Mittwoch, 16. Februar 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (2)

Der Besuch des alten Freundes

Jean war durch verschiedene zwielichtige Transaktionen wohlhabend geworden und in eine Hahnwälder Villa gezogen. Anton hingegen lebte weiterhin als bitterarmer Schlucker in Kalk. Wenn er an seinen alten Freund dachte, schämte er sich. Eines Tages jedoch raffte er sich auf und besuchte Jean. Fuhr mit der 1 über den Rhein und spazierte tapfer gen Süden ins Reichenviertel.
„Das freut mich aber, dich zu sehen“, sagte Jean, als seine Haushälterin den abgerockten Kerl mit der roten Knollennase vorgelassen hatte. Und schnurstracks strich er alle weiteren Termine, um sich dem alten Kumpel aus schwerer Zeit zu widmen.
Zunächst zeigte er ihm seinen Hausstaat: die Küche, größer als Antons gesamtes Zweiraumapartment; das Wohnzimmer mit dem kinotauglichen Beamer; den Garten mit dem Hubschrauberlandeplatz. Danach – beziehunsgweise eigentlich auch schon zuvor – schenkte er Anton vom teuersten schottischen Malzwhisky ein und bestellte per Kurzwahlklick vier hübsche, junge Prostituierte nach Hahnwald.
Wie es der Zufall so wollte, hatte Jean einige Monate darauf beruflich in Kalk zu tun. Es ging um den lukrativen Kauf eines verrotteten Häuserblocks der städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Keinem Zufall hingegen entsprang das erneute Aufeinandertreffen der beiden Freunde aus Kindertagen: Jean, obwohl er stark schielte, erspähte Anton nämlich auf jener Bank, auf der letzterer allmittags sein Fläschchen Kölsch zu trinken pflegte. Als er Jean erblickte, bestand er darauf, ohne Wenn und Aber, ihn zu sich nach Hause einzuladen. Man trank ein paar kurze Korn und teilte sich eine Tiefkühlpizza. Als es an den Abschied ging, sagte Anton: „Du schuldest mir 5 Euro.“
Jean jedoch weigerte sich zu zahlen und verließ das Haus mit Empörung über diese - so empfand er es - unter Freunden frevlerische Forderung. Auch Anton sprang rasch auf die Straße und schlug folgenden Kompromiss vor: „Lass uns den Pastor entscheiden, das ist schließlich in Köln so üblich.“
Jean war einverstanden, und so spazierte man schweigend zur Kirche. Der Veedelsgeistliche hörte sich die Geschichte an und befand ohne zu zögern, dass Anton Recht habe. Jean, zähneknirschend, drückte den Fünfer ab und stieg in den abgedunkelten Fond seiner Limousine. Als der Chaffeur jedoch bereits den Motor gezündet hatte, sah Jean den Anton herbeieilen und mit jenem Geldschein winken. Er ließ das Fenster herunter, zugleich erzürnt und verwundert. „Was willst du denn nun noch?“ fragte er den zerlumpten Ex-Freund.
„Dir dein Geld zurückgeben will ich“, antwortete Anton.
„Und wieso das?“
„Nun, du hast mir so viel gezeigt, als ich bei dir im Hahnwald war. Deinen Garten, deinen edlen Whisky und die jungen Frauen, mit denen du dich bei Bedarf umgibst. Und da habe ich halt überlegt, was ich im Gegenzug dir bieten könnte.“
„Und zwar?“
„Tja, das einzige, was ich dir zeigen konnte, ist der bescheuerte Pastor, den wir hier haben.“

Hahnwald-Villa. Als hier noch Armut herrschte, befand sich in diesen Mauern eine Farm, die Geflügelpressfleisch für Halve Hähne produzierte (siehe: Ölle. Die Stadt am Niehr, Emons Verlag)


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