Mittwoch, 6. Januar 2010

Thekentänzer (23)

Kultimulti

Der frühe Vogel fängt den Wurm. – Aber was fängt der frühe Trinker? Für Viertel nach 8 wirkt dieser junge Mann bereits ziemlich derangiert, die Mundwinkel seines Schweinegesichts hängen ihm bis zur Kinnlade runter.
„Manchmal, wenn mir langweilig ist, zappe ich mich durch die Dateien meiner Nachbarn“, sagt er.
„Ich bin Computer-Legastheniker“, antworte ich.
„Naja, wir haben WLAN im Haus, und die benutzen alle kein Passwort. Also kann ich mich da reinklinken.“
„Und dann guckst du dir die gespeicherten Pornobildchen vom Papa an?“
„Genau, oder ich lese Tagebuch.“
Der Schweinsgesichtige saugt an seiner Flasche und bestellt einen Tequila.
„Findest du das nicht, sagen wir mal: unanständig?“ frage ich.
„Nein“, sagt er und hängt – eine Tonlage tiefer – an: „Für Skrupel bin ich zu alt, verstehste!“
Zum Glück sind inzwischen drei weitere Gäste erschienen. Vor allem die blonde Osteuropäerin mit dem Pelzmäntelchen und dem Puppengesicht scheint den Abend wieder aufs richtige Gleis zu lenken.
„Du Chef hier?“ fragt sie.
„Nein“, sage ich, „wieso?“
„Weil du siehst aus wie eine Chef.“
Tolle Frau, also wirklich. Ihr Broken German erinnert mich an die Szene aus der Dönerbude, kurz vor der Kellnerschicht: Zwei junge Araber, ein alter Türke. Die Arabs unterhalten sich in einer Sprache, die nur aus Rachenlauten zu bestehen scheint. Der Türke hört grimmig zu, geht schließlich zu ihrem Tisch und redet Türkisch auf sie ein: Irgendwas mit vielen ö´s und ü´s, und ohne Punkt und Komma.
Bald sind auch die Jungs sauer: „Ich spreche nix Türkisch, verpiss dich“, sagt der eine.
„Und ich sprechen nix Arabisch“, sagt der Alte, wirft den zweien einen weiteren bösen Blick zu und dackelt zurück zu seiner Linsensuppe. Echt kultimulti, dieser Laden.
Der Kerl in der Kneipe hat unterdessen einen weiteren Tequila geordert und spinkst so schief wie auffällig zu der kleinen Osteuropäerin rüber. „Life is short“, singt irgendwer auf der Mix-CD, „but by the grace of God, the night is long.” Schöner Spruch, aber was bedeutet das für einen Kellner?
Vor dem Fenster laufen die beiden Araberjungs von vorhin vorbei. Beide beißen die Deckel ihrer Beckspullen mit den Zähnen ab. Die Osteuropäerin zahlt nach dem zweiten Kölsch und gibt mir zum Abschied die Hand. Der Schweinsgesichtige sieht mich an wie der Türke die Arabs.
„Sag mal, in echt jetzt, Kollege: Ab wann is in deiner Bude eigentlich mal was los oder so?“ fragt er.
„Wieso?“ frage ich zurück. „Ist dir langweilig?“


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

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