Mittwoch, 22. Juni 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (8)

Der Fremde vom Rheinauhafen

Als der Rheinauhafen noch von echten Schiffern angefahren wurde, lief dort eines Tages ein Boot mit einem ganz und gar ungewöhnlichen Kapitän ein. Kaum angelangt, steuerte er auch schon die erstbeste Hafenspelunke an. Und darinnen saßen, wie nicht anders zu erwarten, der rotnasige Anton und sein schielender Freund Jean.
Gerade hatte sich der fremde Kapitän sein erstes Seemanns-Gedeck bestellt, da sprach Anton ihn auch schon an:
„Wie wär´s denn mit einer Runde Skat, mein Bester?“
Der Kapitän ließ sich nicht lumpen, orderte ein zweites Gedeck und setzte sich zu den beiden. Ein großer, ruhiger Mensch war das, und den ganzen Weg von Holland hatte er gemacht, um in Köln ein paar Waren umzuschlagen. Mit einer Runde war es längst nicht getan, und bald saßen sie im Dämmerlicht, die Spieler. Jean rief den Wirt zu sich und ließ eine Kerze anzünden. Weil die Drei aber die Karten nach den zahlreichen Kölsch & Rum allzu hart droschen, fiel die Kerze andauernd um und verlosch. Jean verlangte nach einem Ständer, aber der weitgereiste Kapitän meinte, er habe eine bessere Idee. Indem griff er nach seinem Seesack und beförderte eine schwarze Katze ans Licht.
„Hier“, sagte er, „habt Ihr den besten Kerzenständer, den Ihr finden könnt. Einen besseren gibt es in ganz Köln nicht.“
Er setzte die Katze auf den Tisch, steckte ihr die entzündete Kerze zwischen die Vorderpfoten und mischte die Karten.
Schon bald war der ganze Hafen zusammengelaufen, um das Schauspiel zu bewundern. „Ohs“ und „Ahs“ schallten durch die öde Spelunke, die niemals solch einen Auflauf erlebt hatte. Von den Leuten befragt, erklärte der Kapitän:
„Die Katze trainierte ich einst auf dem Weg zum Indischen Ozean. Furchtbar rauh ist die See dort, und wer des Abends ein Spielchen machen will, dem hilft kein herkömmlicher Kerzenständer.“
Anton, der aufmerksam zugehört hatte, zog die Stirn kraus. Seine anfängliche Verblüffung war einem unbewussten Missgefühl gewichen. Dieser Kapitän, so sprach etwas in seinem rumverschwappten Hirn, ist ein gestrichener Angeber!
„So gut ist deine Katze nun auch wieder nicht. Die Natur ist schließlich noch immer stärker als jede Dressur.“
„Ich will verdammt sein“, erwiderte der Kapitän mehr als ein wenig zu laut, „ich will verdammt sein, wenn mein Kätzchen mir nicht folgt. Lass uns wetten, du schnapsnasiger Gesell.“
Und so wetteten sie. Anton setzte die Flönz, die er irgendwann heute morgen eigentlich für seine allzeit wachsende Familie erworben hatte. Und der Kapitän hielt – ein bisschen geheimnisvoll tuend – die neueste Gourmet-Erfindung aus Holland dagegen.
Dann nahmen sie das Spiel wieder auf. Schon längst war keiner der Drei mehr in der Lage, Augen und Trümpfe nachzuhalten, und so wechselte das Glück seinen Besitzer wie dieser die Unterhosen. Als Anton wieder einmal an der Pissrinne stand, kam ihm eine Idee. Schnell kroch er in eine der düsteren Ecken des Klosetts, wurde fündig und kehrte zum Tisch zurück. Kaum hatte er die Maus, denn nichts anderes hatte er in der Kloake gesucht, auf den Tisch gelegt, da ließ die Katze auch schon von der Kerze und jagte stattdessen sein Beutetier.
Womit bewiesen war, dass die Natur stärker ist als jede Dressur.
Auch der Fremde gab das ohne Umschweif zu, was die noch immer zahlreichen Umstehenden zu Applaus hinriss. Alle fragten sich neugierig, worin denn nun die allerneueste holländische Delikatesse bestünde, wie also der Kapitän seinen Wetteinsatz einzulösen gedächte. Und nachdem er sich ein letzten Gläschen Rum einverleibt hatte, schritt er zur Tat: Schnitt ein halbes Röggelchen entzwei, bestrich es mit Butter, legte reichlich holländischen Gouda darauf und erklärte, nicht ohne zuvor noch einen Strich Senf darüber verteilt zu haben, sein Gericht für fertig.
Anton und Jean, die seit dem Morgen nichts an fester Nahrung zu sich genommen hatten, schlangen das Röggelchen hinunter, ohne ein einziges Mal zu atmen. Und die Leute verstreuten sich und erklärten einem jeden das Rezept für den allerneuesten, alleredelsten Happen.

Am nächsten Morgen, das dürfte klar sein, gab es in ganz Köln niemanden, der nicht so ein Röggelchen mit Gouda probieren mochte. Und von diesem Tag an galt der Halve Hahn als kölsche Spezialität. Wenn Ihr mich jedoch nach dem fremden Kapitän fragt, muss ich passen. Er ward nie wieder gesehen.

Halver Hahn, holländischer Hype


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