Mittwoch, 6. August 2008

Straßenkämpfer (1)

Mauselbärchen

Ein Vormittag in der Linie 1 Richtung Bensberg. Ich will Camus lesen, Die Pest, ideale KVB-Lektüre. Aber der Plan scheitert, als an der Haltestelle Moltkestraße eine Frau mit glühendem Handy einsteigt.

„Mauselbärchen, ich bin gleich bei dir.“

Sie ist Mitte 40, spindeldürr und trägt rote Flip Flops zu hautfarbenen Strumpfhosen. Aber vor allem redet sie sehr laut.

„Jetzt beruhig dich doch, Mauselbärchen, ich sitz schon in der Bahn, Moltkestraße, ich bin gleich da reingesprungen, Viertelstunde vielleicht. Und dann bin ich bei dir.“

Die beiden Mädchen, deren Rückenlehne an meine grenzt, kichern.

„Hast du das gehört? – Mauselbärchen!“

„Voll schwul irgendwie.“

Bisher hat die Frau gestanden, mehrmals ist ihr die Handtasche von der Schulter gerutscht und fahrig wieder justiert worden. Am Rudolfplatz setzt sie sich endlich, vornübergebeugt und knapp auf die Kante. Sie fährt sich mit der Hand durchs Haar, reibt sich Knie und Schienbein. Beim Sprechen wippt sie mit dem Oberkörper vor und zurück.

„Jetzt klingelt´s auf der anderen Leitung, Mauselbärchen. Das ist bestimmt der Herr Doktor Rüdiger, Mauselbärchen, ich hab den von zu Hause schon ein paar mal versucht, ich ...“

Während der letzten Sätze hat sie einhändig in ihrer Tasche gekramt und ein Klapphandy geöffnet. An jedem Ohr liegt jetzt ein Telefon an, ihre Finger waren einmal mattweiß lackiert. Von Leitung 1 aus wird länger auf sie eingeredet, bevor sie nervös unterbricht.

„Der Doktor Rüdiger, genau, und dann wird alles gut, dann muss ich dich jetzt mal gerade auflegen, ja? Und, und Mauselbärchen: Sag denen einfach nix! Sag denen garnix, bis ich komme!“

Leitung 1 wird gekappt.

„Der Herr Doktor Rüdiger, ja gottseidank, es geht um meinen Sohn. Ich ...“

Völlig entsetzt starrt sie auf den Apparat, schüttelt ihn, drückt alle Tasten: „Ein Funkloch? Jetzt?“

Ihre Stimme ist die pure Verzweiflung. Ihr Blick irrt Hilfe, Halt suchend durch den Waggon und bleibt kurz an mir hängen. Aber als ich sie ansehe, klingelt schon wieder das andere Telefon.

„Mauselbärchen, ja, das ist zum Verrücktwerden hier.“

Die beiden Mädchen, deren eines Samantha heißt, lesen sich nun offenbar Handy-Witze vor.

„Was macht ein schwuler Adler nach der Arbeit?“ fragt Samantha.

„Keine Ahnung“, sagt ihre Freundin.

„Er fliegt zu seinem Horst.“

„Horst?“

„Ja, steht hier.“

„Hm.“

Über das pisanische Gerede habe ich den Anfang des Telefonats von gegenüber verpasst. Die Frau belästigt ihre Umwelt nicht zum Spaß, soviel ist klar. Sie hat ein existenzielles Problem. In Camus´ Buch gibt es einen kleinen Beamten, der seit Jahren an einem Roman schreibt, aber nie über den ersten Satz hinausgekommen ist. Ständig tauscht er Adjek- und Substantive aus, ohne je seinen idealen Anfang zu finden. Der Mann heißt Grand und wirkt durchaus zufrieden. Die Frau spricht immer noch.

„Das können die nicht machen, Mauselbärchen, glaub mir das. Der hilft uns, der ist doch Rechtsanwalt, der Herr Rüdiger. Und nur weil du auch schon wegen dem anderen Auto ..., nein, die bringen dich nicht nach Ossendorf!“

Am Polizeipräsidium steigt sie aus, telefonierend. Eine Variante von Grands Satz lautet: „An einem schönen Morgen des Monats Mai durchritt eine elegante Amazone auf einer wunderbaren Fuchsstute die blühenden Alleen des Bois de Boulogne.“ Am Ende erwägt er, alle Adjektive einfach wegzulassen.

1 Kommentar:

Andy hat gesagt…

Hurra, der erste Kommentator. Und dafür habe ich ne Menge auf mich genommen - irgendwelche Buchstabenreihen (leider mindestens viermal) abgetippt, unbekannten Nutzungsbedingungen zugestimmt und minutenlang über ein Passwort gegrübelt, das mindestens acht Zeichen hat und dabei so persönlich sinnig ist, dass ich es nicht schon morgen wieder vergessen habe. Und das alles, um zu sagen: "Gut gemacht - der erste Blog, der mich nicht schon nach vier Zeilen nervt." Ein kurzer Anruf wäre da vielleicht leichter gewesen - aber gleich in der Bahn traue ich mich das jetzt nicht mehr...