Mittwoch, 24. September 2008

Coloniales (3)

Mit Lili Marleen auf dem Heumarkt

Samstagmorgen, halb Zehn: Über dem Heumarkt liegt eine bleierne Ruhe. Nazis, Journalisten und Polizisten blinzeln in die Sonne und spazieren ziellos umher, während sich hinter den Barrikaden die Gegendemonstranten sammeln. Das „Fescheck“ (deutsch) hat geöffnet und vertickt seine Bratheringe, die Dönerbude nebenan ist geschlossen. Ein seniler Altnazi spricht mich an: „Wo finde ich denn jetzt die Bühne?“, dabei steht er genau davor.
Drei Meter weiter erklärt eine engagierte Rechtsextremistin ihren Zuhörern die Globalisierung: „Die Steine für das Pflaster hier, die haben indische Kinder gekloppt, so sieht´s nämlich aus.“ Aus Köln hingegen kommt der schwarz-rot-gold gestrichene Toilettenwagen, der den Begriff „Nazi-Kacke“ in einen ganz neuen, irgendwie ursprünglicheren Zusammenhang stellt. Geliefert wurde er von der Firma „Barber Anhängervermietung“, dies nur als kleiner Boykottaufruf für all jene, die demnächst eine Party veranstalten wollen. Ich untersuche gerade, ob der Anstrich ganz frisch und also eigens für diesen Kongress aufgetragen wurde, als aus der Salzgasse eine altbekannte Melodie herüberweht: Lili Marleen, der größte Hit des Zweiten Weltkriegs, eigentlich geschrieben für ein jüdisches Mädchen. Dudelt der aus dem dort postierten Polizeiauto oder einer Altstadtkaschemme? Sind hier die Veranstalter am Werk oder die Vorhut der kölschen Bauchtänzer? – Offene Fragen, aber das Lied war ja schon damals in allen Lagern beliebt.
Mitten auf den Platz hat eine Fernsehzeitschrift ihr Banner geklebt. Beworben wird der Film „Babel“: Ein marokkanischer Ziegenhirte schießt eine weiße Frau an. Oha, denke ich, wenn das nicht mal Stoff für die Rassistenclique ist. Aber TV Spielfilm beruhigt mich: „gefühlvoll, mitreißend“, lautet das knappe Urteil.
Ausgesprochen langweilig hingegen verläuft der Vormittag auf dem Heumarkt. Die Blockaden stehen so fest, dass keine weiteren Teilnehmer auf den Platz gelangen. Das bekomme auf dem Rückweg auch ich zu spüren. Zwei vielleicht 15-jährige Mädels stehen Arm in Arm vor der polizeigesäumten Sperre.
„Darf ich mal hier durch?“, frage ich.
„Nee, hier wird blockiert.“
„Ich habe einen Presseausweis.“
„Kann man fälschen“, sagt die Göre.
Aber irgendwann geht das Leben weiter. Unter den Demonstranten sehe ich Martin Schüller, den Krimi-Autor. Er nutzt die Gunst der Stunde, um am frühen Morgen mit seinen Fortuna-Kumpels ein Fläschchen Kölsch zu kippen. Vor dem Rathaus wartet die Stretchlimou einer Hochzeitsgesellschaft, und auf dem Alter Markt erklärt ein Stadtführer die Eigenheiten des Kallendressers. Ungemütlich wird es erst wieder eingangs der Severinstraße, wo erneut Sperren aufgebaut sind.
Nazis in der Südstadt?
Lili Marleen am Karl-Berbuer-Brunnen?
Indische Kinder und marokkanische Ziegenhirten?
Nein. Der „Längste Desch“ hat angefangen. Prost!

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