starken Glauben; der ist von einer solchen Ehrfurcht vor Gott beseelt, dass er den ganzen Tag zittert. Und nachts muss er in seinem Bett festgebunden werden, weil er sonst vor lauter Zittern herausfiele.“
Jean schien wenig beeindruckt: „Das ist doch noch gar nichts“, erwiderte er. „Denn unser Pastor in Bayenthal ist dermaßen heilig, dass im Gegenteil der liebe Gott vor ihm zittert. Das hättest du jetzt nicht gedacht, was?“
In diesem Moment regte sich etwas hinter ihnen im Gras. Da hatte vorhin noch ein kleines, buckliges Männchen geschnarcht, das den beiden aber schon seit geraumer Zeit zuhörte. Nun sprang es hoch, baute sich leicht wankend vor ihnen auf und stellte sich als Hermann vor, genannt Manes. Und furchtbar stotternd und speiend hob der Manes an:
„Ihr zwei habt doch überhaupt keine Ahnung, was heilig ist. Da solltet ihr nämlich erstmal unseren Pastor in Kalk erleben, der ist noch heiliger als der Heilige Willy persönlich!“
Anton und vor allem Jean lachten hämisch in sich hinein bei der Erwähnung jenes Veedels. Aber der Spaß sollte ihnen vergehen.
„Der hat zuerst auch geraume Zeit gezittert wie Espenlaub. Irgendwann später dann fing Gott an, vor ihm zu zittern, dass es gar nicht mehr aufhören wollte. Und dann holte sich unser Pastor ein Fässchen Messwein aus dem Keller, setzte sich, wie es seine Art war, auf die stille Orgelempore und begann, ernsthaft nachzudenken. Und was glaubt ihr, was er dann tat?“
Anton und Jean konnten ihre Neugier kaum verhehlen und drängten den Manes, seine Geschichte zuende zu bringen.
„Nun ja“, fuhr dieser endlich fort. „Unser lieber Pastor ging dann also zu Gott, und er fragte ihn: ´Hör mal, Gevatter, warum zittern wir eigentlich?´“


Historisches Taufbecken, Kalk (um 1823)


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