Mittwoch, 26. August 2009

Straßenkämpfer (7)

Der kleine Mann

Eine Stimme, hinter mir, auf dem Fußballplatz: „Am Ende zahlt das doch wieder alles der kleine Mann!“
„Das sowieso“, murmelt eine andere.

Ob Stadion oder Stammtisch, in Deutschland läuft kein Glas Bier voll, ohne dass irgendwer das Lied vom kleinen Mann singt. Wie eine Hymne, oder eine Litanei aus der Kirche: „Danke – Für meine Arbeitsstelle/ Danke – Ich bin ein kleiner Mann/ Danke – Oh Herr ich will dir danken, dass ich danken kann.“ Und auf der anderen Seite gibt es „Die da oben“. Das sind die mächtigen Feinde des kleinen Mannes.
„Das könnte denen da oben so passen.“
„Was will der kleine Mann schon tun.“
„Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen.“
„Und ausbaden muss es dann der kleine Mann.“
„Die da oben lachen sich ins Fäustchen.“
„Der kleine Mann zahlt halt immer drauf.“
So ähnlich laufen diese Gespräche jedes Mal, egal, ob es um die Erhöhung der Benzinpreise oder zu dünnes Klopapier geht. Allerdings hört man niemanden je sagen: die kleinen Männer. Offensichtlich gibt es den kleinen Mann nicht in der Mehrzahl. Er steht immer allein. „Die da oben“ hingegen, das sind viele. Die halten zusammen, damit der kleine Mann ja nicht größer wird.
Der kleine Mann trägt einen Helm, weil er von denen da oben tagtäglich was auf den Deckel bekommt. So bleibt er klein, kann aber weiter arbeiten. Grau ist sein Helm, und von dem ganzen Staub, den der kleine Mann gefressen hat, ist auch sein Gesicht ganz grau geworden. Er trägt formlose graublaue Arbeitsklamotten, damit der Dreck nicht so auffällt, der an ihm haftet. Der kleine Mann ist eine graue Maus. Eine kleine graue Maus.
In seltsamem Kontrast zu dieser Selbsteinschätzung steht der heilige Zorn, mit dem der kleine Mann seine Klagen vorträgt. Wenn es nämlich um „die da oben“ geht, ist jeder kleine Mann immer zugleich der Größte.
Die da oben sind die Bösen, der kleine Mann hingegen ist gut. Der hat gar keine Zeit, böse zu sein. Der malocht, und danach ist er viel zu erschöpft, um was Böses zu tun. Da legt er sich aufs Sofa und streckt die Beine aus. Aber wer will denn schon sein Leben lang ein kleiner Mann sein?
Oskar Matzerath, der war so einer. Hatte sich freiwillig in den Keller gestürzt, damit er nicht wachsen musste.
Streiks gibt es nur in Frankreich, da langen sie richtig zu. Und warum kann der deutsche kleine Mann sowas nicht auch? Weil er, aus irgendeinem historischen Grund, noch viel kleiner ist als der französische kleine Mann. Weil er so klein ist, dass man ihn selbst dann übersieht, wenn er auf die Barrikaden geht.
Wenn der deutsche kleine Mann streiken soll, steckt man ihn in ein leuchtfarbenes Leibchen und drückt ihm eine Trillerpfeife unter den Schnäuzer. Aber der kleine Mann von der Straße scheint sich auf selbiger gar nicht recht wohl zu fühlen. Schnellen Schritts bringt er den Marsch hinter sich, wie den Weg zwischen Werkstatt und Kantine, wenn es ans Fressen geht. Wenn man ihm eine Kamera vor die Nase hält, beginnt er zu stottern. Mit scheuen Stolz latscht er hinter seinem Banner her, und ab und und an schickt wohl auch mal einer einen Fluch gen Himmel. Auf der Abschlusskundgebung steigt dann irgendein Fettsack vom DGB aufs Podium, schimpft großmäulig auf die da oben und holt sich seinen Applaus ab. Und danach geht der kleine Mann erleichtert nach Hause, oder in die Wirtschaft. Da ist er dann wieder der Größte.

Ich drehe mich um. Der Mann hinter mir trägt keinen Schnäuzer. Aber viel größer als 1,60 ist er auch nicht.



Die Passage ist so ähnlich zu lesen in: Bernd Imgrund: Quinn Kuul, Roman, Verlag Haffmans bei Zweitausendeins.

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Mittwoch, 19. August 2009

Fränki (2)

Wählen gehen

Ist ja wohl vollkommen logo, dass ich nich wählen gehe. Ich glaub, wählen gehen ist das Bescheuertste, was man überhaupt machen kann. „Wer wählt, lebt verkehrt“, das haben ja schon die alten Hippies immer gesagt.
Oder so ähnlich, aber vernünftig reimen konnten die selbstgehäkelten Spacken ja sowieso nich. Ich hasse die. Genau wie Politiker und so, und deshalb wähle ich auch keinen von denen.
Wählen ist imgrunde wie Müsli kaufen. Da denkt man sich: Klar, ab morgen leb ich gesünder! Da tu ich was Gutes für mich und kauf mir n scheiß Müsli. Und immer wenn ich Hunger hab, fress ich nur noch Müsli. Adé Currywurst, und auch der Dönerkümmel wird arm, weil ich geh nich mehr dem seine fettige Pampe essen.
Und am besten eben noch sonen weißen Joghurt dazu. Da könnt ich normal schon schreien, wenn ich den nur in sonem Einkaufswagen sehe. Also irgendson scheiß Vollkornmüsli mit rechtsgedrehten Kichererbsen oder so, und dazu n weißer Joghurt. Aber dann kriegt man halt sonen Anfall und kauft sich das mal, so á la, hey, klasse, Magerstufe tralala, is voll gut für die Plautze.
Und dann steht der Mist zuhause bei einem rum. Jedesmal, wenn du den Kühlschrank aufmachst, steht da der blöde Joghurt. Und eigentlich wolltest du dir nur ne Büchse Bier ausm Gemüsefach greifen, aber dann kuckt dich da der Joghurt an und sagt: „Fränki, du Loser, du wolltest doch jetzt mal gesünder essen und so.“
Und oben im Regal eben die Müslipackung. Vitamine, Kohlehydrate, und logo auch: Cerealien.
Schon dieses beknackte Wort: Cerealien!
Das ist der absolute Tiefpunkt von aller menschlichen Intelligenz. Dass die Werbefuzzis es geschafft haben, dass meine vollverspackten Mitbürger son Wort in den Mund nehmen: Cerealien. Ich würd eher sterben, als mir sowas auflabern zu lassen. Lieber den finalen Dönerhappen als auch nur eine einzige scheiß Cerealie.
Und genauso ist das eben auch mit dem Wählen. Sagen dir alle: Damit tust du was Gutes! Damit tust du letztlich auch dir selber was Gutes, weil dann ja deine Lieblingspartei gewinnt. Und die tun dann deine Steuern senken. Oder wenigstens, dass die einem mal einen ausgeben. Oder dass vielleicht am allerbesten mal einer sein Fett wegkriegt, ders richtig verdient hat. Also mein Chef oder so, oder der Spackenwirt vom scheiß Kosmos, der mir immer mindestens fünf Bier zuviel abrechnet. Dass die Politiker denen einfach die Arbeit wegnehmen, so: Hey, du Spacken, du hast dem Fränki immer den Deckel vollgekritzelt, du kommst jetzt innen Knast.
Aber nix da. Du kannst wählen, wen du willst, für dich persönlich ändert sich absolut nada.
Und deswegen kauf ich eben auch kein Müsli. Dem kuckt man dann sowieso nur beim Vertrocknen zu. Wie so jeden Tag n paar Millionen von den blöden Cerealien verrecken. Und im Kühlschrank, der Joghurtbecher: Nach paar Monaten hebt sich langsam der Deckel, weil der Schimmel keinen Platz mehr hat in dem ganzen weißen Gemansche. Und dann ab innen Mülleimer, zu den Bierbüchsen. Bye Bye Joghurt, bye bye ihr armen kleinen Cerealien.
Kriegt man voll den Durst von, von soner Nachdenkerei. Dabei sauf ich eh schon genug. Kommt halt einfach nix Vernünftiges bei rum, ob jetzt beim Wählen oder Müsli kaufen oder so.
Mach ich nich.


Bei den Fränki-Posts handelt es sich um die Fortschreibung des gleichnamigen Romans, s. www.emons-verlag.de

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Mittwoch, 12. August 2009

Coloniales (21)

Das Relief am Sachsenring

Die Kölner Stadtmauer wurde nie über-, aber einmal unterwunden. Davon zeugt ein Denkmalrelief am Sachsenring, an dem sich der größte erhaltene Rest der mittelalterlichen Stadtmauer entlangzieht.
Die blutigen Kämpfe, von denen hier berichtet wird, ereigneten sich im Jahr 1268. Zwanzig Jahre zuvor war der Grundstein des neuen Doms gelegt worden, zwanzig Jahre später sollte es zur großen Schlacht von Worringen kommen. Aber schon seit den frühen 1260er Jahren gärte der Konflikt zwischen dem Klerus und der städtischen Führungsschicht. Erzbischof Engelbert von Falkenburg hatte 1262 die gerade errichteten Stadtmauertürme am Rhein besetzt, den Bayen- im Süden und den Kunibertsturm im Norden. Zwar konnte er von der Kölner Bürgerschaft nach hartem Kampf vertrieben werden, aber 1268 witterte er eine neue Chance. Zwistigkeiten unter den Kölner Patrizierfamilien nutzte Engelbert zu einer schlagkräftigen Koalition mit einer der Parteien, die ihm die Macht über die Stadt zurückerobern sollte.
Angeblich war es ein verräterischer Schuster, der einen Tunnel unter der Stadtmauer nahe der Ulrepforte anlegte. Und laut dem historischen Stadtschreiber Gottfried Hagen seien am 12. Oktober 1268 rund 5.000 Bewaffnete unter Führung des Limburger Herzogs Adolf V. hier eingedrungen. Die Kölner jedoch setzten sich wiederum zur Wehr, diesmal unter der Befehlsgewalt der neuen mächtigsten Sippe der Stadt, den Overstolzen.
Der Widerstand war erfolgreich, die Eindringlinge wurden zurückgeschlagen, viele von ihnen getötet. Noch im Jahr 1360 blickte man städtischerseits voller Stolz auf diese „Schlacht an der Ulrepforte“, wie sie bald genannt wurde, zurück. Damals nämlich ließ der Rat jenes Relief anbringen, das bis heute nahe dem nördlichen Turm am Sachsenring zu besichtigen ist. Möglicherweise handelt es sich dabei um Deutschlands ältestes an ein historisches Ereignis erinnerndes Denkmal. Und mit ziemlicher Sicherheit ist ihm der Erhalt dieses repräsentativen Abschnitts der mittelalterlichen Stadtmauer zu verdanken.

P.S.: In der Rheingasse nahe dem Heumarkt zeugt das Overstolzen-Haus, letzter erhaltener Profanbau der Romanik, von der Macht des historischen Patriziergeschlechts.


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