Mittwoch, 29. Dezember 2010

Thekentänzer (38)

Onkel Hubert ist tot

Ein etwa 50-jähriger Mann mit russlanddeutschem Akzent hat eine Frage: „Haben Sie hier richtige Guinness-Gläser?“
Die irische Kellnerin antwortet: „Ja“, und zeigt ihm eines.
„Wieviel kosten die?“
„5 Euro.“
Typ mit russlanddeutschem Akzent: „Dann nehme ich zwei, können Sie mir die einpacken?“
„Ja.“
Rechts an der Theke stehen zwei ältere Pärchen. Die Frauen trinken kleine Kilkennys, die Männer große Guinness. Einer der Männer ist ein furchtbarer Schwätzer, der keinen anderen zu Wort kommen lässt: „Jetzt hör mir mal zu: Mit dem Calmund kann man doch keinen normalen Sex machen, das kannst du mir doch nicht erzählen. Der hat ja dieses junge Ding, ich sach dir was: Die kann sich doch höchstens auf den draufsetzen, aber ich weiß noch, wie der Overath noch gespielt hat, da taugte der FC noch was, mit dem Calmund wären die besser gefahren.“
Aus den Boxen singt Chris de Burgh, dass man den Fährmann nicht bezahlen sollte, bevor man am anderen Ufer ist. Die Kellnerin wickelt zwei Pintgläser in die Sun.
Typ mit russlanddeutschem Akzent: „Gibt es die auch in kleiner?“
„Ja, als Half Pints.“
„Dann nehme ich lieber zwei davon.“
„Sie wollen die großen jetzt doch nicht?“
„Nein, die sind mir zu groß.“
Der Schwätzer hat indes das Thema gewechselt: „Warum spielen die hier eigentlich nicht mal was Irisches, nur diesen Amimist, also wirklich, für Fußball interessiere ich mich ja nur wegen meiner Tante Else, die hat mich da drangebracht, das habe ich dir bestimmt schon mal erzählt. Pass auf: Die hatte ihren Mann verloren im Krieg, meinen Onkel Hubert, und damals gab es den FC ja noch gar nicht, weil die sind ja dann erst fusioniert.“
Die Kellnerin wickelt die Pintgläser aus und verpackt stattdessen die Half Pints.
Typ mit russlanddeutschem Akzent: „Und was kosten die?“
„Auch 5 Euro.“
„Aber da passt doch nur die Hälfte rein!“
Die Kellnerin erwidert nichts - das ist der größte Moment dieses Einakters. Dann hat sie fertiggepackt.
„Zehn Euro dann bitte.“
Typ mit russlanddeutschem Akzent: „Danke.“
Der Alte nimmt den Beutel entgegen, geht zur Tür, dreht sich dann aber noch einmal um: „Also für den Preis hätte ich dann gern auch noch ein paar Bierdeckel.“
Der Schwätzer trinkt einen Schluck. Seine Frau kuckt dem Schluck hinterher. Gerade jetzt fällt ihr nichts ein, das sie in diese Pause hinein sagen könnte. Auch das andere Paar wirkt wie erstarrt. Die Kellnerin wirft dem Rußlanddeutschen eine Handvoll Bierdeckel in die Tüte, und anstatt nun endlich zu gehen, sagt dieser elende Mensch: „Noch paar mehr, bitte!“


Ein Hoch auf Onkel Hubert (Gästebuch des Marine-Ehrenmals in Laboe/Kieler Bucht)

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Mittwoch, 22. Dezember 2010

Fotoroman (4)

Die Lady mit dem Dufflecoat

Jake saß im Schlösselchen, einer schäbigen kleinen Kneipe in Sülz. Um ihn herum unterhielt man sich, aber Jake summte ganz allein ein Liedchen vor sich hin: „Chicken is nice“. Es handelte von Frauen, die schlecht kochen, Frauen, die dich fertig machen und für den nächstbesten Mistkerl verlassen. Nach sieben Bier zog Jake weiter. Die Lady im Dufflecoat war ihm schon auf dem Hinweg aufgefallen. Jake trat hinter einen Baum und fotografierte sie heimlich.


Im Haus Keldenich diskutierten zwei alte Säcke.
„Der Typ hat Hände wie Bratpfannen, Heinz!“
„Wenn du den richtig triffst, fällt der auch, Willi.“
Jake summte weiter: „I don´t want no wife from Robert´s Falls/ Don´t want no wife from Robert´s Falls/ The only dish she can cook is fried fish/ I don´t want no wife from Robert´s Falls.”
Und draußen stand die unbekannte Frau und lächelte geheimnisvoll.


Jake war inzwischen nicht mehr ganz nüchtern. Im Stiefel auf der Zülpicher haute er sich in die Nische links vom Tresen. „Hamburg ist von Darmstadt weiter weg als Köln“, sagte der Kleine mit der Lederjacke. „Ja“, antwortete sein Jeansjackenkumpel, „und Frankfurter können nicht fechten.“
Bob Dylan schlief bei Dave van Ronk, als er Ende der 50er nach New York ins Greenwich Village kam. Van Ronk hatte den Song angeblich aus Liberia: „I don´t want no wife from Cape Palmas/ Don´t want no wife from Cape Palmas/ If I move around, she´ll put me in the ground/ I don´t want no wife from Cape Palmas”.
Als er die Frau vor dem Stiefel entdeckte, stellte er fest, dass sie rauchte. So langsam machte Jake sich Sorgen.


Das Versus hieß früher Schmeller und noch früher Hatsch. Ja, genau: Das sollte tatsächlich an „Hatschi“, das Niesgeräusch, erinnern. Jake war nun völlig hinüber, es ging ihm gut.
„Du bist heute schon die dritte Claudia“, sagte der Kellner und notierte sich den Namen.
„Na und“, sagte Claudia. Ihre Wildlederstiefel waren durchweicht vor Nässe, Kajal tropfte ihr auf die Knie. Jake sah zu, dass er Land gewann: „I don´t want no wife from Sino/ Don´t want no wife from Sino/ If I go out late at night, she´ll challenge me to a fight/ I don´t want no wife from Sino”. Der Mantel der Frau hatte große Taschen. Jake fragte sich, was darin verborgen war.


„Schock 5 in 2, Baby“, sagte der bebrillte Bartträger.
„Für solche Momente wird man ein großer Junge, gell“, antwortete der unbebrillte Bartträger. Im Metronom lief Lionel Hampton, klimperklamper auf dem Vibraphon. Die Frau ließ sich nicht abschütteln.
Der Unbebrillte reichte dem Kellner sein Handy: „Sag mal: ´Komm her!´“
Der Kellner tat, wie ihm geheißen: „Und? Ist sie hübsch?“
„Nein, das war nur mein großer dicker Papa.“
Die Frau machte sich keine Mühe, ins Dunkel abzutauchen. Ob sie wohl kochen konnte? „I don´t want no wife from Monrovia/ Don´t want no wife from Monrovia/ When my money gets low, to another she´ll go/ I don´t want no wife from Monrovia”.


Als Jake gegen 2 aus dem Blue Shell fiel, war die Frau verschwunden. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so einsam gefühlt. Der Vollmond schielte durch das dichte Schneetreiben, um ihn herum starben die letzten Menschen. Jake drückte sich zwischen zwei parkende Autos, stützte sich auf dem Auspuffrohr ab und legte sich schlafen. Und Dave van Ronk, der riesige Holländer, sang sein Lied zu Ende: „But chicken is nice/ chicken is nice/ chicken is nice with palm butter and rice.“


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Mittwoch, 15. Dezember 2010

Fränki (3)

Breitcordhosen

„Ich bin der Heiner“, sagt dieser Vollspacken. Dabei hab ich den gar nicht nach seinem Namen gefragt. Ich will ja nur mein Bier trinken, und hinten in der Ecke wär auch nochn Platz freigewesen. Da wo sich immer die Mäuse verstecken, die hätten dann an dem seiner bescheuerten Breitcordhose knabbern können. Aber da setzt der sich genau neben mich. Der verdammten Spacken!
Der hat nicht gesagt: „Ich heiße Heiner“, sondern „Ich bin der ...“ Der ist hundertpro so ein elender Körnerfresser. Und dann macht der auch so eher „Üch bün dör ...“, weil er die Zähne nicht auseinanderbekommt. So Heydu Hörma Hattu Möhrchen. Und immer ne Brille und Breitcordhosen und auch total unattraktiv, diese alten linken Typen. Linkssein war denen ihre einzige Chance, um mal unter irgendnen Rock zu kommen, das ist völlig klar. Die sind nur irgendwie links, weil sie ficken wollen, so: Heydu Hörma, Ische. Ich bin total politisch, und ich studier auch Jura deswegen. Also wenn du dich mal an ne Schiene ketten willst oder so, ich pauk dich da hundertpro raus. Aber fürs Erste könnten wir ja vielleicht mal in die Pofe gehen, was meinst du?
Und dann lassen die ihre braune Breitcord aufn Boden gleiten und alle sehn ihren schlabbrigen Bauch mit den dicken Haaren dran.
Da is mir son Typ von der CSU echt lieber. Der tut wenigstens nicht so als ob. Der futtert Knödel und schickt seine Kinder in den Religionsunterricht. Und die hat er auch schon mit 20 gekriegt, wo aber die linken Väter alle steinalt sind. Hab ich denen auch mal gesagt, als da wieder son grauhaariger Spacken mit nem Kinderwagen vorbeikam. Voll am Abkreischen, die Kleine, sag ich, sei lieb, dann kauft der Opa dir bestimmt n Eis. Und das war natürlich eigentlich der Vater von der, und das wusste ich auch. Und wie der mich dann angekuckt hat, der Arsch. Das war klasse.
Eigentlich sollte man alle, die mit 40 noch gegen Atomkraft protestieren, nach Guantanamo schicken. Oder wenigstens nach Stammheim. Und alle, die Breitcordhosen tragen, und alle, die „Ich bin der Heiner“ sagen. Da können die dann ja zusammen Jura studieren und in Hungerstreik treten: Wir wollen keine gestreiften Knastklamotten, wir wollen unsere Breitcords zurück. Breitcordhosen sind Menschenrecht, oder so. Hundertpro labert der mich gleich wieder an, der Spacken. Das wär dann echt zuviel, da geh ich besser erstma pinkeln, und dann setz ich mich woanders hin. Aber dicke!

DDR für Kühe


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Mittwoch, 8. Dezember 2010

Straßenkämpfer (15)

Irland ist pleite und beschwört den inneren Zusammenhalt. Wie das vor 130 Jahren funktionierte, zeigt der folgende, hier erstmals veröffentlichte Artikel.


Der erste Boycott

Charles Cunningham Boycott (1832-97) lebte als englischer Gutsverwalter in County Mayo, Irland. Am 23. September 1880 ging sein Name in die Geschichte ein.


Der amerikanische Journalist James Redpath und sein Freund, Pater John O´Malley aus Ballinrobe im Westen Irlands, hatten ein ländlich-üppiges Mahl hinter sich. Obwohl bei O´Malley eher das Weihwasser als der Whiskey versiegte, wirkte sein Gast heute merkwürdig verdrossen.
„Ich suche nach einem Wort“, erklärte er schließlich.
„Worum geht´s?“ fragte Pater John.
„Wenn die Leute einen gemeinen Landräuber schneiden“, begann Redpath, „dann sprechen wir von Ächtung. Aber für eine Kampagne gegen Leute wie diesen Boycott bräuchten wir etwas völlig Neues, um solche Aktionen populär zu machen. Und mir fällt, verdammt nochmal, nichts ein.“
O´Malley griff zu seinem Glas, gefüllt mit spirits, den Lebensgeistern, und sie sprachen aus ihm: „Wie wäre es, wenn wir das ´Boykottieren´ nennen würden?“

Man schrieb den 23. September 1880. Ein neues Wort war geboren, und nachdem Redpath es drei Wochen später in einem Artikel für die US-Zeitschrift Inter Ocean erstmals verwendete, schwappte es in Windeseile von den Vereinigten Staaten zurück in seine irische Heimat. Es überzog die britische Insel, den Kontinent und die halbe Welt, um die ihm vorbehaltene Nische zu füllen. Seitdem ruht es felsenfest zwischen Nachbarn wie dem Embargo, der Disqualifikation, der Ächtung und dem Streik. Aber während der Boykott heute zumeist die Isolation einzelner durch eine mächtigere Staatengemeinschaft bezeichnet, stand seine Geburt unter einem ganz anderen Stern: Es war der verzweifelte, in seinem Verlauf irrwitzige und letztlich erfolgreiche Versuch einiger Entrechteter, ihren Peiniger in die Knie zu zwingen.

James Redpath hatte sich in den USA bereits als Verfechter der Anti-Sklaverei-Kampagne einen Namen gemacht, bevor es ihn im Frühjahr 1880 nach Irland zog. Verschiedene Anzeichen deuteten darauf hin, dass sich die in Armut dahinsiechende Landbevölkerung wieder einmal erheben würde. Nicht zufällig landete Redpath im zur Provinz Connacht gehörenden County Mayo. „To Hell or Connacht“ lautet eine seit den Tagen des grausamen Cromwellschen Irlandfeldzuges gebräuchliche Redewendung. Der karge, gebirgige Landstrich nördlich der Galway Bay bietet zwar heutzutage den Touristen fotogene Motive zuhauf, aber wie eh und je kaum landwirtschaftlich nutzbare Flächen.
Ein Glücksfall bescherte dem Journalisten die Bekanntschaft des Pfarrers John O´Malley. Historischen Quellen zufolge muss man ihn sich als eine Art irischen Don Camillo vorstellen. O´Malley verschaffte dem Journalisten Zugang zum ´einfachen Volk´, bei dem er beliebt war wegen seines derben Humors, seiner Geselligkeit und der Schwäche für die Flasche. Aber Pater John war nicht nur ein gewaltiger Trinker vor dem Herrn, sondern gleichermaßen ein so treuer wie geschickter Diener desselben. Seinem italienischen Bruder ebenbürtig verstand er es, die Gedanken seiner Schäfchen zu lesen, auf fahrende Züge rechtzeitig aufzuspringen und sie auf die Gleise der Kirche zu leiten. In jenem Herbst 1880 war O´Malley der richtige Mann am richtige Platze.

Am 16. August 1879 hatte sich in Castlebar, im Herzen Mayos, die Land League gegründet. Schnell fand diese politische Vereinigung für die Interessen der Bauern und Landarbeiter Anhänger in ganz Irland. Ihr Gründer war der im beschaulichen Flecken Straide nördlich von Castlebar geborene Michael Davitt (1846-1906). Bis dahin hatte er ein klassisches irisches Schicksal des 19. Jahrhunderts durchlebt. Als er vier Jahre alt ist, wird seine Familie von ihrem Pachthof vertrieben und nach England verschlagen. Seinen Job als Spulenwechsler verliert der 11-jährige, als ihm bei einem Arbeitsunfall ein Arm abgerissen wird. Er schließt sich den paramilitärischen Fenians an, einem Vorläufer von Land League und IRA. Mit 24 Jahren wird er in London bei dem Versuch verhaftet, Waffen nach Dublin zu schmuggeln. Er landet im berüchtigten Gefängnis von Dartmoor. Weil der Einarmige nicht als Steinbrecher zu gebrauchen ist, spannt man ihn wie einen Ochsen vor den Schleppkarren. Als er Ende 1877 nach sieben Jahren auf Bewährung entlassen wird, hat Davitt der Guerilla-Taktik der Fenians abgeschworen. Seinen Einfluss als gefeierter Widerstandskämpfer nutzt er zur Gründung der Land League.

Davitt predigte zwar Gewaltfreiheit und Parlamentarismus. Dennoch kam es im Anschluss an die zahllosen Auftritte der League zuweilen zu Ausschreitungen gegen die Landlords, die protestantische Grundbesitzerkaste. Während die katholische Kirche den Umtrieben der Organisation deshalb ablehnend gegenüberstand, erkannte der einfache Landpfarrer O´Malley die Chance, die diese wiedererwachte Bereitschaft zur Auflehnung barg. In ihren Reden hatten Davitt und sein Mitstreiter Parnell ein neuartiges Mittel propagiert, das blutsaugerische Landlords der totalen Isolation ausliefern sollte. Und am Lough Mask gab es einen Mann, der diese Form der Ächtung anscheinend über die Maßen verdiente: Charles Cunningham Boycott. Gegen sein über Leichen gehendes Regiment organisierten O´Malley und Redpath jenen historisch gewordenen Feldzug gleichen Namens.

Charles Boycott, der sich seit seiner Offizierszeit bei der britischen Armee „Captain“ nennen ließ, arbeitete seit 1873 als Gutsverwalter für einen gewissen Lord Erne. Wie viele seines Schlages lebte dieser Landlord in England und finanzierte sein Nobility-Leben mit den Pachtzinsen, die sein Agent Boycott den irischen Bauern abpresste. Boycott selbst residierte in Lough Mask House, einem festungsartigen Herrschaftssitz abseits der kleinen Straße zwischen Ballinrobe und Cong. In den Pubs der Umgegend malt man noch heute das Bild des ehemaligen Agenten: ein wortkarger, verbitterter Mann, dessen Befehlston und stierer Blick nicht nur die Kinder erschauern ließ und der zur Unterstreichung seiner Autorität gern einen satten Rohrstock in der Hand wiegte.

Als im Spätsommer 1880 wieder einmal die Zeit der Zinseintreibung nahte, sahen sich elf Bauernfamilien der Erne-Ländereien außerstande, ihre Abgaben zu leisten. Die Kartoffeln, Hauptnahrungsmittel der irischen Landbevölkerung jener Zeit, waren im zweiten Jahr zwergenwüchsig geblieben. Ein Großteil war auf den Feldern verrottet. Boycott griff zum bis dahin üblichen Mittel: der Eviction, einer barbarischen Vertreibung von Haus und Hof. Auf über 90.000 schätzt man die Zahl der Evictions zwischen 1847 und 1880. Ihre Vollstreckung wurde regelrecht zelebriert. Ort und Zeit wurden – den Nachbarn zur Abschreckung, der Presse zum Schauspiel – stets vorher bekanntgegeben. Mittels Rammböcken schlug man Löcher in die Wände, stopfte die niedrigen Bruchsteinhäuser mit Stroh und Reisig und brannte sie unter den Augen der Opfer nieder. Nachdem in früheren Zeiten lediglich das Dach abgerissen worden war, hatte sich diese Methode als die effektivere erwiesen. Allzu oft hatten die Obdachlosen noch in der gleichen Nacht mit dem Wiederaufbau begonnen.

Eskortiert von mehr als zwei Dutzend Polizisten, rückte am Morgen des 22. September der örtliche Büttel aus, um Boycotts Eviction-Formulare an die säumigen Pächter zu verteilen. Drei Mal ging alles glatt, aber am vierten Hof stieß er auf ungewohnten Widerstand. Die Farmersfrau weigerte sich zu unterschreiben und schwenkte stattdessen die rote Fahne, das Alarmsignal für die Nachbarn. Während die Männer fernab auf den Feldern arbeiteten, strömten die Bäuerinnen zum Heim ihrer Leidensgenossin. In ihrem in den 1970ern verfilmten Buch „Captain Boycott and the Irish“ schildert die Historikerin Joyce Marlow, was dann geschah: „Die Frauen der Lough-Mask-Region fielen über die Polizisten her, bewarfen sie mit Dreck, Steinen und Dünger. Anstatt weiter ihrem unwürdigen Handwerk nachzugehen, nahmen die Constabler ihre Beine in die Hand und flohen zu Boycotts Anwesen. Als dieser gegen Abend heimkam, saßen die perplexen Beamten dort immer noch, und stückweise erschloss sich Boycott die Geschichte der wilden Frauenzimmer und ihres erfolgreichen Widerstands.“

Was Boycott im ersten Moment vielleicht nur ein müdes Lächeln kostete, sollte ihn bald in seiner ganzen Existenz erschüttern. Denn fortan entwickelte die Geschichte eine nicht mehr aufzuhaltende Dynamik. Noch am selben Tag erfuhr jeder schwerhörige Greis in Ballinrobe von den Geschehnissen am fünf Meilen westwärts gelegenen See. O´Malley und Redpath trommelten die Leute zusammen, beschrieben ihnen die Vorzüge jenes Verfahrens, das man bald Boykott nennen sollte, und organisierten für den kommenden Morgen einen Marsch zum Lough Mask House.
An Boycotts schmiedeeisernem Gatter trafen sie auf die ersten Bediensteten. Ohne Umstände schlossen sie sich dem Zug an. Im Verlaufe der Umtriebe vor Boycotts Domizil, die Teilnehmer als weniger aktionsreich denn lautstark beschrieben, schlugen sich auch sämtliche Hausangestellten auf die Seite der Aufständischen. Fortan rührte kein Schmied mehr einen Finger in Boycotts Ställen, keine Köchin mehr einen Löffel in seinen Töpfen. In Ballinrobe reichte ihm kein Händler mehr ein Stück Seife, kein Wirt einen Humpen Bier über die Theke. Der 12-jährige Postjunge lenkte sein Maultier nicht mehr gen Lough Mask House, und Boycotts Neffe, stattdessen nach Ballinrobe geschickt, musste bereits am Tor angesichts der dort wachenden Bauern unverrichteter Dinge wieder umkehren. Am Abend des 23. September waren Captain Charles Cunningham Boycott und seine Familie völlig isoliert – sie wurden boykottiert.

Michael Davitt und seine Land League hatten gezielt auf eine solche Eskalation hingearbeitet. Ihr binnen eines Jahres gewachsener Einfluss verdankte sich nicht zuletzt der moralischen und materiellen Unterstützung, die Freiheitsbewegungen auf dem Kontinent dem unter englischer Knute gehaltenen irischen Volk entgegenbrachten. „Wilde, die ihren durch das feuchte Klima erzeugten Durchfall mit riesigen Mengen Weinbrand zu heilen versuchen“ – so hatte noch der deutsche Barockromancier Eberhard Werner Happel die Iren beschrieben. Aber im ausgehenden 18. Jahrhundert rückte der literarische Ossianismus die gälische Mythologie ins Zentrum der aufkeimenden romantischen Volkskunde. Und nachdem die „Great Famine“, die Große Hungersnot zwischen 1845 und ´48, über eine Million Iren dahingerafft hatte, entdeckten die Jungdeutschen, schließlich auch die Kommunisten das revolutionäre Potential dieser unterdrückten Nation. „Gebt mir zweimalhunderttausend Irländer, und ich werfe die ganze britische Monarchie über den Haufen!“ frohlockte Friedrich Engels.
Wenn es auch nicht zum irisch initialisierten Aufstand der Arbeiter aller Länder reichte, so breitete sich die Land League doch immerhin bis nach Amerika aus. Michael Davitt war im Mai 1880 in den USA eingetroffen, stand der dortigen LL-Gründung vor und sammelte Spenden irischer Emigranten für den Kampf in der alten Heimat. Als er nach erfolgreicher Mission am 20. November wieder irischen Boden betritt, steht die von ihm ins Leben gerufene Bewegung kurz vor dem größten Triumph ihrer Geschichte.

In der Zwischenzeit fristeten die Boycotts das Leben ganz auf sich allein gestellter Farmer. Während Mrs. Boycott erstmals ihre Töpfe schrubbte, übte sich der Hausherr im Kühe melken und Ställe ausmisten. Auf seinen Wunsch hin war ihm mittlerweile zwar ein Kontingent Schutzpolizisten zugewiesen worden, aber jenseits des Zauns bekam er weiterhin kein Bein auf die Erde.
Sogar die örtliche Presse hielt sich dermaßen strikt an die Boykottregeln, dass das Wort womöglich nie um die Welt gezogen wäre. Wenn nicht zwei weitere Ereignisse seine rasante Ausbreitung befördert hätten. Denn am Lough Mask, jener still zwischen Waldbestand ruhenden Wasserplatte, war Schauerliches geschehen. Zwei Tage nach dem Marsch auf Boycotts Haus hatte man am Südende des Sees die von Kugeln durchsiebte Leiche eines kleineres Gutsbesitzers, Landlord Montmorres, gefunden. Wenn auch die Täter niemals ermittelt wurden, lag der Fall für die Behörden und die englandtreue Presse klar: Hier hatte die Land League ihr mörderisches Gesicht gezeigt. Und als ein völlig entmutigter Charles Boycott sich schließlich mit einem Hilferuf an die Londoner Times wandte, schwappte eine gigantische Welle protestantischer Solidarität ins County Mayo.

Dem fellow protestant Boycott, würdiger Veteran der britischen Armee, drohte die Ernte im Boden zu verfaulen, weil das irische Kroppzeug die Arbeit verweigerte. „Ein beängstigenderes Beispiel für den Triumph der Anarchie hat es in der Geschichte der Zivilisation nie gegeben“, hatte die Times Boycotts Leserbrief überschrieben. Andere Gazetten verglichen den Bauernprotest im hinterwäldlerischen Mayo mit der französischen Revolution und dem zeitgleichen Zulu-Aufstand in Südafrika. Dutzende Redaktionen wandten sich mit Spendenaufrufen an ihre Leser, Vereinigungen wie der „Boycott Relief Fund“ schossen aus dem Boden. Anfang November standen 500 Glaubensbrüder Spaten bei Fuß, um Boycotts Äcker zu retten, und gleichzeitig rüsteten sich in Dublin 1.000 Soldaten, um den Erntehelfern notfalls die Furche freizuschießen.
Der bedrängte Gutsverwalter fand derweil immerhin noch die Muße, seiner Passion, dem Pferderennen zu frönen. Als er jedoch gewahrte, was da auf ihn zukam, fiel er aus allen Wolken. Die Boycotts konnten sich kaum selbst versorgen, jeder Nagel, jeder Sack Mehl musste per Boot aus Cong unterhalb von Lough Mask beschafft werden, weil die Aufständischen sämtliche Ausfallstraßen bewachten. Ein Telegramm Boycotts verringerte die Zahl der Ulster-Freunde denn auch auf 50. Im Sonderzug rollten die zu allem entschlosenen Männer von Norden her an, während sich die britischen Truppen in mehreren Etappen durch den verregneten irischen Herbst kämpften. Ballast wie Zelte und Schlafsäcke hatten die meisten längst im knietiefen Schlamm zurückgelassen, als sie am 10. November völlig abgerissen in Ballinrobe eintrafen.

Mutete schon der Anmarsch der Helfer wenig durchdacht an, so verkam das Unternehmen vor Ort endgültig zur Farce. Boycotts schlimmste Befürchtungen bewahrheiteten sich: Binnen vierzehn Tagen war seine Ernte zwar eingefahren, aber zu einem Gutteil auch wieder verzehrt worden. Als seine Verbündeten sich am 26. des Monats mit patriotischen Treueschwüren verabschiedeten, hatten sie Boycott und die Regierung gut 10.000 Pfund gekostet. Der Erlös aus der verbliebenen Ernte betrug demgegenüber magere 350 Pfund. Boycott war bankrott.

Am nächsten Morgen, in aller Frühe, verließ er samt Familie das Land, in dem er dreißig Jahre lang die Garotte des englischen Kolonialismus bedient hatte. Zwanzig Kavalleristen begleiteten die Boycotts zur Bahnstation in Claremorris. Auf ihrem Weg blieben sie unbehelligt, aber nicht unbeobachtet. Was die Zeitzeugen sahen, war ein Flüchtling, davongejagt von ebenjenen, die er hatte vertreiben wollen; ein schwer angeschlagener Mann, der seinen Abgang passenderweise in einem militärischen Sanitätswagen vollziehen musste. Kein Geringerer als der Friedensrichter von Ballinrobe hatte im Vorfeld versucht, für die Boycotts eine angemessene Kutsche zu mieten. Es fand sich jedoch in der ganzen Stadt kein Fahrer, der auf sein Angebot auch nur reagiert hätte.



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Mittwoch, 1. Dezember 2010

Fotoroman (3)

In der VIP-Lounge des 1. FC Köln

In den VIP-Bereich des 1. FC Köln gelangt man unterhalb der Westtribüne. Am Eingang bekommt man ein Armbändchen überreicht:


Fortan lebt man im Schlaraffenland. Denn nun kann man sich von allem nehmen, soviel man will. Zum Beispiel von dem hier:


Dass hier alles für lau ist, erkennt man an den vielen noch vollen Tellern, die überall herumstehen. Die meisten Kölschstangen werden allerdings zuverlässig geleert. Beginnt das Spiel, begibt man sich zu seinem gepolsterten Sessel. Stets freundliche Hostessen versorgen den frierenden VIP-Gast mit heißem Kaffee:


Toll ist: Man sitzt direkt hinter der gegnerischen Trainerbank. So war es möglich, den alten FC-Heroen (und jetzigen Co-Trainer von Wolfsburg) Litti Littbarski so nah vor die Linse zu bekommen (links der Kleine, rechts Teammanager McClaren):


Und kurz nach dem Pausen-Diner stand es dann ja auch schon 1:0 für den FC:


Aber dann geht man mal eben pinkeln:


Und schon fällt das 1:1. Sehr ärgerlich, denn so stand es auch noch beim Schlusspfiff:



Bleibt die Frage: Was ist eigentlich Chai Latte?



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Mittwoch, 24. November 2010

Momentaufnahmen (14)

Frauen, die ohne Netz arbeiten

Hohe Straße, zwei Frauen vor H & M
Erste Frau: Mensch, du siehst ja supererholt aus.
Zweite Frau: Ja, ich war in Urlaub.
Erste Frau: Und? War schön?
Zweite Frau: Ja, so ohne Mann ist wunderbar.

Kneipe, Nordstadt, 20 Uhr
Frau am Telefon: Hier is die Jabi, hörma, happt Ihr mein Umhängetäschchen jefunden?
Kellner: Klar, Gaby, hier kommt nichts weg.
Gaby: Oh boah na jottseidank wie jeil da war alles drin wat isch happ. Komm isch gleich vorbei, ja?
Kellner: Ich werde hier sein, Gaby.

Café in der DDR
Stark geschminkte Kellnerin mit jodverfärbtem, labbrigem Verband am Fuß: Mir war der dicke Onkel über die anderen Zehen gewachsen und da mussten die alle durchgesägt werden, damit das wieder geradewächst.
Die drei Gäste: Ohlala!
Stark geschminkte Kellnerin: Und Sie wissen ja, was das Schlimmste ist für eine Frau.
Die drei Gäste: Was denn?
Kellnerin: Ja, wenn sie keine hochhackigen Schuhe mehr tragen kann.


... und für die Füße.

Gästebuch der Homepage eines Kölner Wirtshauses
10.30 Uhr, Jessica: Hallo, war zur Neu eröffnung mit meiner Freundin bei euch war sehr schön wahnsinns Stimmung !!!! Nette Menschen! Habe mir gerade die Bilder angeschaut da ist mir der Mann wieder in den Sinn gekommen mit dem Jeanshemd und der schwarzen Weste wie hies der noch gleich? kann mir da jemand helfen?
Ansonsten kommen wir immer wieder gerne wenn wir in der nähe sind wohnen zzt in Portz Viele Liebe Grüsse Jessica
17.20 Uhr, Herbert: Hallo Jessica ich bin der Mann im Jeanshemd und der Schwarzen Weste. Wer bist du den da du mich kennen lernen möchtest möchte ich mal gerne ein Foto von dir haben!!! Würde mich freuen wenn du mir ein Bild schickst.
21.20 Uhr, Vicky: Hey, die Rumpsteaks waren lecker, richtig super und das Gemüse erst. Bis demnächst.

Kneipe, Nordstadt, 2 Uhr nachts
Andere Frau am Telefon: Is der XX da?
Kellner: Nee, der hat gestern gearbeitet.
Frau: Is denn dann der YY da?
Kellner: Nee, der arbeitet morgen.
Frau: Ja, die zwei, die zapfen mir nämmisch nix mehr.
Kellner: Das wird dann wohl seinen Grund haben.
Frau: Ja, ich arbeite eben manchmal ohne Netz, verstehste.


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Mittwoch, 17. November 2010

Thekentänzer (37)

Von verschwundenen Pferdetränken, Tanzsälen und Kneipen

Der alte Kerl soll mir etwas über die Geschichte seiner Stammkneipe erzählen. Aber weil er weiß, dass ich ihn brauche, verarscht er mich erstmal vor seinen Würfelkumpels.
„Wie lange verkehren Sie hier denn schon?“
„Ich verkehre he janit, ich suffe he nur.“
Die restliche Bande lacht. Zwei weitere Ü-70-Kerle am Würfelbrett, im Verlauf der Theke noch drei Männer und zwei Frauen. Wir haben 4 Uhr nachmittags, der Laden ist völlig zugequarzt, und die Kellnerin saß hier schon als Baby bei ihrer Mutter auf dem Schoß.
„Zig fuffzich Johr jonn ich he hin“, sagt Gustav. „Do wor he noch dä Schmitze Häbäät hinger d´r Thek.“
„Und was war das für einer?“
„Dat wor ene Joode. Trinkfest un arbeitsscheu.“
Die ganze Kneipe schüttelt sich vor Lachen. Ausrufe wie „Nä nä, dä Justav, dat iserer einer“ machen die Runde. Ich lache mit.
„Und sah der Laden damals schon genauso aus?“
„Dat wor he immer esu. He is noch nie renoviert worde. Vürm Kreech hät he vüür d´r Pooz en Päädstränk jestande. Die es ävver fott.“
Gelächter: „En Päädstränk, en Päädstränk. Dä Justav, ich jlöuv et nit.“
„Un die ahle kölsche Kneipe, die sinn jo suwiesu all fott. Do sinn jo jetz överall Türke dren.“
„Jo“, stimmt einer der Würfler zu, „un Rumäne.“
„Jenau“, sagt Gustav, „un Rumäne.“
„Wie war das denn hier in der Nachkriegszeit?“ frage ich beflissen.
„Do hinge wor en Kegelbahn, ävver die wor ze koot.“
„Zu kurz?“
„Jo, deshalb wor dat kein Bundeskegelbahn. Die wor ze koot. Un rääts öm de Eck wor dä Tanzsaal.“
„Was lief da für Musik?“
„Alles.“
„Auch Rock´n´Roll?“
„Rock´n´Roll, Schlägereien, alles.“
„Wer hat sich denn da mit wem geschlagen?“
„Jo, die einen mit den anderen.“
Heiseres Gelächter rundum. Einer der Würfler hat eine verblasste Narbe auf der Stirn. Ich bedanke mich für die Auskünfte und gehe raus zu meinem Motorrad. Plötzlich steht Gustav neben mir.
„Luur, do hinge, do woren och noch zwei kölsche Weetschafte. Ävver do sinn jetzt och Ausländer drin.“
Ich betrachte das Vereinslokal-Schild neben der Tür. „Und bei euch treffen sich die kölschen Mongolen, wie ich sehe.“
Gustav folgt meinem Blick auf die Messingplatte. Er scheint kurz nachzudenken und sagt dann: „Dat sinn ävver kein Mongole. Dat sinn alles Kölsche.“


Reguläre Bundeskegelbahn


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Mittwoch, 10. November 2010

Fundstücke (9)

Bier macht dick, dumm und faul (und andere Vorurteile)

"Schwindel ist es, wenn Bierbrauer und Wirte behaupten, Bier sei flüssiges Brot. Bier ist flüssiger Tod.
Bier macht dick, dumm und faul.
Der Bierphilister ist der Feind jedes Fortschrittes. Warum? Weil er nur noch sich selbst mästen mag, weil er zu dumm ist, den Fortschritt zu begreifen, weil er zu faul ist, sich für etwas Rechtes anzustrengen.
Arbeiter, hütet Euch vor den Bierphilistern unter Euch!"
(Sozialistische Agitation gegen das Biertrinken um 1900, aus: Kneipen, Kotelett, Karneval, Band 9 der Werkstatt für Ortsgeschichte Köln-Brück)

"Es ist eine Minderheit von Aussteigern, Asozialen, Pseudointellektuellen und ideologischen Schwärmern. Eine Minderheit, die uns ihren Willen aufzwingen will, die nicht besser ist als jeder Erpresser."
(der ehemalige Chef des Kölner Haus- und Grundbesitzervereins Hanns Schaefer über Hausbesetzer, in: Engelbert Greis: Die Stollwerck-Story, 1980)

"Sozialschmarotzer tragen nicht nur Trainingsanzug, sondern auch Nadelstreifen."
(FAZ vom 20.10.10)

Biertrinkende, rauchende, dicke, dumme, faule Hausbesetzer

"Ich hab´s mit Ratten. Als ich auf dem alten Trawler gefahren bin, hab ich wie besessen Ratten gejagt. Wenn ich ein paar zusammenhatte, hab ich sie in den Heizkessel oder ins Meer geworfen. Ins Meer werfen, wenn es ruhig ist, ist unterhaltsamer. Du hältst ihnen einen Bootshaken hin, und sie kommen raufgekrochen. Wenn sie fast oben sind, schlägst du mit einem anderen Bootshaken dagegen, und sie plumpsen wieder ins Wasser. Man darf sie nur nicht zu nah rankommen lassen, dann springen sie und beißen dir ins Gesicht. Sind ekelhafte Biester."
(Aus dem Roman „Gran Sol“ von Ignacio Aldecoa)

"Ich fühle mich ins Dritte Reich zurückversetzt. Es ist eine Schande, was hier gegen Raucherkneipen abläuft." (Waltraut Jost-Meurer)
"Unfassbar. Raucher werden verfolgt, aber unsere Kinder verfetten." (Ulla Schäfers)
(Volksbefragung, Express vom 8.10.2010)

Frage: "Welche Vorstellungen hatten Sie von Deutschland, als Sie im Sommer kamen?"
Antwort: "Bier und Würstchen."
(Borussia Dortmunds Japaner Shinji Kagawa im FAZ-Interview vom 31.10.2010)



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Mittwoch, 3. November 2010

Deutschlandreisen (5)

Bürgerbräu in Bad Reichenhall

In Bad Reichenhall trinkt man Bürgerbräu, und so heißt auch das, ja, „urigste“ Hotel am Ort. Aus allen Brunnen der Stadt fließt Salzwasser, das von der Saline kommt. Bad Reichenhaller Salz kennt jeder:



... und bei einer Saline handelt es sich um folgendes: Erst war das Meer da, vor Jahrmillionen. Und als es sich zurückzog, hinterließ es Salz, das irgendwann durch tektonische Verwerfungen von Stein eingeschlossen wurde. Der Wasserlauf, der dieses Salz wieder aus dem Felsen wäscht und in sich aufnimmt, heißt genauso Saline wie das Bergwerk, das dieses „Weiße Gold“ wieder dem Wasser entreißt. Schon die Römer (wie oft fangen Sätze eigentlich mit „schon dier Römer“ an?), schon die Römer also, und auch vorher die Kelten, wussten den Schatz im äußersten Südosten Bayerns zu nutzen. Und übrigens: Auch das Wort „Hall“ bezeichnet ursprünglich ein Salzvorkommen, und von hier aus entwickelte sich auch der Stadtname: Reich an Hall.


All dies erfährt man bei einer Führung durch das alte, wunderbare, noch immer intakte und aktive, als Unesco-Welterbe firmierende Bergwerk. Aber dafür muss man auch, so die Führerin, 300 Stufen erklettern.
„Ich habe die Knie kaputt, dann will ich mein Geld zurück“, sagt eine der alten Frauen um mich herum. Klar, Wochentag und Mittagszeit, welcher Nichtrentner will jetzt schon ins Salzbergwerk!
„Für meinen Mann ist das auch nichts mit dem seiner Raucherei.“
Und so bleiben von zehn Anwesenden nur zwei übrig, zum Glück ist mein Kompagnon ein rechtschaffener Bildungsbürger.


Die Salzprobe war sehr dursttreibend. Kaum auf dem Rathausplatz hingesetzt und ein Bier geordert (Bürgerbräu), kommt auch schon eine Kapelle anmarschiert. Interessant ist: Die Dicken mit den dicken Trommeln (Sechs an der Zahl) stehen in der ersten Reihe, die anderen, die sich immerhin mit der Melodie abmühen, müssen in diesem Landstrich nach hinten. Nach dem Holzmichel widmet man sich John Denvers Country Roads, und nach dem zweiten Halben suche ich das Weite.
„Ich bin beim Barras“, sagt der junge Kerl im Pazzo. Genau wie die Kellnerinnen kommt er aus der DDR. Was in Köln die Türken und in Luxemburg die Portugiesen, sind in Bayern die Ossis: billige Fremdarbeiter. Ansonsten ist es noch leer hier im Club, aber „Eye of the Tiger“, volle Motte laut, abends um 7 in Bayern, hat mich reingelockt. Die Kellnerinnen flüstern, ich fühle mich ein bisschen alt hier: „Sind Sie von der Lebensmittelaufsicht?“
Nein, das hat sie nicht gefragt.
„Kriegst du noch eins?“
„Ja.“
Letztens am Westwall sagte einer zu mir: „Ich bin ungedient.“ Jetzt ist einer „beim Barras“. Deutschland ist groß und verfügt über einen reichen Sprachschatz. Abends im Bürgerbräu werde ich an einen dieser riesigen bayrischen Brauhaustische gewiesen. Sechs Menschen aus Velbert setzen sich dazu, Delegation einer bergischen Tambourtruppe. Nächstes Jahr wollen sie auf dem Reichenhaller Rathausplatz spielen.
""Haben Sie auch John Denver im Repertoire?" frage ich.
"Nein", sagt der Wortführer, bei uns geht das eher so´n bisschen Richtung Jazz."

Bayrische Haxe



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Mittwoch, 27. Oktober 2010

Thekentänzer (36)

Broken Hearts am Alter Markt

„Regnet´s draußen noch?“ fragt der Mann mit der fleckigen Malocherjacke die Kellnerin. Er scheint Angst zu haben vor ihrer Antwort.
„Ist sogar stärker geworden“, sagt sie.
„Dann mach mir noch eins“, sagt er schnell.
Ich sehe nach draußen, und dort gießt es tatsächlich in Strömen: „Mir auch.“
Mit hochgeschlagenem Kragen springt ein weiterer Gast durch die Tür. Der Alter Markt liegt nun da wie leergefegt, durch die Fugen des Kopfsteinpflasters lecken die ersten Rinnsale.
„Ist das nicht Canned Heat?“ fragt Hartmut, der Neue.
„Genau, Hitze in Dosen“, antwortet Stevie, der Malocher.
Die Kellnerin kommt mit einem Eimer schaumigen Wassers um die Theke herum. Die gelben Gummihandschuhe, das empfinden hier alle so, stehen ihr ausgezeichnet. Rechts von uns, am Fenster, legt sie den ersten Barhocker um und beginnt, dessen Beine zu putzen. Stevie stiert auf die Handschuhe, den Schwamm, den freigelegten Unterarm.
„Aber das Original war schneller“, sagt Hartmut mit einer gewissen Härte in der Stimme.
„Das ist das Original“, sagt Stevie wie abwesend.
„Nein“, sagt Hartmut, „das Original war deutlich schneller.“
„Klar, und früher war mehr Lametta.“
Die Loriot-Anspielung sitzt, Hartmut ist alt genug, um den Sketch zu kennen. Nun schweigt er eine Weile, brütet über einer Entgegnung und stößt schließlich hervor:
„Wer seinen eigenen Kopf haben will, sollte ihn auch zu gebrauchen wissen.“
Die Kellnerin widmet sich dem zweiten Hocker und singt das nächste Lied mit: „Heart of Gold“, Neil Young, im Original. Auch Stevie will nun offenbar etwas Kluges sagen:
„In Asien gibt es Fische, die schwimmen dir beim Pissen gegen den Strahl in den Harnleiter rein.“
Ich lache. Hartmut sieht Stevie ungläubig an. „I wonna live, I wonna give“, summt die Kellnerin.
“Und was passiert dann?” fragt Hartmut.
„Dann legen die ihre Eier in deine.“
„Ihre Eier in meine?“
„Ja!“
Hartmut lacht nun auch, hämisch. „Von Biologie hast du aber soviel Ahnung wie Django vom Streicheln.“
„Ich hab keine Ahnungen. Ich hab Lebenserfahrung.“
Das Gespräch läuft nun offensichtlich aus dem Ruder. Sehr interessant, denke ich, aber kurz darauf verfällt Stevie in ein langes Schweigen. Er senkt den Kopf, Hartmut schaut für die nächste Stunde aus dem Fenster. Es regnet immer weiter. Die Kellnerin ist fertig mit den Hockern und wäscht sich die Hände. Sehr gründlich, Finger für Finger und zwischen den Fingern. Vom Putzwasser sind ihre Kuppen leicht verschrumpelt, die Nägel leuchten hellweiß. Als sie die Hände ausschlägt, sieht auch Stevie noch einmal kurz zu ihr rüber. „Das stimmt“, sagt er dann, nur zu sich selbst. „Aber gegen ein gebrochenes Herz hilft auch kein Gaffatape.“


Endstation Sehnsucht


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Mittwoch, 20. Oktober 2010

Deutschlandreisen (4)

Boccia in Bonn

Was schreiben Sie da eigentlich die ganze Zeit?“ fragt mich der Führer. Vier ältere Herrschaften, äußerlich CDU-Wähler, und ich haben sich zur Führung durch Konrad Adenauers Hausanlage in Rhönberg eingefunden. Der Führer stammt dialektal aus dem Münsterland und gesinnungsmäßig aus den 1950er Jahren.
„Ich bin Journalist“, antworte ich vage. Meine vier Begleiter sehen mich bestürzt an. Auch Terrorist endet auf -ist. Da stehen wir gerade hier, mit Blick auf Adenauers Schreibpavillon:


„Eigentlich müssten Sie das vorher anmelden“, sagt der Führer.
„Dass ich mir hier Notizen mache?“ frage ich zurück.
Die anderen Gäste sehen inzwischen betreten auf Adenauers Rosenbeete. Sie wollen nicht aus Versehen mitverhaftet werden.
„Und jetzt schreiben Sie ja nicht, dass der Kanzler Rosenzüchter war. Wäre nämlich falsch. Er liebte Rosen, aber er züchtete keine.“
Ich notiere auch dies.
„Ach“, sagt da der Führer, „was soll ich auch mit Ihnen streiten.“
Von Adenauers Haus blickt man auf die andere Rheinseite zum Rolandsbogen. Da geht es um die unglückliche Liebe Rolands zu seiner ins Kloster emigrierten Ex. Die heutige Obernonne des Nonnenwerther Klosters sagt, wenn sie gut gelaunt ist, folgendes: „Der Roland hat von seiner Burg nicht nur auf sie runtergesehen. Sie hat bestimmt auch zu ihm hochgeschaut.“ Der Führer findet das rührend, wegen Keuschheitsgelübde und so.

Adenauers Haus und der Rolandsbogen

Der 1. Bundeskanzler der Deutschen war zugleich ein fleißiger Erfinder. Zahlreiche Verbesserungen an Haushaltsgeräten gehen auf sein Konto (Gießkanne mit Klappdeckel), aber auch die Adenauerwurst aus dem Magerjahr 1915: Sojamehl mit Knochen und Blut – eine Öko-Flönz für harte Zeiten. Tests in Krankenhäusern ergaben, so liest man: „Die Wurst wurde gern genommen, gut vertragen und, wie der Stuhlgang erkennen ließ, gut genutzt.“
Seine bekannteste Marotte jedoch war das Bocciaspielen. „Zur Entspannung und jeden Tag nach der Arbeit in Bonn“, sagt der Führer. In der Ausstellung unterhalb des Hauses findet man ein paar Kugeln des „Alten“:



Auf einer der acht Terrassen, die er in seinen Steilhang fräsen ließ, liegt auch noch seine alte Bocciabahn:


Und hier spielt er gerade darauf, ziemlich gelenkig für sein Alter:

„Es kommt ja immer darauf an, wie gut sich Politiker miteinander verstehen“, sagt einer meiner Begleiter. Dabei sieht er den Führer wie einen Lehrer an, ein wenig ängstlich, ob er jetzt womöglich Schimpfe kriegt.
„Ja“, sagt der, „mit de Gaulle funktionierte das zum Beispiel auf den ersten Blick.“ Und deshalb stehen die beiden jetzt zusammen im Garten. Mit Blick auf den Rolandsbogen, den Rhein und den Drachenfels. Und gleich, darauf dürfen wir wetten, gehen sie eine Runde Boccia spielen.


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Mittwoch, 13. Oktober 2010

Thekentänzer (35)

Männer allein unterwegs

Es waren einmal drei Jungs, die haben sich letzte Woche zusammen betrunken. Die waren auf Tour, so richtig, und jetzt treffen sie sich zum ersten Mal wieder seitdem. Nennen wir sie André, Ben und Christian.
Sie stehen an der Theke, geben an wie Harry und sind ausgesprochen gut gelaunt.
„Kannst du dich noch an den Witz mit dem Behindertenparkplatz erinnern?“ fragt André.
„Nee“, sagt Ben, „erzähl nochmal.“
„Da fährt dieser megafitte Typ mit seinem Jaguar auf den Behindertenparkplatz, und da sagt die Politusse: ´He, Sie sind ja gar nicht behindert, oder wie.´ Und der Typ, Fönfrisur, braungebrannt und alles: ´Ich hab Tourette, Fotze!´“
Ben lacht sich schlapp: „Ah ja“, sagt er, „jetzt fällt´s mir wieder ein.“
Und Christian bestellt drei neue Kölsch und drei Averna, jetzt sind sie langsam wieder soweit. Und jetzt fangen sie auch an zu erzählen, wie der Abend letzte Woche weiterverlief. Nachdem sie sich verabschiedet hatten und jeder allein seines Weges ging.
André: „Ich dachte echt, ich hab noch Durst. Bin ich also noch in die Kneipe bei mir um die Ecke. Den Rest hat mir dann der Wirt erzählt, der behauptet, ich hätte das erste Bier nur son bisschen angetrunken. Und dass ich mich dann auf die Fensterbank zum Pennen gelegt hab. Jetzt lacht ihr alle, is klar. Kann auch alles sein, weißte, nur is gar nich so lustig. So mit Lülle außem Mund und so. Und als ich dann irgendwann zuhause aufgeschlagen bin, oh Scheiß. Da hab ich mich ganz schön einsam gefühlt.“
Ben und Christian lästern jetzt zwei Bier lang über ihren Weichei-Freund. Danach ist Ben dran: „Ob ihr´s glaubt oder nich: Ich war erst im Hellen zuhause, hab aber kein einziges Bier mehr getrunken. Oder doch: eine Flasche, an ner Tanke, die noch offen war. Aber alles nur, weil ich mein Fahrradschloss nich mehr gefunden hab. Fahren konnte ich sowieso nich mehr, ich hab die Karre den ganzen verdammten Weg geschoben. Und dann fast an meiner Bude merk ich, hab ich das Schloss verloren. Bin ich komplett wieder zurück, alles mit dem geschobenen Fahrrad. Aber nix da: Das Schloss war weg. Am nächsten Tag dann, ich verstrahlt, draußen alles hell: Hängt das Schloss am Lenker. Wo´s nicht hingehört, logo.“
André und Christian lachen ihren Trottelfreund aus, dann ist Christian an der Reihe: „Die letzte Bahn war ja weg, scheiß KVB und so. Also hab ich mir n Taxi genommen und bin nach Hause.“
André: „Und hast noch mit der Nadja gevögelt.“
Christian: „Nee.“
André: „Ja, wieso nich?“
Christian: „Weil die total sauer war wegen der Sauferei. Also: Eigentlich noch ist.“
André und Ben denken einen Moment lang nach. Dann lachen sie trotzdem.

Ein guter Wirt vergisst, was gestern war


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Mittwoch, 6. Oktober 2010

Deutschlandreisen (3)

„Der Bursche wird angezeigt“

Die schönsten Meldungen des „Reichenhaller Tagblatts“ vom 24. September 2010:

„Ein Vorfahrtsschild, das an der Einmündung von der Reichenbachstraße kommend auf den Kreisverkehr aufgestellt war, wurde am Mittwoch zwischen 13 und 20 Uhr umgebogen. Der Schaden beläuft sich auf etwa 100 Euro.“

„Der Trachtenverein ´Kranzlstoana´ Karlstein führt am morgigen Samstag ab 14 Uhr einen Almhoagart für alle Mitglieder, Einheimischen und Gäste auf der Höllenbachalm durch.“

„Die Russen haben gebeten, es mögen noch mehr bayrische Bauern kommen. Sie haben noch Brachflächen.“

„Ein 21-jähriger Schönauer befuhr mit seinem Lkw am Unfallort die linke der beiden Fahrspuren in Richtung Bad Reichenhall. Als er auf die rechte Fahrspur wechselte, übersah er wahrscheinlich den Pkw einer 19-jährigen Teisendorferin. Es kam zum Zusammenstoß.
In weiterer Folge schleuderte der Pkw auf die Fahrspur des entgegenkommenden Verkehrs. Dort nahte eine 32-jährige Ainringerin mit ihrem Pkw. Die beiden Autos stießen ebenfalls zusammen.“

„Mitwirkende bei dem Treffen waren unter anderen auch die Rottauer Klarinettenmusi, die Gfierigen Sulzberger, ebenfalls ein Dreigesang, die Hirschberg-Zithermusi und die Hohenaschauer Musikanten.“


„Die Firma Casatep Orientteppiche informiert mit einer Beilage in unserer heutigen Gesamt-Ausgabe über ihr Angebot. Wir bitten um Beachtung.“

„Ein ökumenischer Kabarettabend findet am Freitag im Pfarrheim St. Andreas in Berchtesgaden statt. Eine Gruppe bayrischer Pfarrerinnen und Pfarrer hat sich zum ´Weißblauen Beffchen´ zusammengeschlossen. Sie hatten zum Beispiel mit ihrem Auftritt beim Ökumenischen Kirchentag in München viel Erfolg.“

„Zum Almabtrieb fährt wieder der Almbus zur Stoißer Alm; Anmeldung bei Ehrenlechner.“

„Die Krieger- und Soldatenkameradschaft Surheim beteiligt sich am Samstag am 125. Gründungsfest des Krieger- und Reservistenvereins Freilassing-Salzburghofen.“

„Der 17-Jährige hatte keine Fahrerlaubnis für den Roller, der aufgrund umfangreicher, unzulässiger Umbauten eine Geschwindigkeit von rund 80 Stundenkilometer erreichte. Der Bursche wird angezeigt.“

„Bei schönem Spätsommerwetter fanden sich 199 Dirndln und Buam aus 14 Vereinen des Gebiets Rupertiwinkel von Gebietsvertreter Herbert Galler zum Gebietspreisplattln mit Dirndldrahn im Bauernhofmuseum in Hof bei Kirchanschöring ein.“
(Tipp: Lesen Sie sich das einmal laut vor!)

Und schließlich noch eine Information aus dem Ressort Internationale Politik: Der indische Finanzminister heißt Pranab Mukherjee. 



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Mittwoch, 29. September 2010

Thekentänzer (34)

Die Frau mit dem Fahrrad

Die Frau mit dem Fahrrad, die Tasche im Körbchen der Fahrradfrau. „Neurologische Klinik Daundda“, steht da drauf. Man sieht nur ihren Hinterkopf, hört sie aber reden:
„Das hättest du nicht tun dürfen“, sagt sie immer wieder. „Das hättest du nicht tun dürfen.“
Später in der Kneipe steht ein junger Angeber neben einem etwas älteren Polen.
„Du hast echt bei euch im AKW gearbeitet?“
„Ja“, sagt der Pole und versucht, amüsiert zu lächeln.
„Da habt ihr die Atomkerne noch mit Hammer und Meißel gespalten, wa.“
Schon um halb 8 stand Konrad am Fenster, so nannte der sich. Und wollte rein.
„Inner halben Stunde, Konrad.“
Und jetzt ist er wieder da, um die 60, schwer betrunken.
„So einen wie mich“, lallt er, „so einen wie mich kannst du nicht ersetzen. Den kannste nur erlegen.“ Sein heiseres Lachen geht in einen grauenhaften Husten über, der nicht aufhören will, immer wieder hochschwappt und schwächlich versinkt.
Der junge Angeber spricht in irgendeinem alpinen Dialekt. Er will noch einen doppelten Jim Beam, na gut. Aber die Eismaschine ist kaputt, gibt keine Würfel dazu.
„Und Brezn ham wir auch nich“, sagt der Pole, um mal seinerseits ein kleines Zeichen zu setzen.
„Bayern ist mir scheißegal. Ich bin a Österreicher“, erwidert der Angeber. „Kann ich Eis in den Whiskey haben?“
Ich dimme das Licht, um ihn schlechter zu sehen.
„Ach Gott, is dat schön hier“, singt Konrad. „Gipß hier auch Weiber?“
Hinter ihm am Hochtisch sitzen zwei Frauen. Sie beachten keinen von uns. Aus den Boxen schallt In-A-Gadda-Da-Vida von Iron Butterfly, die volle 17-Minuten-Version. Angeblich wollte Doug Ingle eigentlich „In the Garden of Eden“ singen, war dazu aber nach mehreren Litern Wein nicht mehr in der Lage.
„Hast du mal Richie Havens gesehen, wie der in Woodstock ´Freedom´ bringt?“ fragt der Österreicher in die Runde. – „Da kannst du dem alle klassische Musik in sein zahnloses Maul stopfen.“
Je länger man über diesen Satz nachdenkt, desto weniger Sinn macht er. Das scheint auch der alpine Angeber zu merken: „I nehm noch aan Doppelten.“
Der Pole hat sein drittes Kölsch geleert und will bezahlen.
„Grüß deine Frau“, rufe ich ihm hinterher.
„Mach ich“, sagt er geknickt, „wenn die wieder mit mir redet.“
Der alte Säufer ist merklich stiller geworden. In seinem Fischgrätmantel nisten die Motten. Aber plötzlich schnellt sein Kinn vor.
„Weißt du was?“ sagt er und winkt mir mit einem dreckigen Zeigefinger. „Das Leben ist ein Boxkampf. Und Boxkämpfe! – Die müssen schwarzweiß sein.“


Peter Müller schlägt 1952 den Ringrichter Max Pippow k.o. Die Zeichnung darunter stammt auch von Müller und soll eine Maus darstellen. (Aufgenommen im „Mauseum“ in Glessen)


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Mittwoch, 22. September 2010

Deutschlandreisen (2)

Ein Morgen im Westwallbunker

„Da haben Sie Glück, ich habe gerade ein paar Tage Urlaub“, sagt Herr Dräger, weil ich jenseits der Öffnungszeiten anrufe.
Er betreut ehrenamtlich den Bunker 20 in Dillingen an der Saar. Ein Relikt von Hitlers Westwall: 630 Kilometer Festungslinie entlang der deutschen Westgrenze; 1,2 Mio. Tonnen Stahl, 8 Mio. Tonnen Zement. Beim Bunker in Dillingen handelt es sich um einen Regelbau 114 b SK der Wandstärke A, das heißt, die Decken und Wände bestehen hier aus 3,50 m dickem Beton.
„Da konnte keine damalige Waffe gegen an“, sagt Dräger.
Ende 1944 war hier die Hölle los. Der Bunker wechselte mehrmals den Besitzer, mehrere hundert Soldaten starben auf beiden Seiten. Zwar steht man hier ausschließlich zwischen kaltem Beton und Stahl, dennoch besticht die beinahe liebevoll zu nennende Präzision, mit der alles ineinanderpasst. Die Patronenhülsen des MG wurden über einen Trichter entsorgt, damit nichts im Weg lag, Frischluft wurde im Notfall per Hand nach innen gepumpt, und das Winkelfernrohr ist ein Traum der Feinmechanik.
Die fast 50 Tonnen schwere Turmkuppel verfügt über sechs Schießscharten, durch die man das komplette Gelände im Blick hat:



Gemütlich war es hier trotzdem nicht:



Dräger hat schon an der Aufarbeitung eines anderen Bunkers mitgewirkt. Aber da wollten die Politiker zuviel mitreden. Hier in Pachten führt er allein Regie. Als draußen ein Schrottsammler vorbeifährt, schmeißt er sich an eine der Sichtluken:
„Einmal haben wir hier, direkt vorm Bunker, eine Original-Werkzeugkiste vom Lader geholt.“
Sammlererfolge, so sind die alle.
Gesammelt wird auch in der Eifel, im Panzerwerk Katzenkopf in Irrel. Zum Beispiel Helme, deutsche, amerikanische, chinesische. Dort stoße ich auch auf eine dieser lebensgroßen Museumsfiguren, die immer so schaurig faszinieren.
„Der liegt hier schon lange auf Wache“, sagt Thomas, mein Führer von der Freiwilligen Feuerwehr.


Ami in Irrel


Bevor ich aufs Motorrad steige, spaziere ich zur Saar. Ein alter Kerl mit Schiffermütze kommt mir mit seinem jungen Schäferhund entgegen. Das Tier kläfft mich wie verrückt an, der Alte sagt etwas auf Dudenhöfferisch. Ich verstehe kein Wort und gehe weiter. Er wiederholt sich, verständlicher diesmal. Ich soll den Hund streicheln, damit der sich an Menschen gewöhnt. Ist das ein Trick?
In Dillingen floss die Saar um 1940 gut 100 Meter weiter landeinwärts. Der Bunker lag also viel näher am Ufer. Heutzutage, und das ist vielleicht der symbolträchtige Clou, wurde über dem Bunkergelände ein Spielplatz angelegt. Und der Schartenturm, in Tarnfarben gestrichen, dient als Klettergerät.
„Ich bin ungedient“, sagt Herr Dräger, als ich ihn auf sein Bundeswehrhemd anspreche. Und weil ich dieses Wort so lange nicht mehr gehört habe, spreche ich ihm nach:
„Ich bin auch ungedient.“


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Mittwoch, 15. September 2010

Deutschlandreisen (1)

Helmut und ich in Aachen

Ich betrete die Aachener Innenstadt durch das Marschiertor. Genau wie in den Kölner Torburgen residiert auch hier eine Karnevalsgesellschaft. Bis zum berühmten Dom Karls des Großen sind es nur ein paar hundert Meter, aber ein heftiger Regenschauer zwingt mich in die nächste Kneipe. Sie heißt Aachener Brauhaus. Linkerhand geht es in den riesigen Speisesaal, der um diese Tageszeit noch ziemlich leer ist. Die Kellnerin trägt einen Stapel Speisekarten unter dem Arm, und bevor es zu Missverständnissen kommt, sage ich: „Ich will nur ein Bier trinken.“
„Können Sie gern hier an einem der Tische machen“, antwortet die junge Frau. „Oder Sie gehen nach nebenan in den Schankraum.“ Ihr Blick wandert zu der kleinen Quertür mit den Butzenscheiben. Hinter bunten Glasscherben sehe ich verschwommene Männergestalten und trete ohne weitere Fragen ein. Zwei Uhr, und der Laden ist voll. – Laden? Nun ja, eher handelt es sich um ein kleines Rechteck von vielleicht fünf mal zwei Metern. Hier steht man entlang der Theke oder sitzt auf dem niedrigen Bänkchen an der Wand. Die Leute, die sich hier treffen, wollen ihr Bier nicht allein trinken. Nein, die wollen gemeinsam rauchen und lachen und ihren üblichen Verzäll loswerden. Und dementsprechend muss ich auch nicht lange warten, bis ich angesprochen werde. Noch steht mein Bier nicht vor mir, da schielt der alte Kerl zu meiner Linken schon rüber.
„Da kommt man von Dortmund hierher und die setzen einem ein Sauerländer Pils vor die Nase“, sagt er mit Blick auf sein Warsteiner. Und schiebt nach: „Ich bin der Helmut.“
Angeblich ist der Helmut genau wie ich vor dem Regen geflohen, also zwangsweise hier. Aber als kurz darauf sein nächstes Pils ankommt, erhasche ich einen Blick auf seinen Deckel: Schon sechs Striche drauf, so lange regnet es noch gar nicht.
„Spricht der Aachener Platt?“ frage ich in die Runde. Gegenüber am Fenster ist es laut geworden, es scheint um Steuern zu gehen. Um die Biersteuer vielleicht.
„Nee“, sagt der dickbäuchige Bartträger rechts von mir. „Der ist Holländer. Das klingt aber tatsächlich so ähnlich wie unser Platt, ist ja auch alles nicht weit von hier.“
Und dann erklärt er mir, dass die Holländer vor allem wochenends in Aachen einfallen wie die Heuschrecken.
„Überall Holländer, man meint, die hätten bei sich außer Windmühlen nichts. Die sind beim Knipsen noch verrückter wie der Chinese. Aber sagen wir mal so: Der Aachener Dom ist ja auch wirklich was Besonderes.“
Genau, der Dom. Wegen dem bin ich ja eigentlich hier. Ich mag keine Printen, für die die Stadt genau so berühmt ist. Später, beim Kaffee auf dem Marktplatz, sehe ich an einer Ecke das Printenhaus von diesem Bühlbecker. Der Mann mit der Frisur aus Stirlingsilber, der sich auf absolut jedes Promifoto schleicht. Angeblich gibt der keine müde Mark für Werbung aus, sondern vertickt seinen Lebkuchen allein durch seine Präsenz in der Yellow Press. Bühlbecker mit Dita von Teese, Bühlbecker mit Mario Adorf und Bühlbecker in dieser Kolumne. Tja, ich bin also auch auf den reingefallen.
Dort hinter dem Rathaus findet sich im übrigen auch der berühmte Karlsbrunnen. Großer Brunnen, kleiner Karl. Die Knochen im Karlsschrein, so sie denn seine sind, weisen den Herrscher als 2,04 Meter großen Riesen aus – ein echtes Monster, zumal für das 8. Jahrhundert. Auf dem Karlsbrunnen hingegen steht ein Hampelmann von vielleicht 1,50 Metern. Machen die das, um jede Breker-Assoziation zu vermeiden? Um ja nicht in die Nähe von braunem Kolossalismus gerückt zu werden? – Also wenn es nach mir ginge, wäre der Brunnen-Charlie größer.
Oft sind es die ganz kleinen Dinge, eine scheinbare Nebensächlichkeit, die einem ein Kunstwerk näherbringen. So ein goldener Schrein wie der im Aachener Dom zum Beispiel: Der glänzt, klar! Aber ein Sahnebonbon von Werther glänzt auch (erst recht, wenn er einmal angelutscht ist). Das ist echtes Gold, kann man sich einreden, wenn man diesen Sarg sieht. Und da liegen die Gebeine Karls des Großen drin, einer der bedeutendsten Kaiser der deutschen Geschichte. Aber all das kickt nicht so richtig, denn das Gold kann man nicht anfassen und die Knochen nicht sehen. Dann jedoch erklärt die Führerin jene Figurenkonstellation auf dem westlichen Ende des Schreins. Dass da der liebe Karl riesenhaft in der Mitte thront, dass er – genau, jetzt sehe ich es auch! – selbst sitzend noch die beiden stehenden Figuren an seiner Seite überragt. Und dass der Mann zu seiner Linken der Papst sein soll: klein, unscheinbar und dazu auch noch in einer furchtbar unbequemen gebückten Haltung, die durch seine viel zu kleine Nische erzwungen wird. Karls Sarg entstand kurz nach seiner Heiligsprechung, da waren Ruhm und Ehrfurcht noch frisch. Und mit dieser figürliche Demütigung des Kirchenoberhaupts hatte jemand klar Stellung bezogen im ewigen Machtkampf zwischen Kaisern und Papsttum.
Als ich den Dom wieder verlasse, hat der Regen aufgehört. Mal sehen, ob ich irgendwo den Helmut treffe.


Karls Thron, ca. 400 Meter hinter dem Aachener Brauhaus


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Mittwoch, 8. September 2010

Fundstücke (8)

Junge Mütter und ältere Startbahnhüttendörflerinnen
Schildergasse
Joggender Typ mit Knopftelefon, extrem laut: „Du willst nicht zu mir zurückkommen?“
Frau: ???
Joggender Typ: „Ja aber warum denn nich?“
Frau: ???
Joggender Typ: „Das is doch totaler Scheiß, was du da ...“
Frau: ???
Joggender Typ: „Dann leck mich, weißt du dat!“
Frau: ???
Joggender Typ: (nimmt Stöpsel aus dem Ohr und entschwindet hinter C&A)

Die Zeitschrift Graswurzelrevolution zum „Anarchafeministischen Sommercamp“ in Alsfeld
„Sie kamen aus verschiedenen sozialen Bewegungen: Ältere ehemalige Startbahnhüttendörflerinnen und junge Genfeldbesetzerinnen, Antifa-Aktivistinnen, Frauen der Uni-Hochschulpolitik, eine anarchistisch denkende Direktkandidatin der Linken für den Bundestag, zwei Autorinnen des Kommunefrauenbuches, eine Kommunebewohnerin, Theaterschaffende, eine ehemalige Mutlangen-Friedensaktivistin, zwei Syndikalistinnen der FAU und in Nachbarschaftsaktionen Aktive versammelten sich bei Alsfeld, um sich über verschiedene Themen und ihre Erfahrungen auszutauschen.“

Südstadion, Fankurve
Junge Frau mit Bockwurst, deren Baby plötzlich kreischt wie am Spieß, zu ihrem Mann: „Hier, iss du die Wurst.“
Mann, die Wurst entgegennehmend, während die Frau das Baby tröstet: „Aber da ist ja gar kein Senf drauf!“

Mutter-Kind-Bindung in den 1930er Jahren

Katharina Petzoldt, aus dem Gedicht „Zollstock, Endstatiun“, in: Dat es Kölle, wie et läv, 1991
„Jrad üvver uns, das Herrmanns Nett
zick einem Johr kein Arbeit hät.
Schon morjens fröh süht mer et laufe,
för jeden Dach Schabau zo kaufe.
Et dort nit lang, do weesch et sinn,
kütt dat noch en de Aanstalt ren.“

Geißbockecho, Vortext zum Gespräch mit Rheinenergiechef Dieter Steinkamp
„(Rheinenergie, das sind) die, denen die Menschen wichtig sind. Die, die wissen, dass sie mit ihren Produkten in die intimsten Bereiche ihrer Kunden vordringen und diese Verantwortung ernst nehmen. Die, die bewusst dafür sorgen, dass im Kinderzimmer ein Notlicht glimmt, die Suppe im Winter auch warm wird, die Toilette voll Spülwasser ist, bei der Party die Musik aus den Boxen wummert und das Handy, der mp3-Player und das Laptop jederzeit aufgeladen werden können.“

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Mittwoch, 1. September 2010

Coloniales (29)

Friedrich Schiller und die Heinzelmännchen

Hat Friedrich Schiller sein berühmtes Gedicht „Die Glocke“ bei August Kopisch („Die Heinzelmännchen zu Köln“) geklaut? Gleich mehrere überregionale Feuilletons griffen den spektakulären Vorwurf in den letzten Wochen auf, ohne dass eine einzige Kölner Zeitung reagierte. Grund genug also, wenigstens in dieser Kolumne die Fakten zusammenzutragen.
Zunächst einmal springt auf sprachlich-strukturalistischer Ebene die Homogenität der Ereignisse und Biographien ins Auge. Schiller erklärt den Werdegang einer - zwischenzeitlich berstenden - Glocke, und eins auf die Glocke bekamen auch die Heinzelmännchen. Beide, Schiller und Kopisch, sind Maienkinder, und beide fordern in ihren moralisch intendierten Werken zu Fleiß und Anstand auf. Schillers „Glocke“ erschien anno 1799, genau hundert Jahre, bevor man in Köln den Heinzelmännchenbrunnen errichtete. Und während Schiller seine Glocke in die Hand der „frisch Gesellen“ legt, steht Kopischs Brunnen vor dem „Brauhaus Früh“. „Frisch“ und „Früh“, das ist selbstverständlich ein Analogon zum idiomatischen Brüderpaar „Fromm“ und „Frei“.
Mindestens doppelt unterstrichen wird die These von Schillers Nacheiferung bei der Gegenüberstellung der beiden Poeme. Hier zwei exemplarische Auszüge:


Friedrich Schiller: Die Glocke

Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise,
Und lehret die Mädchen
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn´ Ende
Die fleißigen Hände,
Und mehrt den Gewinn
Mit ordnendem Sinn,
Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Die schimmernde Wolle, den schneeigen Lein,
Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
Und ruhet nimmer.


August Kopisch: Die Heinzelmännchen zu Köln

Die faulen Burschen legten sich,
Die Heinzelmännchen regten sich -
Und ächzten daher
Mit den Säcken schwer!
Und kneteten tüchtig
Und wogen es richtig,
Und hoben
Und schoben,
Und fegten und backten
Und klopften und hackten.
Die Burschen schnarchten noch im Chor:
Da rückte schon das Brot, das neue, vor!


Sofort erkennt auch der Laie die thematischen und rhetorischen Parallelen: In beiden Gedichten geht es um die Arbeit, um den mühseligen, dennoch mit Mut und Emphase zu bewätigenden Alltag. Wie Kopisch, so reiht auch Schiller einen „und“-Satz an den anderen, um so die Monotonie des Vorgangs sprachlich abzubilden. Auf den ersten Blick erkennt man auch das metrische Muster, das der Weimarer Dichterfürst bei Kopisch abgekupfert hat: Hier wie dort bestimmen stampfende Daktylen den Rhythmus: „Und lehret die Mädchen“ (Schiller) - „Und kneteten tüchtig“ (Kopisch).
Hier könnte man enden, der Beweis ist erbracht, zumal im Familiennamen „Kopisch“ nicht zufällig das Nomen „Kopie“ anklingt. Der große, 1802 geadelte Friedrich von Schiller hat eines seiner berühmtesten Gedichte dem kleinen Breslauer August Kopisch zu verdanken. Wäre da nicht noch ein weiteres Detail, das hier schlussendlich zu erwähnen ist.
Denn bezeichnend für den Weimarer Geist ist nicht zuletzt die reaktionäre Wendung, die der Dichterfürst dem kölnischen Original verpasste. Statt auf fleißige Männlein stößt man in der „Glocke“ auf Heimchen am Herd. „Die züchtige Hausfrau“ hütet die Küche, „lehret die Mädchen“, kurzum: hält das ganze Haus in Ordnung, während es den Mann nach draußen, in die weite Welt treibt, wie es an anderer Stelle sinngemäß heißt. Rückwärtsgewandter kann ein Frauenbild kaum sein, Schiller übertrifft hier jedes patriarchale Klischee. Bei Kopisch hingegen sind es die Zwerge, die schaffen, hier scheint bereits die Idee vom modernen, im Haushalt wie selbstverständlich mitwirkenden Mann auf. - Wenn man auch zugeben muss, dass die der Schneidersfrau zugeschriebene Neugier gleichfalls nicht ganz frei von geschlechterspezifischen Ressentiments ist.


Die Heinzelmännchen zu Köln. Man beachte die glockenhafte Mütze des 2. von links.



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Dienstag, 24. August 2010

Thekentänzer (33)

Der langsame Richard

Wenn er den Kopf wendet, vergeht eine Ewigkeit. Sein Bier bestellt er mit einem kaum merklichen Augenkniepen, und spendiert ihm jemand einen Drink, quittiert er das mit einem sehr kleinen Nicken. Der langsame Richard redet nicht viel, eigentlich gar nichts.
Der langsame Richard hebt den rechten Zeigefinger, wenn er die Kneipe betritt, und er setzt sich immer ganz rechts an die Theke. Wenn der Hocker dort besetzt ist, platziert er sich ganz in die Nähe. Wechselt er auf seinen Stammhocker, wenn dieser dann im Laufe des Abends frei wird? - Nein, das tut der langsame Richard nicht. Wenn er einmal sitzt, sitzt er.
Manchmal, spät abends, bestellt sich der langsame Richard ein Päckchen Nüsse. Er zeigt auf die Ültjes im Regal und streckt den Daumen in die Höhe. Der langsame Richard ist sehr geschickt im Öffnen dieser elenden Verpackungen. Er braucht seine Zeit, klar, aber nie kullert ihm auch nur ein einziges Nüsschen vom Tresen. Der langsame Richard bietet nie jemandem von seinen Nüsschen an, und er isst jede Erdnuss einzeln. Manchmal hat man den Eindruck, er lutscht die Nüsschen, anstatt sie zu zerbeißen. Jedenfalls ist er mit so einer Packung immer ziemlich lange beschäftigt.
Der langsame Richard trinkt auch auf eine recht seltsame Art. Wenn er das Glas ansetzt, bewegt sich sein Kehlkopf unglaublich schnell auf und ab. Wie ein Kolben im Zylinder. So kurze, kleine Schlückchen kann man doch gar nicht machen, denkt man sich als Beobachter. Aber der langsame Richard kann.
Eines Tages war der langsame Richard schwer betrunken, und da geschah ein Wunder. Der langsame Richard fing plötzlich an zu reden. Man sah ganz deutlich, dass sich seine Lippen bewegten. Und weil das so etwas Besonderes war, hat man da natürlich die Musik leiser gedreht. Und man ist zu ihm hingegangen, rechts an die Theke, und hat sich darübergebeugt. Aber verstehen? - Konnte man nichts. Nur Gebrabbel kam aus dem Mund des langsamen Richard, und als man ihm dann noch ein Stück näher rückte, wusste man auch, wieso. Der langsame Richard hat nämlich keine Zunge mehr.


Wäre das was für den langsamen Richard? - Nein.


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Mittwoch, 18. August 2010

Straßenkämpfer (14)

Wenn Herbert um den Block geht

Es gab Jahre, in denen Herbert sehr glücklich gewesen war. Die Zeit auf der Bohrinsel. Die kurze Ehe mit Marie, zumindest die ersten Monate. Und natürlich das Jahr nach dem Lottogewinn, als er die halbe Million durchgebracht hatte. Aber wie er so dalag, auf dem schmalen Bett mit Blick auf den schäbigen, kariert bezogenen 70er-Jahre-Küchenstuhl, fühlte er sich todunglücklich. Das Zimmer war ihm vom Sozialamt zugewiesen worden, nachdem er sechs Wochen auf der Straße verbracht hatte. Nachdem er mit Erfrierungen in ein Krankenhaus eingeliefert worden war und man ihm zwei Zehen hatte abnehmen müssen. Das Klo lag auf dem Flur, er teilte es sich mit fünf anderen Männern, deren zwei, seine Nachbarn, er immer hörte, wenn sie, wie er es auch tat, in ihr Waschbecken urinierten.
Herbert steckte sich eine weitere Zigarette an und beschloss, danach noch einmal um den Block zu gehen. Das Haus lag mitten im Studentenviertel, da war immer viel los. Und fast jede dieser Studentinnen war hübsch wie ein Model. Herbert brauchte keine Magazine mehr, die waren sowieso zu teuer. Er brauchte nur einen Gang um den Block und ein Gesicht. Das trug er dann zurück nach Hause, wo er es für eine halbe Minute mit Küssen und Schweinereien bedachte. Danach steckte er sich eine neue Zigarette an.

Von Herbert gepflückte Blume, die die Studentin, der er sie schenkte, achtlos wegwarf


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Mittwoch, 28. Juli 2010

Thekentänzer (32)

Delphine

Auf dem Alter Markt spielt der schlechteste Straßenmusiker aller Zeiten. Er lehnt am Jan von Werth-Brunnen und jault „Wellenreiter“ von BAP:

„N´Ovend, Wellenreiter, sach, wie jeit et dir? Hühstens ad ens Zweiter oder Dritter, ävver miehstens nit ens Nummer 4, löufs du pausenlos der Trends wie ne Komparse hingerher, echt, dat dät mich öden, un zwar schwer.“

Während ein Pulk US-amerikanischer Touristen interessiert zuhört, nähert sich von der Kleinen Budengasse her eine Indiogruppe. Drohend schwingt einer der bunten Teppichträger seine Panflöte. Zwischen den Tischen der Biergärten klackert ein Stelzenmann übers Pflaster, wie gut, dass ich drinnen sitze.
„Sagst du mir deinen Namen?“ fragt der Kellner.
„Hartmut“, sagt einer der beiden anderen Gäste. Und weil er aus der DDR kommt, spricht er es „Hortmüt“ aus. So ganz schüchtern.
Der andere Trinker ist Mitte 20, Typ Südkurve beim FC. Vor ihm steht ein Glas Whisky-Cola, und vorm offenen Fenster stakst eine großgewachsene Frau vorbei. Im Gehen nimmt sie ihren Kaugummi aus dem Mund und steckt ihn in eine Tupperdose.
„Die Alte da, die käm mir jetz grade recht, ey“, sagt der Proll.
„Ich war mal auf einer Miss-Wahl“, sagt Hartmut. „Da hatten die auch alle so Beine bis zum Hals.“
Der Proll reagiert nicht, sondern starrt weiter dort hin, wo die Frau soeben verschwunden ist.
„Da war ich auch ein andermal, da haben die da eine Delphinschau gemacht.“ Hartmut wirkt stolz.
„Delphine sind schwule Haie“, sagt der Proll, ohne sein Gegenüber anzusehen.
Hartmut lacht ein bisschen. Als die Tür aufgeht, denkt jeder für einen Augenblick, es ist die Frau mit den langen Beinen. Stimmt aber nicht, es ist der Gitarrenmann vom Brunnendenkmal. Er bestellt ein Bier und fragt, ob er uns einen spielen soll.
„Nee, lass mal“, sagt der Proll und wächst damit in meiner Achtung.
Hartmut wirkt ein bisschen enttäuscht, traut sich aber nichts zu erwidern. Über uns rotiert der Ventilator, draußen frisst die Sonne den letzten Schatten, und die Indios singen Guantanamera. Von rechts, wo unser Blickfeld durch den Fensterrahmen begrenzt ist, taucht nun die Frau auf. Sie geht in die Hocke, um eine Münze in den Indioschlapphut zu legen. Ein Knie nah am Boden, das andere aufwärts gerichtet. Ihr Rock spannt über dem Hintern, und während sie die Augen zu den Musikern hin aufschlägt, scheint sie etwas Freundliches zu sagen.
„Da könnt ich verrückt werden“, nuschelt der Proll in sein Glas hinein, und Hartmut antwortet: „Also, ich mag Delphine!“


Schwule Adler


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Fundstücke (7)

Der Eine sagt so, der Andere so

Hell´s Angels und Bandidos
„In Bremen und Hannover gab es allerdings regelrechte Hetzkampagnen, die gezeigt haben, dass hinter der gutbürgerlichen Maske noch immer die Mechanismen der Propaganda aus den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts funktionieren. Solche Leute sind die unbelehrbaren Gegner aller Menschen, die nicht in deren Schema passen. Dazu gehören natürlich auch Member von MCs.“
(Die Motorradclubs in einer gemeinsamen Erklärung zum Friedensschluss, aus: Bikers News 7/10)

Das eine Wunder und das andere
„Unser Modell Claudia ist nicht alt. Sie sieht auch nicht so aus. Sie überzeugt durch optische Präsenz und zwei Wunder der Natur.“
(Bikers News)


Ikoven und Evinghoven
Ikoven hat eine lange Geschichte, so stand hier, bevor in Evinghoven jemand an die Erbauung eines größeren Sakralbaus dachte, bereits die erste geschlossene Kapelle.
(Eintrag in Wikipedia, vermutlich von einem Ikovener)

Langenfeld und Leverkusen
a) Langenfeld
„Bereichert wurde das Einkaufsangebot in Langenfeld in den letzten Jahren durch die Stadtgalerie mit unter anderem Kaiser's, Thalia, Textilfirmen wie C&A, dazu medi-max, Bäckereien, Süßwaren, Geschenk- und Drogeriewaren sowie der Post. Weitere Einkaufszentren entstanden mit der Markthalle am Marktplatz und den Marktarkaden sowie dem Marktkarree, das am 6. November 2008 eröffnet wurde. Mieter dort sind unter anderem s.Oliver, Esprit, Gerry Weber, Bonita, GameStop, New Yorker, Triumph und der Drogeriemarkt Müller.“
b) Leverkusen
„Leverkusen ist an das deutsche Autobahnnetz gut angebunden. Bekannt ist Leverkusen vor allem durch das Autobahnkreuz Leverkusen. Hier treffen die A1 und die A3 aufeinander. In Leverkusen erscheint der Leverkusener Anzeiger als Ableger des Kölner Stadt-Anzeigers. Der TuS 05 Quettingen e.V. ist mit über 1.000 Mitgliedern und 21 Sportabteilungen der größte gemeinnützige Verein im Leverkusener Breitensport. Die Stadt verfügt über kein eigenes Theater. Leverkusen hat keine Universität und keine Fachhochschule. Der höchste Punkt des Stadtgebiets befindet sich bei der Zufahrt zur Mülldeponie Burscheid.
(jeweils aus: Wikipedia)

Brühl und der Kaiserbahnhof
„Es war ein mal ein Kaiserbahnhof, in dem wie er jetzt aus sieht. ich hoffe wen die Sanieruns Arbeiten vertig sind irgent wan mal, das er genauso aus sieht wie früher.“
(ein Jürgen auf www.kaiserbahnhofbruehl.de)


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