Dienstag, 11. Mai 2010



„Das war die Faust Gottes“

Soeben erschienen: Bernd Imgrund: „Ohne Rhein kein Dom. 33 spannende und ungewöhnliche Gespräche aus dem Kölner Leben“, Emons Verlag. Darin: Genau das, was der Untertitel verspricht, unter anderem mit Bömmel Lückerath, Shari Reeves, Fatih Çevikkollu, Suzie Kerstgens und Navid Kermani. Als Appetizer das folgende Interview mit dem 1974er Fußball-Weltmeister und 1978er Double-Gewinner mit dem 1. FC Köln, mit dem Lieblingsspieler einer ganzen Generation, mit Heinz Flohe also.


Ein Eiscafé in der Euskirchener Fußgängerzone. Der Mann auf der Bank am Fenster trägt Trainingsanzug und Turnschuhe. 1974 war er Fußballweltmeister, vier Jahre später führte er den 1. FC Köln zum Double. Heinz Flohe spricht normalerweise nie mit der Presse und ist deshalb genauso aufgeregt wie ich, der ich nun mein ewiges Idol interviewen werde.

Sie waren zugleich ein großer Dribbelkünstler und ein Mittelfeldregisseur. Was macht mehr Spaß: Ein Dribbling, bei dem man drei Leute stehen lässt, oder der tödliche Pass?
Das Größte für jeden Fußballer ist es, Tore zu schießen. Und wenn man wie ich aus dem Mittelfeld kam, dann musste man auch dribbeln können. Sonst kommt man ja nicht vors Tor.

Vor allem unter Hennes Weisweiler war der FC immer sehr offensiv ausgerichtet.

Der Hennes hat mit uns trainiert, die Flanken und Ecken ganz stramm reinzubringen, nicht so Dinger, wo oben Schnee drauf ist. Die waren wie Torschüsse, da schwärmt der Dieter Müller (1973-81 Mittelstürmer des FC, Imgrund) heute noch von.

Hatten Sie als Jugendlicher ein Vorbild?
Mein Vorbild war Stan Libuda. 1970 bei der WM in Mexiko war ich als Tourist, da hatten wir Riesenspieler auf den Außenpositionen: Libuda, Grabowski ...

... Löhr!
Die Nase auf Links, genau. (lacht)

Sie haben mal gesagt, Sie wären auch ohne Geld zum FC gegangen. Welchen Ruf hatte der Verein in den 1960er Jahren?
Das war alles superprofessionell, beim Clubhaus und den Anlagen angefangen. Das kann man nur mit dem heutigen FC Bayern vergleichen. Für Jungs, die aus dem Umkreis kamen, war der 1. FC Köln das Allergrößte. Ich sage immer: Wenn der Kremer nicht so früh gestorben und der Weisweiler früher gekommen wäre, dann wäre der FC so dominant wie heute die Bayern.

Es gab aber auch herbe Klatschen wie das 1:8 im Landesmeistercup 1962 beim FC Dundee.
Das Rückspiel habe ich noch als Zuschauer gesehen. Da stand es nach 20 Minuten 4:0 für den FC. Kurz danach kriegen die nen Elfmeter, und der Habicht verschießt den. Sonst hätte der FC das noch umgebogen.

Haben Sie auch mal überlegt, ins Ausland zu gehen?

Wir haben mal im Messe-Cup in Florenz gespielt, da habe ich zwei Tore gemacht. Nachher beim Bankett wurde ich angesprochen, ob ich nicht nach Italien wechseln wolle. Aber ich wollte hier nie weg.

Auch während seiner 13 Jahre beim FC hat Flohe immer in Euskirchen gewohnt. Wenn er –- vor allem nach Niederlagen – mal in Köln einen trinken ging, übernachtete er beim Masseur der Mannschaft. Die Eifel sei einfach „wunderschön“, sagt er. Sein Stammcafé besucht er jeden Tag, hier ist er „der Heinz“.

Erst gegen Ende Ihrer Karriere sind Sie dann noch kurz zu 1860 München gewechselt.
´78 bei der WM in Argentinien hatte ich einen Muskelfaserriss, den ich danach noch lange mit mir rumgeschleppt habe. Bei 1860 wollte ich mich in der Winterpause operieren lassen wegen der anhaltenden Schmerzen. Aber dann hat der Steiner mir ja das Bein gebrochen. Und dann war Ende.

Haben Sie es nicht als pietätlos empfunden, dass ausgerechnet Paul Steiner bald darauf vom FC verpflichtet wurde?
(lacht bitter) Ich behaupte heute noch, dass der mich mit voller Absicht gefoult hat. Wir haben Fernsehaufnahmen, wo ich im Mittelfeld den Ball mit dem linken Fuß führe, und er kommt von der Seite und tritt mir voll gegen mein rechtes Bein. Ich bin ja dann mit ihm auch vor Gericht gegangen, aber der hat immer behauptet, er wollte den Ball treffen und sei eben eine Sekunde zu spät gekommen.

Welche Gegenspieler haben Ihnen früher das Leben schwergemacht?
Zum Beispiel der Berti ...

Den haben Sie aber doch regelmäßig schwindelig gespielt.
(lacht) Der war ein Terrier, schwer zu spielen. Gegen den musste man zusehen, dass man schnell weitergab, sonst ging der sofort unten rein.

Auch beim FC wurde ausgeteilt. Ein Bayernspieler verlor im Pokalviertelfinale 1971/72 zwei Zähne, und Sie waren beteiligt.
Das war ein Spiel ... Nachher bin ich in die Lindenburg zum Nähen, da meint der Doktor: Gibt´s doch gar nicht. Erst kommt einer an, der hat ´nen Beinbruch, dann einer, der hat zwei Zähne weg, und jetzt auch noch Sie. Tja, sag ich, das war ein Fußballspiel.

Erinnern Sie sich noch an den Verlauf?

Da hatten wir das Hinspiel in München 3:0 verloren. Ein astreines Tor von Glowacz war uns aberkannt worden, weil der Franz auf den Schiedsrichter eingeredet hatte. Denen haben wir schon da gesagt: Wenn ihr nach Köln kommt, dann kriegt ihr Rames. Anfang der 2. Halbzeit führten wir 4:0, am Ende stand es 5:1 und wir waren im Halbfinale.

Aber das Spiel ging dann in der Kabine weiter, nicht wahr?

Der Krauthausen hatte mir während des Spiels eine große Platzwunde zugefügt, und danach sage ich zu dem: Hör mal, warum hast du das gemacht? Und da hat der mir ´ne Ohrfeige gegeben.

Was er bereuen sollte.
Ja, unten in der Kabine hat er einen Schlag bekommen, und dann war er am Weinen.

Wer dafür sorgte, konnte natürlich nie ermittelt werden, nehme ich an.

Das war die Faust Gottes. (lacht)


Heinz Flohe (links), Bernd Imgrund


Zur Person
Heinz Flohe, Spitzname „Flocke“, wurde am 28. Januar 1948 in Euskirchen geboren. Der Fußball-Weltmeister von 1974 (39 Einsätze in der Nationalmannschaft) begann seine Karriere beim TSV Euskirchen, bevor er 1966 zum 1. FC Köln wechselte. Bis 1979 absolvierte er 329 Bundesligaspiele für den FC und schoss dabei 77 Tore. In dieser Zeit gewann der Verein drei Mal den DFB-Pokal, 1978 führte der Mittelfeldregisseur die Mannschaft zum Double. Flohe lebt wie eh und je in Euskirchen und engagiert sich als Berater für den TSV.


Am 29.4.2008 jährt sich zum 30. Mal der Gewinn des Doubles. Die Konstellation vor dem letzten Spieltag: Der FC liegt mit zehn Toren Vorsprung vor den punktgleichen Gladbachern. Waren Sie vor dem Spiel in St. Pauli sicher, dass Sie die Schale holen?
Wir waren todsicher! Die Bank hat uns damals keine Zwischenstände vom Spiel der Gladbacher gegen Dortmund gegeben. Da stand es ja schon zur Halbzeit 6:0.

Sie haben nichts gewusst?
Nein. Ich bin ja in der 80. Minute vom Platz gegangen, damit der Heinz Simmet noch die Prämie bekam. Wenn ich geahnt hätte, wie es in Düsseldorf (das Spiel fand damals im Rheinstadion statt, Imgrund) stand, hätte ich mich nie auswechseln lassen. Zum Glück haben Culli und Okudera dann noch zwei Tore gemacht.

Heinz Flohe schoss damals die Tore zum 1:0 und 3:0. Der seinerzeitige Trainer der Dortmunder hieß Rehagel. Vor dem Spiel hatte er kundgetan, ein Meister Gladbach sei ihm lieber als der 1. FC Köln.

Was haben Sie denn im Nachhinein über das 12:0 gedacht? Stank das nicht zum Himmel?
Doch! Ich habe mir die Aufzeichnung angesehen, die Dortmunder haben sich überhaupt nicht gewehrt. Mit dem Endrulat hatten die einen Torwart drin, dem sie kurz vorher die Kündigung geschickt hatten. Sogar der Hacky Wimmer hat ein Tor gemacht, das gab es normal gar nicht. Und der Schiedsrichter, Biwersi, galt als typischer Gladbach-Schiri.

Unsportlich ja, Schiebung nein?
Unsportlich war es auf jeden Fall.

Vor dem Kölner Rathaus steht ein Schild mit einem Foto der 1978er Siegesfeier. Da sind unter anderem Sie und Weisweiler zu sehen.
Direkt vorm Rathaus? – Da muss ich mal gucken gehen, das ist natürlich super!

In der Saison 1977/78 waren Sie überragend. War es ein Glück für Sie, das Overath aufgehört hatte?
(lange Pause) Der Wolfgang, der hat ja praktisch alles bestimmt, der war der King und die anderen nur Mitläufer. Aber als er aufgehört hat, waren wir plötzlich eine Mannschaft, in der einer für den anderen gelaufen ist.

Wie war denn bis 1977 die Aufgabenverteilung im Mittelfeld zwischen Ihnen und Overath?
Wenn man den Ball hatte, musste man ihn Overath zuspielen. Oder er kam ihn sich holen. Der Weisweiler wollte zum Kurzpassspiel, aber der Overath hat ja immer nur lange Bälle geschlagen. Der konnte sein Spiel nicht mehr umstellen, und das war dann auch der ausschlaggebende Punkt dafür, dass Weisweiler ihn rausgeworfen hat.

Sie sind Weltmeister und Doublegewinner. Hatten Sie eigentlich je einen Werbevertrag?
Einmal, zur WM ´74. Da hat mir der Franz Beckenbauer was bei Langnese Eiscreme besorgt.

Das war alles?
Ich wollte das nicht, das war mir alles zu blöd. Vor der WM 2006 rief mich jemand von einer Handyfirma an. Die wollten in Südafrika einen Werbespot drehen, mit Beckenbauer, Vogts, dem jecken Maier und mir. Da sag ich, nä, das ist mir zu weit, höchstens wenn Sie das hier in der Eifel machen.

Haben Sie vorher wenigstens gefragt, was Sie dafür bekommen hätten?
Das war eine Riesensumme, hätte ich mir ein schönes Auto für kaufen können. Aber dann haben die eben den Matthäus genommen.

Im Gegensatz zu Vogts und Maier saßen Sie im Endspiel 1974 auf der Ersatzbank.
Ja, wie immer bei dem Schön. Mit dem konnte ich gar nicht. Der hatte keinen Mumm, keinen Bock auf mich. Außerdem hatten Overath und Netzer eine große Lobby, die haben den Schön unter Druck gesetzt.

Fühlen Sie sich als Weltmeister?
Nein! In den Spielen zuvor wurde ich gegen Ende noch eingewechselt, aber ausgerechnet im Endspiel nicht.

Aber den kleinen WM-Pokal von damals haben Sie schon noch, oder?
Der liegt im Gästezimmer im Schrank.

Franz Beckenbauer sagt, der Heinz Flohe war damals der beste Spieler, den Deutschland hatte.
Tja, ich wäre ja auch noch gern Europameister geworden, 1976. Aber da waren einige Spieler bei, die von ´74 noch übriggeblieben waren und keine Leistung mehr brachten, der Hoeneß zum Beispiel. Im Halbfinale lagen wir gegen Jugoslawien 2:0 zurück, und dann kamen Dieter Müller und ich rein und wir haben noch 4:2 gewonnen (3 Tore Müller, 1 Flohe). Trotzdem saß ich im Endspiel anfangs wieder auf der Bank!

Uli Hoeneß hat dann ja auch den entscheidenden Elfer versemmelt.
Der Schön wusste noch nicht mal, dass nach der Verlängerung ein Elfmeterschießen vorgesehen war. Am Ende fehlte einer, da sagt der Maier: Ich schieße, und der Franz: Schleich dich bloß! Ich bin mir sicher, der Maier hätte ihn reingetan. Aber den Ball vom Hoeneß dann, den söken se hück noch. (lacht)

Welche Spieler gefallen Ihnen denn heutzutage?
Also in Deutschland wird´s schon schwer. Wayne Rooney finde ich gut, das ist ein echtes Original. Am Wochenende sehe ich mir immer die englische Liga an. Da wird der beste Fußball gespielt.

Gehen Sie noch manchmal ins Kölner Stadion?

Sehr selten, mir gefällt die Spielweise nicht. Wenn der Trainer zum Libero sagt, du spielst heute Mittelstürmer, und dann operiert er nur mit langen Bällen, die irgendwo hingeköpft werden – das ist nicht mein Fußball.

Längst sitzen Flohes Freunde mit am Tisch. Als ich endlich das Band abschalte, gehen sofort die Gespräche los: Wie woret noch jestern? Häste evvens dat Spill jesinn? Zum Abschied schüttele ich ihm die Hand und frage, wie viele Interviews er zum 30. Doublejahr noch geben wird. „Keins“, sagt er. In seiner Stimme schwingt Erleichterung mit.

"Ohne Rhein kein Dom", Rückseite



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