Mittwoch, 1. September 2010

Coloniales (29)

Friedrich Schiller und die Heinzelmännchen

Hat Friedrich Schiller sein berühmtes Gedicht „Die Glocke“ bei August Kopisch („Die Heinzelmännchen zu Köln“) geklaut? Gleich mehrere überregionale Feuilletons griffen den spektakulären Vorwurf in den letzten Wochen auf, ohne dass eine einzige Kölner Zeitung reagierte. Grund genug also, wenigstens in dieser Kolumne die Fakten zusammenzutragen.
Zunächst einmal springt auf sprachlich-strukturalistischer Ebene die Homogenität der Ereignisse und Biographien ins Auge. Schiller erklärt den Werdegang einer - zwischenzeitlich berstenden - Glocke, und eins auf die Glocke bekamen auch die Heinzelmännchen. Beide, Schiller und Kopisch, sind Maienkinder, und beide fordern in ihren moralisch intendierten Werken zu Fleiß und Anstand auf. Schillers „Glocke“ erschien anno 1799, genau hundert Jahre, bevor man in Köln den Heinzelmännchenbrunnen errichtete. Und während Schiller seine Glocke in die Hand der „frisch Gesellen“ legt, steht Kopischs Brunnen vor dem „Brauhaus Früh“. „Frisch“ und „Früh“, das ist selbstverständlich ein Analogon zum idiomatischen Brüderpaar „Fromm“ und „Frei“.
Mindestens doppelt unterstrichen wird die These von Schillers Nacheiferung bei der Gegenüberstellung der beiden Poeme. Hier zwei exemplarische Auszüge:


Friedrich Schiller: Die Glocke

Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise,
Und lehret die Mädchen
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn´ Ende
Die fleißigen Hände,
Und mehrt den Gewinn
Mit ordnendem Sinn,
Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Die schimmernde Wolle, den schneeigen Lein,
Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
Und ruhet nimmer.


August Kopisch: Die Heinzelmännchen zu Köln

Die faulen Burschen legten sich,
Die Heinzelmännchen regten sich -
Und ächzten daher
Mit den Säcken schwer!
Und kneteten tüchtig
Und wogen es richtig,
Und hoben
Und schoben,
Und fegten und backten
Und klopften und hackten.
Die Burschen schnarchten noch im Chor:
Da rückte schon das Brot, das neue, vor!


Sofort erkennt auch der Laie die thematischen und rhetorischen Parallelen: In beiden Gedichten geht es um die Arbeit, um den mühseligen, dennoch mit Mut und Emphase zu bewätigenden Alltag. Wie Kopisch, so reiht auch Schiller einen „und“-Satz an den anderen, um so die Monotonie des Vorgangs sprachlich abzubilden. Auf den ersten Blick erkennt man auch das metrische Muster, das der Weimarer Dichterfürst bei Kopisch abgekupfert hat: Hier wie dort bestimmen stampfende Daktylen den Rhythmus: „Und lehret die Mädchen“ (Schiller) - „Und kneteten tüchtig“ (Kopisch).
Hier könnte man enden, der Beweis ist erbracht, zumal im Familiennamen „Kopisch“ nicht zufällig das Nomen „Kopie“ anklingt. Der große, 1802 geadelte Friedrich von Schiller hat eines seiner berühmtesten Gedichte dem kleinen Breslauer August Kopisch zu verdanken. Wäre da nicht noch ein weiteres Detail, das hier schlussendlich zu erwähnen ist.
Denn bezeichnend für den Weimarer Geist ist nicht zuletzt die reaktionäre Wendung, die der Dichterfürst dem kölnischen Original verpasste. Statt auf fleißige Männlein stößt man in der „Glocke“ auf Heimchen am Herd. „Die züchtige Hausfrau“ hütet die Küche, „lehret die Mädchen“, kurzum: hält das ganze Haus in Ordnung, während es den Mann nach draußen, in die weite Welt treibt, wie es an anderer Stelle sinngemäß heißt. Rückwärtsgewandter kann ein Frauenbild kaum sein, Schiller übertrifft hier jedes patriarchale Klischee. Bei Kopisch hingegen sind es die Zwerge, die schaffen, hier scheint bereits die Idee vom modernen, im Haushalt wie selbstverständlich mitwirkenden Mann auf. - Wenn man auch zugeben muss, dass die der Schneidersfrau zugeschriebene Neugier gleichfalls nicht ganz frei von geschlechterspezifischen Ressentiments ist.


Die Heinzelmännchen zu Köln. Man beachte die glockenhafte Mütze des 2. von links.



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