Mittwoch, 4. Februar 2009

Thekentänzer (10)

Hirn, Herz und Hoden

Ein Brauhaus in der Altstadt, früher Nachmittag. Im Restaurantbereich sitzen ein paar Grüppchen und essen. An den Hochtischen um die Theke herum jedoch ist es noch gähnend leer, außer mir lehnt da nur noch ein Pärchen. Über meine Zeitung gebeugt bekomme ich peu à peu mit, wie die beiden zueinander stehen.
So nämlich:

- Sie arbeiten, seit kurzem, im selben Betrieb.
- Sie haben sich jetzt schon häufiger hier getroffen und schätzen den jeweils anderen dafür, dass man sich ganz toll mit ihm unterhalten könne.
- Beide sind verheiratet und haben Kinder.
- Ins Körperlich-Sexuelle hat sich ihre Beziehung noch nicht ausgewachsen.
- Mit diesem letzten Fakt scheint zumindest der Mann inzwischen zu hadern.

„Das wird ja sonst schal“, sagt er, trinkt ihr Kölsch aus und bestellt zwei neue. Damit hat er ganz ohne Diskussion verhindert, dass sie am Fuße des Bieres womöglich auf die Idee kommt zu gehen. Um sie das nicht merken zu lassen, schwenkt er gleichzeitig auf lustige Kindergeschichten über: dass er seinem Sohn letztens die Schokolade weggegessen hat und dass der ihn dafür ausgeschimpft hat und so weiter.
Die Frau lacht, ein bisschen gezwungen zwar, aber aufmunternd genug, um den Mann unterm Tisch ihre Hand ergreifen zu lassen. Schnell sind alle zehn Finger ineinander verschränkt.
„Was machst du Montag zwischen 12 und 2?“, fragt er. Direkt nach der Kindergeschichte ist das natürlich ein Frontalangriff. Gigoloesk, wagemutig und gesegnet mit dieser Prise Dreistheit, ohne die ein Mann keiner wäre.
Aber Montag Mittag kann sie nicht.
„Ah, ja, na gut“, sagt er und lacht, verlegen nun. „Noch zwei Kölsch?“
Zum Austrinken des vorigen Glases löst sie ihre Hand aus der seinen. Er kontert dies, indem er ihr den freigewordenen Arm um die Schultern legt. Nicht nur seine Gesten, auch seine Stimme wird mit jedem Glas lauter. Der Mann heißt Klaus, und Bier reimt sich auf Gier. Um einen Kuss zu inszenieren, lobt er die Frau, sie heißt Ute, für irgend etwas. Und drückt ihr dann so eine Art Belohnungsschmatzer auf die Wange.
„Sollen wir noch irgendwo hingehen?“, fragt er, als sein Glas wieder einmal leer ist. Die Uhr hinter der Theke geht auf 4 zu, aber Ute will nirgendwo anders mehr hin. Und Ute hat, das ist mehr als gewiss, auch keinen Durst mehr. Und jeder Beobachter würde genau wie ich merken, dass der Zeitpunkt überschritten ist, der magische. Der Moment, in dem es Klick hätte machen müssen. Auch Klaus merkt das, aber er kann es nicht zugeben. Ein Mann, eingeklemmt zwischen Hirn, Herz und Hoden. Catch 22.
Und darum geht Klaus nun erst einmal pinkeln.
„Die Natur ruft“, sagt er.
Ich zahle.



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