Dienstag, 28. Oktober 2008

Thekentänzer (5)

In-ten-dan-ten

Auf dem Programm steht die Premiere eines Klassikers, an dem normalerweise 20 Schauspieler mitwirken. Gegeben wird er heute jedoch als Ein-Personen-Stück, der Darsteller ist Anfang 50 und zeichnet zudem für die Regie und das Licht veantwortlich. Im Theaterfoyer treffen zwei Männer aufeinander. Beide sind Anfang 50 und vom Leben gezeichnet.
"Franz, ja das ist aber eine Überraschung!", ruft der eine und breitet die Arme aus.
"Du hier?", antwortet der andere und fällt ihm in jene. Aber über die Schultern des Kollegen hinweg liest man in seinem Blick die Frage, wie der Kerl denn wohl heißt, mit dem er da schmust.
Nachdem sich die beiden einen Rotwein bestellt haben, beginnt das Gespräch.
"An welchem Projekt arbeitest du denn gerade?", fragt Karl. Nennen wir ihn mal so, denn sein Name wird bis zum Ende im Dunklen bleiben. Außerdem passt er in diesem Zusammenhang natürlich gut zu Franz.
"Ach, weißt du", sagt Franz, verfällt in eine Starre und erzählt dann doch. Da war etwas mit einem Stadttheater, ein Ort irgendwo am Niederrhein. Ein Klassiker, inszeniert für eine Person.
"Aber dann habe ich mich mit dem Intendanten überworfen", sagt Franz.
"In-ten-dan-ten!", sagt Karl, als kaue er auf einem Stück Kuhmist herum.
"Genau", sagt Franz, "und stell dir vor, die Nacktszene hat er gestrichen, bevor ich sie ihm überhaupt vorspielen konnte!"
"Provinz. Tief-ste Pro-vinz!"
"Provinz ist gar kein Ausdruck. Und wie läuft´s bei dir?"
"Frag nicht", sagt Karl und suckelt erstmal ausgiebig an seinem Rotweinglas. "Ich wollte ja die Buddenbrooks auf die Bühne bringen. Hatte ich alles schon ausgearbeitet, als Ein-Personen-Stück."
"Und dann?"
"Nach der Generalprobe war Ende. Ich sage nur: In-ten-dan-ten!"
Eine zweite Runde Rotwein steht an. Karls Trenchcoat leidet unter Schuppenbefall, Franz öffnet seine Jackettknöpfe und stellt sich etwas breitbeiniger auf.
"Das wird ja gleich was, was?", sagt Karl.
"Wie meinst du?"
"Na, der Kollege Hermann, das Stück gleich."
"Oweia, ja."
Franz wartet, bis Karl zu seinem Platz gegangen ist, dann setzt er sich vier Reihen dahinter auf die andere Seite des Saales. Insgesamt sind neun Zuschauer anwesend.

Nach der Aufführung, dieselben beiden Männer, zwei neue Gläser Rotwein.
"Hat es dir gefallen?", fragt Karl.
"Eine Unverschämtheit war das", sagt Franz, "dem Pöbel an die Brust geschmissen."
"Ich habe nichts anderes erwartet", sagt Karl.
Hermann erscheint, umgezogen, abgekämpft und aufgedreht. Sofort gesellt er sich zu den beiden Kollegen.
"Gratulation, mein Lieber!" Karl legt Hermann einen Arm auf die Schultern.
"Es hat euch wirklich gefallen?", strahlt Hermann.
"Unbedingt", sagt Franz, "aber der Publikumsandrang ..."
"Ja", sagt Hermann, "die restlichen Aufführungen sind schon abgesagt worden. Der Intendant, wisst ihr..."
Hermann lässt sich ein Glas Wein über die Theke reichen und legt beim Trinken eine Hand auf den Seidenschal. "Ich danke Ihnen", raunt ihm der letzte Gast zu, bevor er das Haus verlässt.
"Und", sagt Karl, "hast du schon ein neues Projekt am Start?"
"Ach", antwortet Hermann, "frag nicht."

Keine Kommentare: