Mittwoch, 12. Januar 2011

Thekentänzer (40)

Die Witwen vom Bürger-Eck

Bei uns im Parterre war immer ein Blumengeschäft. Die Frau hat den verlassen, da hat er sich erhängt. Mitte der 70er muss das gewesen sein, unten im Keller. Die Leute standen vor der verschlossenen Tür, und dann haben sie irgendwann bei dem privat geklingelt, und dann haben sie die Polizei gerufen. Wissen Sie, ich wohne jetzt 38 Jahre hier im Viertel, da kennt man jeden und da weiß man alles. Von meinem Küchenfenster aus kann ich meinen Kiosk sehen, das sind vielleicht sechzig Meter. Aber unter ner halben Stunde schaffe ich die nie. Direkt nebenan in Nummer 12 wohnt die Botze. Die hängt immer im Fenster. Der ihr Mann ist auch tot, schon lange. Der hatte ein Hörgerät, und die Botze hat immer ein Kissen unter den Ellbogen. Die hat fünf Katzen, bei der stinkt es wie aufm Männerpissoir an Karneval. Und das Katzenstreu schüttet die einfach ins Klo, bei denen drüben sind alle Naslang die Rohre verstopft: alles wegen der Botze! Aber unsere Männer haben zusammen Skat gespielt, da will ich nichts sagen. Im Bürger-Eck, das ist auch da vorn. Da machen die um 10 auf, und wenn ich aus der Mittagspause komme, seh ich da mal nach. Ein Stößchen Cola und wieder irgendein Verzäll. Da sitzen immer die gleichen, mein Mann und ich, wir hatten ja auch eine Kneipe. 18 Jahre lang, dann starb der einfach. Wissen Sie, mein Mann wollte eigentlich nie Kneipier sein, der hat bei Ford gearbeitet. Aber gerade drum war der der Beste. Den haben sie alle nur den Herrn Pastor genannt. Weil der so verschwiegen war, und weil der so gut zuhören konnte. Mein Mann, der ist jetzt schon elf Jahre tot, das war der geborene Wirt, sag ich dir. Der war auch bei den Blauen Funken, schmuck sah der aus.
Komm, wir nehmen noch zwei. Nächsten Monat werd ich 69.
Bei uns gibt es ja auch noch eine richtige Metzgerei, wo gibt es das schon noch. Da hol ich frühmorgens immer ein paar belegte Brötchen für den Kiosk. Da verdiene ich nix dran, die verkaufe ich für den selben Preis wie die in der Metzgerei. Die Frau Everts hat Haarausfall, musst du wissen. Die trägt immer ein Kopftuch, arme Frau ist das. Da ist nur noch so ein Gestrüpp auf dem Kopf, so ein paar Büschel, weißt du. Autounfall, der ihr Mann. Mit dem LKW umgekippt, irgendwo in Italien oder so. Die hat den sowieso nur immer fürn paar Tage gesehen, und dann sowas. Da könnte man meinen, hier leben nur Witwen.
Aber weißt du, was soll ich zuhause. Da wartet doch keiner auf mich. Ich lass den Kiosk schon extra immer bis um 11 auf, das ist lang. Ein langer Tag ist das, der Express riecht anders als die Kölnische Rundschau. Ich mag gern Cashew-Kerne, davon hol ich mir manchmal eine Dose aus dem Regal. Und dann geh ich nach Feierabend zum Bürger ins Eck. Nicht dass du was denkst! Ich besauf mich hier nicht! Ich bin keine Säuferin! Das ist nur zum Einschlafen, zweidrei Kölsch, dann ist gut. Mein Mann, der ist jetzt, warte mal … Der ist jetzt elf Jahre tot. Komm, Bernd. Wir nehmen noch zwei.

Jiri Dienstbier ist tot


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