Mittwoch, 31. Dezember 2008

Moslems, Atheisten und Frauen

Vor ein paar Wochen habe ich einen Schützenkönig interviewt. Wir sprachen über Festumzüge und das Glück, das einem beim Abschuss des Vogels hold sein muss. Ehrlich gesagt: Ein großer Wurf war es nicht, dieses Gespräch, der Informationswert hielt sich in engen Grenzen.
Nachdem ich die Sache abgetippt und zur Authorisierung an den Interviewten geschickt hatte, begann jedoch das Warten. Einen Text von 8.000 Zeichen kann man in zehn Minuten lesen, und viel zu korrigieren gab es meines Erachtens nicht. Aber auch nach zwei vollen Tagen hatte ich noch keine Abdruckgenehmigung. Also rief ich den Schützenkönig an: Wie es denn aussehe.
Kein Problem, sagte er, aber er habe den Text zunächst mal an den Präsidenten und den Schriftführer seines Vereins weitergeleitet.
Solch einen Spökes veranstalten normalerweise nur Stars und ihre Imageagenturen. Und Geheimbündler. Und als dann endlich die Mail kam, war das Interview auch tatsächlich seiner einzigen spannenden Stelle beraubt.
Da hatten wir nämlich über die Eckpfeiler des Schützenwesens geredet, die da „Glaube, Sitte, Heimat“ lauten. Und mir war, überaus schlagfertig, zu fragen eingefallen, ob man in seinem Club denn auch moslemische Mitbürger aufnehme. „Nein“, antwortete der Mann zu meiner Überraschung. Andersgläubige dürften sich wohl als Sportschützen auf der Schießanlage herumtreiben; aber wenn es ans Marschieren oder Trachtentragen gehe, blieben sie außen vor. Unbedingte Voraussetzung für letzteres sei der christliche Glaube.
Nun hatte mir mein eigener Glaube bisher eingeredet, Schützenvereine hätten etwas mit Brauchtum zu tun, und vor allem mit einer ausgeprägten Dorf- oder Veedelsgemeinschaft. Stimmt aber nicht, das Gegenteil ist der Fall. Viele Schützenvereine nehmen weder Moslems auf noch Juden oder Atheisten. Skandalös ist das, sagte ich mir, warum schreit nicht die ganze Republik nach Auflösung dieser reaktionären Banden? Warum kommt das nicht vor die UN?
Erst gegen Ende des Gesprächs fand ich dann jenen Passus wieder, der die Angelegenheit irgendwie ins Lot brachte. Da frage ich nämlich den König, ob er seine zukünftigen Kinder auch im Schützenverein anmelden werde. Einen Jungen, so sagte er, ja. Ein Mädchen jedoch nicht, das gehe gar nicht, weil es sich bei seinem Club um eine reine Männerriege handele.
Keine Moslems, und dafür dann eben auch keine Frauen – das leuchtet doch wiederum ein!

Montag, 22. Dezember 2008

Coloniales (10)

Holländische Schwarzfahrer

Das Pärchen, Holländer, steigt am Rheinauhafen in die 133, wahrscheinlich wollen sie vom Mittelalter- zum Alter Markt, ein echter Weihnachtsbummel. Sie sind Ende 30, beide blond, und als Zeichen ihres Spießertums trägt sie einen Pagenschnitt und er einen Blinker am Jack-Wolfskin-Rucksack. Beim Einsteigen hält die Frau dem Busfahrer einen Zehn-Euro-Schein vor die Nase. Aber wie kölsche Busfahrer nunmal so sind, empfindet der das als Bestechungsversuch und zeigt unwirsch mit dem Daumen nach hinten.
Und dann stehen die beiden also vor dem KVB-Fahrkartenautomaten. Und drücken ein paar Knöpfe. Ich stelle mir vor, wie sie sich jetzt die Wörter „Kurzstrecke“ oder „Preisklasse 1b“ in ihre beknackte Sprache übersetzen. Irgendwann entscheiden sie sich für ein Ticket, finden aber den Schlitz für die Geldscheine nicht. kein Wunder, gibt ja auch keinen, sage ich ihnen aber nicht. Nach kurzem Rätselraten zückt die Frau ihre Kreditkarte und steckt sie in einen Schlitz des Automaten. Der gibt ein paar empörte Quietschgeräusche von sich und spuckt die Karte wieder aus. Der Bus erreicht die Severinsbrücke, als das gleiche mit der Karte des Mannes geschieht.
Am Waidmarkt haben beide ihr Portemonnaie ausgepackt und suchen nach Kleingeld. Sie wirken jetzt zunehmend frustriert. Außerdem scheint sich ihr Gewissen zu melden, immerhin fahren sie jetzt seit vier Minuten schwarz. Die Frau blickt sich schuldbewusst um und fixiert vor allem mich, weil ich mitschreibe. Wenn ich nur ein bisschen mutiger, ein bisschen gemeiner wäre, würde ich jetzt meinen Presseausweis hochhalten und „Fahrkartenkontrolle“ rufen. Immerhin sage ich „Nein“, als die Frau fragt, ob ich einen Zehner wechseln könne. Noch immer blockieren die beiden den Automaten, schade, das niemand sonst eine Karte ziehen will. Das würde das Spektakel noch ein wenig attraktiver machen. Klimper, klimper, noch immer wühlt die Frau in ihren Kleingeldmünzen, um regelhaftes Verhalten vorzutäuschen. Der Bus biegt ab in die Heumarktschleife, tausende Lichter und Leute verkünden die Ankunft beim nächsten Weihnachtsmarkt. Ein Ruck geht durch das Holländerpärchen, wie elektrisiert warten sie auf das Öffnen der Tür und springen dann aus dem Bus.
Draußen sehen sie sich an, grinsend, und was ich süß fand: Dass sie ihm noch so verschworen-kumpelhaft in den Arm gekniffen hat.

Mittwoch, 17. Dezember 2008

Coloniales (9)

Das Hochwasser von 1784

Laut Selbstauskunft auf seiner Homepage ist Bernd Nebel ein Bauingenieur aus Marburg. Gestoßen bin ich auf den Mann nach einem Besuch der Kirche Maria Lyskirchen am Rhein. Über deren Portal hängt nämlich, in rund 3,50 m Höhe, eine Hochwassermarke aus dem Jahr 1784. Man muss den Kopf in den Nacken legen, um dort hinaufzuschauen; und man muss der Phantasie freien Lauf lassen, um sich diese gigantische Katastrophe vorzustellen. Zum Glück gibt es dafür Leute wie jenen Herrn Nebel, die die entsprechende Recherche nicht nur betreiben, sondern ihre Ergebnisse zudem ins Netz stellen. Nebel ist nämlich Brückenforscher, und 1784 gingen – man kann es sich denken – zahllose Brücken zu Bruch. Ebenfalls naheliegend und dennoch zunächst überraschend: So ein extraordinäres Hochwasser beschränkt sich nicht auf einen Fluss oder auf eine Region, sondern resultiert aus europaweiten, wenn nicht globalen Klimazusammenhängen.
Im Folgenden eine Zusammenfassung von Nebels spannender Recherche:

„Die Suche nach den Ursachen der Ereignisse vom Februar 1784 beginnt bereits etwa ein Jahr vorher mit einer Reihe von geomorphologischen Aktivitäten der Erde. Diese reichten von Europa bis nach Asien und waren so heftig, dass sie in den folgenden Monaten und Jahren das Klima auf der ganzen Welt spürbar beeinflussten.
Die Aktivitäten der Erdkruste begannen am 5. Februar 1783 mit einer Serie heftiger Erdstöße in Kalabrien, deren Epizentrum etwa im Bereich der Straße von Messina lag. Besonders betroffen waren die Stadt Messina, sowie Sizilien und Kalabrien. Am folgenden Tag ereignete sich ein Nachbeben und in den darauf folgenden beiden Monaten noch mehrere kleine Erdstöße an der Westküste Italiens. Insgesamt wurden 181 Ortschaften zerstört, wobei über 30.000 Menschen ihr Leben verloren.
Etwa drei Monate später begann in Island eine Serie ungewöhnlich heftiger Vulkanausbrüche, die zu drastischen Änderungen der Lebensumstände auf der Insel führten. Die Ausbrüche begannen im Mai 1783 mit dem Eldeyjar und endeten erst im Februar 1784. Ihren Höhepunkt fanden die Eruptionen am 8. Juni 1783 mit der Öffnung der so genannten Laki-Spalte im Süden der Insel, die in den folgenden Monaten etwa 130 einzelne Vulkane freigab. Bei den folgenden Eruptionen handelt es sich um die heftigsten, jemals auf Island verzeichneten Vulkanaktivitäten und weltweit gesehen um die drittgrößte historisch verbürgte Katastrophe dieser Art. Die Krater spuckten in dieser Zeit ca. 12 Milliarden m³ Lava, Asche, Schwefeldioxyd und verschiedenster Gase aus. In historischen Dokumenten wird von mehreren hundert Meter hohen Lavafontänen berichtet. Zwei riesige Lavaströme wälzten sich in Flussbetten auf das Meer zu, wobei die beiden Flüsse vollständig verdampft wurden. Im Umkreis von ca. 40 km wurden alle menschlichen Behausungen zerstört.
In einem zeitgenössischen Bericht heißt es: "Der faule Geschmack der Luft, bitter wie Seetang und nach Fäulnis stinkend, war tagelang so intensiv, dass die Menschen kaum atmen konnten. Außerdem drang das Sonnenlicht nicht mehr durch. Alles war von Dunst eingehüllt."
Die Vulkanausbrüche hatten aber nicht nur Folgen für Island selbst, sondern für ganz Europa und noch weit darüber hinaus. Besonders davon betroffen waren England und Frankreich aber auch alle anderen Länder. Man geht davon aus, dass auf den britischen Inseln im August und September 1783 ca. 23.000 Menschen an den Folgen der Vulkanausbrüche starben, insbesondere an Vergiftungen. In England und Frankreich stieg die Sterblichkeitsrate im Winter 1783/84 um ca. 25%. In den angrenzenden Ländern dürften ähnliche Zahlen erreicht worden sein, doch gab es dort noch keine Aufzeichnungen dieser Art.
Durch die gewaltige Energie die bei den Vulkanausbrüchen freigesetzt wurde, gelangten Asche und Staubpartikel bis in die Stratosphäre und konnten sich somit beinahe auf dem ganzen Globus verteilen. Diese Staubwolken wurden in den folgenden Monaten überall auf der Welt als eine Art Dunstschleier der sich vor die Sonne schob wahrgenommen. Astronomen berichteten, dass in etwa 10.000 Fuß Höhe "große Wolken trockenen Nebels" dahin zogen.
Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass sich durch die verringerte Sonneneinstrahlung die Durchschnittstemperatur für mindestens 5 Jahre spürbar verringerte. Es kam in vielen Regionen der Erde zu Missernten und einer erheblichen Verschlechterung des Nahrungsangebotes. Die Folge waren weit verbreitete Hungersnöte und Mangelkrankheiten.
Besonders dramatische Veränderungen zeigten sich im Winter 1783/ 84. Die Kälte betraf ganz Europa, wurde aber auch in Asien und Amerika registriert. Der damalige amerikanische Präsident Benjamin Franklin verzeichnete z.B. auch im Osten der Vereinigten Staaten eine bemerkenswerte Kältewelle. Der Hafen von New York war 10 Tage lang zugefroren und der Long Island Sound konnte mit Schlitten befahren werden. Auch der anschließende Sommer war ungewöhnlich kalt und feucht. Untersuchungen an den Jahresringen von Bäumen in Sibirien und Alaska zeigten, dass der Sommer 1784 in diesen Regionen der kälteste innerhalb von 500 Jahren war.
Besonders dramatisch war der Verlauf dieses Winters aber in Deutschland und den angrenzenden Ländern. Er war außergewöhnlich kalt und schneereich und ging als einer der kältesten Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in die Geschichte ein. Die Frostperiode begann schon im November 1783 und hielt praktisch den ganzen Winter über an, bis März 1784. Die Temperaturen fielen überall in Europa auf Rekordmarken. Z.B.:
Nach wochenlanger Kälte setzte Ende Februar 1784 das Tauwetter ein. Die Temperaturen stiegen in kurzer Zeit örtlich auf zweistellige Plus-Grade an. Hinzu kam, dass während des Tauwetters heftige Regenfälle einsetzten und so die Lage noch zusätzlich verschärften. Jetzt taute überall der Schnee und bildete Sturzbäche, die sich auf die großen Flüsse zu bewegten. Das Tauwasser floss zum Teil auf den gefrorenen Eisflächen ab, gelangte aber mehr und mehr auch unter das Eis. Der Druck wurde immer größer und schließlich wurde das Eis von unten aufgesprengt.
Das Aufbrechen des Eises war ein sehr gefährlicher Moment, nicht nur weil damit das Hochwasser erst richtig in Fahrt kam, sondern weil die flussabwärts stürzenden riesigen Eisschollen alles mitrissen, was sich ihnen in den Weg stellte. Der Aufenthalt in Ufernähe, auf Brücken oder Schiffen wurde dadurch sehr gefährlich. Die Verwaltungen der Städte waren auf diesen Moment vorbereitet und signalisierten ihren Bürgern und den weiter unten liegenden Ortschaften die drohende Gefahr durch Kanonenschüsse. Wie eine Stafette liefen die Donnerschläge flussabwärts, um vor dem nahenden Unheil zu warnen.
Die Eisaufbrüche erfolgten zeitlich etwas versetzt von Westen nach Osten. Es begann am 23. Februar mit der Schelde in Belgien und Frankreich, zwei Tage später an der Maas, am 26.2. am Rhein, am 27.2. an Regnitz und Main, am 28.2. an der Elbe und am 29.2. an der Donau. Durch die ungeheuren Schmelzwassermengen in Verbindung mit dem zusätzlichen Regen entwickelte sich fast an allen Flüssen eines der größten Hochwässer der letzten 1000 Jahre. Am Rhein bei Köln sowie an Moldau und Mosel blieb es bis heute das höchste jemals gemessene Hochwasser. Die Situation wurde besonders dramatisch, wenn sich Eis und Treibgut vor den Brücken verkeilte und es dann zu einem Rückstau kam, der den Druck auf die Bauwerke noch zusätzlich verstärkte. Unzählige Brücken konnten dieser Belastung nicht standhalten und wurden schwer beschädigt bzw. zerstört.
Viele Städte wurden erheblich in Mitleidenschaft gezogen und zu großen Teilen überflutet. Besonders stark betroffen waren Köln, Bamberg, Würzburg, Heidelberg, Dresden und Prag. Aber noch viele andere Städte erlitten große Schäden, von denen sie sich lange Zeit nicht erholten.
In Köln waren die Folgen des Hochwassers besonders dramatisch und die Opferzahl entsprechend hoch. Am 27.02.1784 wurde ein Pegelstand von 13,55 m gemessen (bei einem Normalpegel von 3,48 m!). Das ist bis zum heutigen Tage der höchste jemals in Köln gemessene Wasserstand. Weite Teile der Stadt wurden unter Wasser gesetzt und viele Wohnhäuser durch Eisblöcke so groß wie voll beladene Heuwagen und Treibgut zerstört. Insgesamt 65 Kölner verloren durch das Hochwasser ihr Leben. Sämtliche Schiffe auf dem Rhein wurden von den Eismassen zerstört. Rheinbrücken gab es 1784 allerdings keine in Köln, der Verkehr über den Fluss wurde zu dieser Zeit ausschließlich mittels Fähren betrieben. Noch schlimmer als Köln traf es Mülheim auf der rechten Rheinseite, das völlig zerstört wurde.“

Wer noch mehr erfahren möchte:
www.bernd-nebel.de/bruecken/4_desaster/1784/1784.html

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Thekentänzer (7)

„Lächle doch mal!“

Kellnern kann manchmal ziemlich nervig sein. Damit meine ich nicht, dass man sich womöglich überarbeitet, denn mehr als eins nach dem anderen zapfen geht ja nicht. Und ich meine - ausnahmsweise - auch nicht die ganzen Knicker, die kein Trinkgeld geben oder von 9,20 auf 9,50 aufrunden (dann lieber gar nichts, ist klar). Nein, was mir am meisten auf den Senkel geht, sind diese Aufforderungen à la „Guck doch nicht so ernst“ oder „Lächle doch mal“. Also ganz konkret: dass da eine selig betrunkene, von zwei Seiten becircte Lady sitzt, sich unwiderstehlich vorkommt und deshalb meint, den Kellner animieren zu dürfen: „Lächle doch mal!“
Soll doch selber lächeln, die blöde Nuss.
Und sobald die das dann ausgesprochen hat, haben auch ihre beiden Verehrer ein Thema. Stumpf wie sie inzwischen sind, profilieren sie sich auf Kosten des Kellners und sondern einen Spruch nach dem anderen ab: „Ob der uns gleich rauswirft?“ „Der guckt wie Volkstrauer- und Buß- und Bettag in einem.“ „Vielleicht sollten wir ihn mal unterm Arm kitzeln.“
Eine Möglichkeit, sich solcher Peinlichkeiten zu erwehren, besteht darin, den Leuten ein paar andere Themen vorzuschlagen. Es gibt im Prinzip drei Kneipensujets, die – so grauenhaft sie auch sind – immer ziehen. Als da wären:

1. Eigentlich würde ich gerne aufhören zu rauchen.
2. Die Kinder haben mein Leben verändert.
Und 3.: Meine Eltern sind an allem schuld.

Wenn jedoch selbst das nichts bringt, hilft nur noch eins: AC/DC auflegen und die Regler hochfahren. Auf dem Highway zur Hölle lächelt man dann quasi von selber.

Mittwoch, 3. Dezember 2008

Coloniales (8)

Am Hindukusch

Das Kreiswehrersatzamt in Raderthal wird saniert, es ist asbestverseucht. Vermutlich deshalb wurden hier zuletzt zahllose Partys gefeiert, Open Air und mit DJ. Kein Problem, eigentlich. Mein Nachbar hat vier Töchter, da wird praktisch jeden zweiten Tag irgendwas begangen. Die Mädels stehen auf Independent und laut – wunderbar. Die Soldatenfeste ein paar Meter weiter fangen jedoch meistens schon mit Proletenmusik an, also: Nena, Matthias Reim und diese Schwarte, die sich DJ Ötzi nennt. Und mit dem geht´s dann auch in die zweite Runde. So unglaublich mies dessen Lied vom „Stern, der deinen Namen trägt“ daherkommt, so unglaublich ist auch die Tatsache, dass dieser Song inzwischen gecovert wurde. Der Refrain lautet nun: „Eine Frau, die mich nach Hause trägt“, und es geht um besinnungsloses Besaufen. Gegen 6 Uhr – diese Kameradschaftsfeste beginnen immer nachmittags – war der Ballermann-Faktor auf 100. Die Lieder basierten jetzt ausnahmslos auf Textbausteinen à la „Titten“ und „Du geile Sau“, auch der „Puff in Barcelona“ war bald erreicht.
Also fährt man da hin und beschwert sich, möglich nonchalant natürlich. Ich habe nicht gesagt: „Machen Sie bitte die Musik leiser, meine Kinder werden dadurch bei den Hausaufgaben gestört.“ Sondern: „Machen Sie bitte diese geschmacklose Idiotenmusik aus.“
„Über Geschmack lässt sich streiten“, meinte der Kommandant. Die einfachen Soldaten wirkten in ihren Springerstiefeln alle riesengroß und durchweg sehr fleischig. Nach meinem Einsatz wurde die Musik kurz ein bisschen leiser, bevor es dann doch wieder ab nach Barcelona ging. Und hier am Ende, wo man eigentlich eine finale Pointe erwarten sollte, folgt nun stattdessen ein ganz einfacher Aussagesatz: Wenn das die Typen sind, die Deutschland am Hindukusch verteidigen, dann Gute Nacht, Mutter.

Mittwoch, 26. November 2008

Coloniales (7)

Der Bonner Verteiler

In letzter Zeit wurde in der Kölner Presse recht heftig über die neue Stele am Bonner Verteiler gestritten. Ich für meinen Teil finde diesen roten Kamin sehr elegant, meinetwegen könnte der doppelt so hoch sein.
Jenseits dessen hat der Ort allerdings seine ganz eigene Geschichte. Denn zum einen kreuzen sich hier mit der Bonner Straße und dem Militärring eine bedeutende römische und für die Stadtgeschichte nicht minder wichtige preußische Trasse. Und zum anderen darf sich Köln rühmen, vom Bonner Verteiler aus die erste deutsche Autobahn in Betrieb genommen zu haben.
Man schrieb den 6. August 1932, als Hans Fuchs, Oberpräsident der Rheinprovinz, diese reine „Kraftwagenstraße“freigab. Wenige Jahre zuvor war in der Eifel mit dem Nürburgring eine Rennstrecke eröffnet worden. Auch die Berliner Automobil- und Verkehrsübungsstraße (AVUS, 1921) fungierte lange Zeit lediglich als Renn- und Teststrecke, während man in Köln an einer echten Alltagsbahn bastelte – kreuzungsfrei und mit vier Fahrstreifen.
Dem Bau waren langwierige Untersuchungen vorausgegangen. Zunächst hatte man die Strecke Köln-Düren-Aachen ins Auge gefasst. Dass man sich schließlich für die Verbindung nach Bonn entschied, mag nicht zuletzt daran gelegen haben, dass sie Mitte der 1920er Jahre die meistbefahrene von ganz Deutschland darstellte. Der Durchschnitt lag bei 4.000 Fahrzeugen pro Tag, ein Klacks gegenüber den rund 70.000 heutzutage.
Ganz nebenbei widerlegt diese Geschichte auch die Nazi-Mär, dass man Hitler den Aufbau des deutschen Autobahnnetzes zu verdanken habe. Denn die Pläne lagen schon Jahre vor seiner Machtübernahme auf dem Tisch und wären im Laufe der 1930er so oder so verwirklicht worden.

Mittwoch, 19. November 2008

Kunstwerker (1)

Finnische Beine

Internationale Performance-Künstler in der Orangerie: Die Finnin hat hübsche Beine. Mit schwarz bestrumpften, tintengetränkten Füßen läuft sie über einen Papierteppich, dann bohrt sie sich hölzerne Schaschlikspieße zwischen die Zähne. Ihr Geld verdient sie als Mathematik-Professorin, aber jetzt braucht sie erstmal einen Weißwein: „That´s performance“, sagt sie, „you build up something and then you destroy it.“
Der Ungar hat Fettblöcke auf einem Tisch verteilt, sie mit einem Messer zersäbelt und final verschmiert. Dann legt er eine Endlosleine in die Hände der Zuschauer und spinnt so ein Netz. Brav halten alle die Schnur, bis der verstrickte Ungar sich fallenlässt. Anstrengend, plötzlich. Die Finnin heißt Irma Optimist, und Przemyslaw, der Pole, hatte nach einem deutschen Autor gefragt. Der war dann ich, the writing waiter.
Und so sitzen wir also zusammen am Tisch und schreiben eine Viertelstunde lang. Zwei Kameras laufen, die Zuschauer schweigen. Irgendwas. Ich soll über irgend etwas schreiben, hat Przemyslaw gesagt. Also schreibe ich über finnische Beine, fluppt auch ganz gut. Hölzchen, Stöckchen, ein paar Gedankensprünge, und schon sind fünfzehn Minuten vorbei.
Przemyslaw schaut mich an, nickt, wir sind fertig. Verbeugung, Applaus, „I wanted to show that nothing is always something”, sagt Przemyslaw. Und dass er mir jetzt unbedingt ein Bier ausgeben muss.
Zurück hinter der Theke: Weißwein für Irma O., Wodka für alle. Die Flasche stammt von Janusz, dem anderen Polen, dessen Stunt irgendwie in die Hose gegangen ist. Aber die Scherben sind weggefegt, auf der Bühne arbeiten jetzt zwei Korsen. Malen einen weißen Kreidekreis, bedecken ihn mit gemahlener blauer Kreide und legen längliche bunte Kreidestücke im Kreis aus. Ich stelle mir die beiden auf Korsika vor, der Abend, an dem sie sich die Nummer ausgedacht haben: Okay, Philippe, was hältst du davon, wenn ich dann einen großen Sack mit kleinen Spielzeugfiguren in den Kreis schütte? – Super Idee, Jean, und ich kicke die dann alle weg und schmeiße noch was Kleingeld hinterher. – Genau so machen wir´s, Philippe, aber lass das gute Kraut nicht ausgehen.
Irma ist inzwischen in Hochform. „Wir Finnen reden nicht viel“, sagt sie, seit geraumer Zeit das Gegenteil beweisend. Die Polen kippen den Wodka, die Korsen fegen die Kreide auf. „Sag mal, mein Freund“, fragt Irma, „worüber hast du vorhin eigentlich geschrieben?“


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

Mittwoch, 12. November 2008

Coloniales (6)

Kölsch AG im Kölner Süden

Vor ein paar Wochen rief die Akademie för uns kölsche Sproch an. Ob ich nicht eine Kölsch AG leiten wolle. Prima Idee, fand ich, und seitdem sitze ich jeden Dienstag vor einer Horde Grundschüler im Kölner Süden.
Nun bin ich allerdings nicht gerade der erfahrenste aller Lehrer. Meinen ersten Fehler beging ich bei der Vorbereitung zur ersten Stunde. Singe ich mit denen doch erstmal ein Liedchen, dachte ich mir. Und entschied mich für die FC-Hymne. „Mir stonn zo dir“, schöne Melodie, ergreifend simpler Text, da steht doch sicherlich jeder drauf.
Aber dann stellte sich heraus, dass sich nur sieben von zwölf Gören für Fußball interessieren. Und unter denen waren wiederum zwei Bayern-Fans, einer von Schalke und eine von Gladbach.
„Dann singst du eben immer ´Borussia Mönchengladbach´, wenn da ´FC Kölle´ steht“, sagte ich letzterer. Das kommt zwar silbenmäßig nicht ganz hin, aber da musste sie durch. Ist ja schließlich nicht mein Bier, wenn gebürtige Kölner auf so einen Zeckenverein abfahren.
Als kontraproduktiv erwies sich auch die Idee, Instrumente mitzunehmen. Eine einzige dauerbetriebene Handtrommel kann den Unterricht komplett zum Erliegen bringen, ganz zu schweigen von Rasseln und dem elenden Rhythmus-Ei. Aus irgendeinem Grund haben sich die Kinder zudem von Anfang an um die Triangel gebalgt. Manche kommen extra früher in den Klassenraum, um mir zu sagen, dass sie heute unbedingt dieses an sich doch recht eintönige Dreieck beackern wollen. Den einzigen Ausweg sah ich darin, fortan nach jeder Strophe und jedem Refrain die Instrumente wandern zu lassen. Dass dieses Verfahren dem Liedfluss, der Konzentration, ja, eigentlich allem, was mit Musik zu tun hat, äußerst abträglich ist, brauche ich hier nicht ausführlicher zu erläutern.
Irgendwann begann die Klasse, sich im Raum zu bewegen. Wie an unsichtbaren Fäden gezogen. Ich glaube, das fing an, als ich einem Mädchen erlaubte, einen Lemuren an die Tafel zu malen. Plötzlich waren drei Schüler mit der Kreide zugange, zwei wechselten auf die Fensterbank und einer legte sich entspannt auf den Boden. Jetzt ist eine Portion Autorität gefragt, sagte ich mir und bat eindringlich darum, sich wieder auf die Plätze zu begeben. Aber dann grinsen die einen so an, als wollten sie sagen: Is ja gut, Onkelchen, Kölsch kann man doch auch im Liegen lernen. Und wenn du uns schön in Ruhe lässt, singen wir am Ende auch nochmal das FC-Lied mit.
Ähnlich machtlos fühle ich mich inzwischen auch am Ende der Stunden. Ich packe dann immer eine Tüte Haribo-Konfekt aus, also Lakritze, süße Himbeeren, die Trapeze mit dem Eierschaum undsoweiter. Mag ich selber gern, klar. Eigentlich soll sich natürlich jeder nur ein Teil nehmen, aber seit einmal eine behauptete, da hätten drei aneinandergeklebt, fahren die alle diese Taktik. Seit letzter Woche bin ich deshalb dazu übergegangen, mir immer ganz schnell als Erster was aus der Tüte zu klauben.
Das war auch der Tag, an dem ich nach dem Unterricht unerlaubt abbog und prompt angehalten wurde. Die Polizistin hatte lange blonde Haare und altrot lackierte Fingernägel.
„Macht 20 Euro“, sagte sie.
„30 hab´ ich gerade verdient“, antwortete ich geknickt und erzählte ihr von der Kölsch AG.
„Dat fingen ich jod“, schwenkte sie um, „dann belassen wir´s für heute bei einer Verwarnung.“
Und wollte noch nichtmal Lakritz dafür.



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Mittwoch, 5. November 2008

Thekentänzer (6)

Schmatz

„Ich bin Philosoph“, sagt der Typ. Die Kneipe ist erst seit einer Viertelstunde auf, aber er sitzt schon beim zweiten Weizen. Seinen Deckel hat er sich auf den Namen „Schmatz“ machen lassen.
„Philosophie habe ich auch studiert“, werfe ich ihm hin und ernte ungefähr das Erwartete: „Pah“, macht er, „was heißt schon ´studiert´? Ich bin Privatphilosoph!“
„Verstehe“, sage ich, und denke: Das ist bestimmt ein Spinner der interessanteren Sorte. Dem muss man nur ein bisschen Zeit lassen. Eingangs des dritten Weizens ist es soweit.
„Zuletzt hab ich ja als Hausmeister gearbeitet. In einer Kirche.“
„Und, war bestimmt cool, oder?“
„Scheiße war´s, hab ich gekündigt. Und war sowieso nur ´n 1-Euro-Job.“
Er zieht an seinem Weizen, als wär´s der letzte Strohalm. „Eigentlich will ich nämlich in den Kulturbereich“, sagt er mit dem Absetzen des Glases.
„Kannst du denn was?“ frage ich vorsichtig.
„Ich kann alles, und ich war auch mal in nem Theater. Aber da haben die mich nur immer Bühnen zusammenschrauben lassen. Akkuschrauber, weißt´e. Den ganzen Tag am Akkuschrauber!“
„Und?“
„Na ja, hab ich halt gekündigt, wa.“
Zwei Frauen kommen herein, ich muss Kölsch zapfen. Schmatz brabbelt weiter.
„... wie damals, als die mich in die Klapse gesteckt haben“, sagt er, als ich wieder vor ihm stehe. „Suchtklinik. Nur Drogis, verstehst´e, dabei nehm ich gar nichts. Paar Bierchen am Abend, is klar, und vorm Einschlafen ´n Joint. Und das war´s auch schon.“
„Musstest du Haldol nehmen?“, frage ich.
„Nee nee“, sagt er, „war schon okay. Hatte ich wenigstens ´n Bett da, ich war ja obdachlos damals.“
Die eine Frau kauft „Fränki“, eins meiner Bücher, die ich immer im Schnapsregal ausstelle.
„Du schreibst Romane?“, fragt Schmatz. Ein Buchautor ist anscheinend deutlich hipper als ein Magister Artium.
„Ja“, sage ich stolz.
„Und warum arbeitest du dann hier?“
Die Frage ist verblüffend, geradezu philosophisch. Jedenfalls muss ich nachdenken.
„Weil ich gern volle Motte laut meine eigene Musik höre“, antworte ich so ehrlich wie möglich.
Schmatz nickt. Nach dem fünften Weizen zahlt er, steht aber zwei Stunden später wieder auf der Platte. Völlig abgeledert.
„Nen Wachmacher hast du nicht zufällig auf Lager, was?“, fragt er, sich die Nase reibend.
„Tut mir leid“, sage ich. Das erste Fass ist alle, also zapfe ich das abgestandene Zeug aus Leitung II. Einen halben Liter, ein Weizenglas voll.
Schmatz fixiert das Glas, dann mich: „Wärst du mit einem Euro einverstanden?“

Dienstag, 28. Oktober 2008

Thekentänzer (5)

In-ten-dan-ten

Auf dem Programm steht die Premiere eines Klassikers, an dem normalerweise 20 Schauspieler mitwirken. Gegeben wird er heute jedoch als Ein-Personen-Stück, der Darsteller ist Anfang 50 und zeichnet zudem für die Regie und das Licht veantwortlich. Im Theaterfoyer treffen zwei Männer aufeinander. Beide sind Anfang 50 und vom Leben gezeichnet.
"Franz, ja das ist aber eine Überraschung!", ruft der eine und breitet die Arme aus.
"Du hier?", antwortet der andere und fällt ihm in jene. Aber über die Schultern des Kollegen hinweg liest man in seinem Blick die Frage, wie der Kerl denn wohl heißt, mit dem er da schmust.
Nachdem sich die beiden einen Rotwein bestellt haben, beginnt das Gespräch.
"An welchem Projekt arbeitest du denn gerade?", fragt Karl. Nennen wir ihn mal so, denn sein Name wird bis zum Ende im Dunklen bleiben. Außerdem passt er in diesem Zusammenhang natürlich gut zu Franz.
"Ach, weißt du", sagt Franz, verfällt in eine Starre und erzählt dann doch. Da war etwas mit einem Stadttheater, ein Ort irgendwo am Niederrhein. Ein Klassiker, inszeniert für eine Person.
"Aber dann habe ich mich mit dem Intendanten überworfen", sagt Franz.
"In-ten-dan-ten!", sagt Karl, als kaue er auf einem Stück Kuhmist herum.
"Genau", sagt Franz, "und stell dir vor, die Nacktszene hat er gestrichen, bevor ich sie ihm überhaupt vorspielen konnte!"
"Provinz. Tief-ste Pro-vinz!"
"Provinz ist gar kein Ausdruck. Und wie läuft´s bei dir?"
"Frag nicht", sagt Karl und suckelt erstmal ausgiebig an seinem Rotweinglas. "Ich wollte ja die Buddenbrooks auf die Bühne bringen. Hatte ich alles schon ausgearbeitet, als Ein-Personen-Stück."
"Und dann?"
"Nach der Generalprobe war Ende. Ich sage nur: In-ten-dan-ten!"
Eine zweite Runde Rotwein steht an. Karls Trenchcoat leidet unter Schuppenbefall, Franz öffnet seine Jackettknöpfe und stellt sich etwas breitbeiniger auf.
"Das wird ja gleich was, was?", sagt Karl.
"Wie meinst du?"
"Na, der Kollege Hermann, das Stück gleich."
"Oweia, ja."
Franz wartet, bis Karl zu seinem Platz gegangen ist, dann setzt er sich vier Reihen dahinter auf die andere Seite des Saales. Insgesamt sind neun Zuschauer anwesend.

Nach der Aufführung, dieselben beiden Männer, zwei neue Gläser Rotwein.
"Hat es dir gefallen?", fragt Karl.
"Eine Unverschämtheit war das", sagt Franz, "dem Pöbel an die Brust geschmissen."
"Ich habe nichts anderes erwartet", sagt Karl.
Hermann erscheint, umgezogen, abgekämpft und aufgedreht. Sofort gesellt er sich zu den beiden Kollegen.
"Gratulation, mein Lieber!" Karl legt Hermann einen Arm auf die Schultern.
"Es hat euch wirklich gefallen?", strahlt Hermann.
"Unbedingt", sagt Franz, "aber der Publikumsandrang ..."
"Ja", sagt Hermann, "die restlichen Aufführungen sind schon abgesagt worden. Der Intendant, wisst ihr..."
Hermann lässt sich ein Glas Wein über die Theke reichen und legt beim Trinken eine Hand auf den Seidenschal. "Ich danke Ihnen", raunt ihm der letzte Gast zu, bevor er das Haus verlässt.
"Und", sagt Karl, "hast du schon ein neues Projekt am Start?"
"Ach", antwortet Hermann, "frag nicht."

Mittwoch, 22. Oktober 2008

Thekentänzer (4)


Frauenschuh und Fruchtmumien


Ein früher Nachmittag im Corkonian am Alter Markt: Ziemlich leer ist es hier noch, und um nicht allzu sehr wie ein Säufer zu wirken, habe ich mich mit der Kölnischen Rundschau gewappnet. Von draußen weht das Herbstlaub durch die offenen Flügeltüren. Die Kellnerin pflückt ein paar Blätter vom Teppich, dann setzt sie sich wieder an ihr Buch: Das Bildnis des Dorian Gray, von Oscar Wilde. Wer den Roman kennt, der weiß, dass ich jetzt in den Spiegel hinter der Theke blicken muss. Ich altere, und das ist gut so.

Links neben mir sitzen ein paar Engländer. Jedes zweite Wort ist Chelsea, Liverpool, Arsenal oder Manchester. Fulham hat gegen Sunderland 0:0 gespielt, sagt die Rundschau. Aston Villa gegen Portsmouth und Bolton gegen Blackburn auch, daran sieht man mal wieder, dass die englische Liga jenseits der Milliardärsclubs total öde ist. Dann also mal lieber ein neues Guinness bestellt und vom Sport- zum Magazinteil gezappt: Das männliche Knabenkraut wurde zur Orchidee des Jahres 2009 gekürt. Es liebt lichte Wälder und wird von Wildschweinen bedroht. Der Frauenschuh ist in Sachsen schon ausgestorben. Pünktlich um 5 springt das Glockenspiel vom Rathaus an: „Horch, was kommt von draußen rein“, scheppert es.

„I hate it“, sagt die Kellnerin und legt „Angie“ auf. Noch ein Feinsliebchen.

Im Herbst empfiehlt es sich, Leimringe um die Obstbäume zu legen, lese ich in der Gartenecke. Das hält die Frostspanner-Weibchen davon ab, ihre Eier in die Fruchtmumien zu injizieren. Als ich beim Hägar-Strip anlange, kommen zwei Deutsche herein. Beide tragen lächerliche Sonnenbrillen.

„Tu eirisch Bier“, sagt der Eine.

„Guinness?“, fragt die Kellnerin.

„Nooh dark Bier. Hell Bier!“

„Kilkenny?“

„Nooh, nooh, giff ass se Hausbier.“

Die Kellnerin schnappt sich zwei Halblitereimer und füllt sie mit Kölsch auf.

„Ssänk ju“, sagt der Depp, „wie go autseit, wie masst paff-paff“, und dabei hält er sich eine imaginäre Fluppe an den Bart.

Nach dem fünften Pint sehe ich noch einmal in den Spiegel. Ich altere nun schneller als Dorians Portrait, und Fruchtmumien sind diese vorzeitig verschrumpelten Früchte, die voller Erreger stecken. Aber bevor ich hier einen Zusammenhang herstellen kann, rettet mich mein Horoskop: „Sie strahlen vor Glück und Zufriedenheit. Venus verwöhnt Sie sehr. Erledigen Sie aber dennoch Ihre Arbeit.“

Was hiermit getan wäre!

Mittwoch, 15. Oktober 2008

Coloniales (5)

Die fleißige Strunde und der faule Bach

Kreuzen können sich Straßen oder Bahngleise, auch Pflanzen und Tiere kann man kreuzen. Wer hingegen von einer »Bachkreuzung« spricht, erntet zunächst einmal skeptische Blicke. Ist es doch gemeinhin so, dass ein Gewässer in das andere mündet und nicht darüber hinwegfließt. In Köln jedoch, genauer gesagt in Holweide, findet man einen solchen Ort: Hier kreuzen sich der Strunder- und der Faulbach.


Die Strunde, einer von 32 Kölner Bächen, diente jahrhundertelang als das wichtigste Fließgewässer des rechtsrheinischen Köln. Waren es zunächst vor allem Getreidemühlen, deren Räder mit der Kraft des bergischen Bächleins betrieben wurden, so kamen später auch Öl-, Loh-, Walk-, Säge- und Pulvermühlen hinzu. Über 40 dieser Wassergewerke säumten zeitweise die Ufer, deren erstes nur 200 Meter hinter der Quelle in Herrenstrunden lag. Mit einigem Recht sprach deshalb der bergische Dichter Vinzenz Jakob von Zuccalmaglio (1806–76) vom »fleißigsten Bach Deutschlands«. Mit der industriellen Nutzung einher ging jedoch die zunehmende Verschmutzung der Strunde, und hier beginnt auch die Geschichte des seltsamen Wasserkreuzes.


Die ungeklärten Abwässer der Betriebe führten zu einem rasanten Fischsterben, und auch als Trinkwasser oder zur Bewässerung der Felder konnte die Strunde bald nicht mehr genutzt werden. Darunter litten vor allem die Bürger von Mülheim, die ihren Durst mit dem Wasser des Baches stillten. Glücklicherweise gab es jedoch in Holweide einen sauberen Zulauf der Strunde, den Faulbach. Sein Name rührt daher, dass er im Gegensatz zu seinem fleißigen Bruder eben kein einziges Mühlrad antrieb. Und so entschloss man sich, die Strunde mittels einer Brücke über den Faulbach zu führen, sodass dieser ohne Verunreinigung gen Westen rinnen konnte. Fortan floss wieder klares, reines Wasser nach Mülheim, und der »faule Bach« gelangte zu nie gekanntem Ansehen.




Dieser Text dient der Eigenwerbung. Er entstammt meinem Buch „111 Kölner Orte, die man gesehen haben muss“ (Emons Verlag, 240 S., 9,90 Euro), das ab sofort im Handel ist.




















Mittwoch, 8. Oktober 2008

Thekentänzer (3)

Holy Mackerel

Eine Kneipe am Ende der Welt, also im Südwesten Irlands: An der Theke steht ein Maler mit seinen beiden Brüdern. Der Maler hat am Morgen 14 seiner Bilder verkauft, für 21.000 Euro. Die Drei feiern seit dem Mittag und sind nicht mehr ganz nüchtern.
`For Fuck`s Sake`, sagt der jüngste Bruder, Anfang 60, vergilbter Zauselbart. `Für die blöde Mona Lisa würde ich keinen einzigen Cent ausgeben.` Er greift zu seinem Glas und trinkt heftig. `Das ist doch nur ein grinsendes Weib`, schiebt er dann nach.
Der Maler antwortet mit einem landestypischen Ausruf des Erstaunens: `Du kapierst aber auch gar nichts. Holy Mackerel!`
Beim Versuch, mir die Redewendung zu übersetzen, lande ich bei `Heiliger Bimbam` und bin unzufrieden, unterschlägt dies doch gänzlich die kulturhistorische Bedeutung der Makrele. Schließlich handelt es sich bei diesem Fisch um das heimliche Nationaltier der Iren. Und um ein überaus interessantes obendrein.
Stets im Frühjahr brüten die Makrelen zu Millionen vor der Westküste der Insel. Ein einzelnes Weibchen kann bis zu 450.000 Eier auswerfen, die sodann ziellos in der Strömung treiben. `Pelargisch` nennt man dieses Verhalten in der Fachsprache. Darüber hinaus besitzen die Makrelen zwei Eigenheiten, die sie zu exzellenten Schwimmern machen. Da sie über keine Schwimmblase verfügen, können sie ohne langwierigen Druckausgleich durchs Wasser schießen. Noch stromlinienförmiger werden sie durch die Fähigkeit, ihre beiden Oberflossen bei Bedarf im Rücken versenken zu können. Das schützt sie vor ihren natürlichen Feinden, nicht jedoch vor Anglern. Makrelen reagieren auf alles, was nur irgendwie glänzt, mit der entsprechenden Rute zieht man nicht selten gleich sechs auf einmal an Land. Der irische Anglerverband ruft deshalb über Hinweisschilder zum Maßhalten auf: `Fangt nur so viele, wie ihr essen könnt`, heißt es dort.
Es ist Oktober, die Makrelen ziehen nun allmählich gen Norden. Irgendwo im Atlantik werden sie sich auf 300 Meter Tiefe fallenlassen und sodann sechs Monate in vollkommener Bewegungslosigkeit verharren. Auch in der kleinen Kneipe ist es ruhig geworden. Draußen hat sogar der Wind nachgelassen, das irische Brüdertrio schweigt. Rechts über ihrem Kopf hängt ein gerahmter Zeitungsausschnitt von 1905. Er besagt, dass ein örtliches Fischerboot am Vortag einen neuen Makrelenrekord aufgestellt hat: 79.000 Fische an an einem Tag. Die Mona Lisa könnte man dafür auch zu heutigen Preisen nicht kaufen. Für ein paar Pints jedoch reichte dies allemal.

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Geschichten aus 1111 Nächten (1)

Jan von Werth und seine Mutter

Oder: Versuch der Etablierung einer rheinischen Märchentradition nach irischem Vorbild

Jan von Werth und seine Mutter gingen einmal aus. Sie trug ihn auf ihrem Rücken. Er sah, wie auf dem Alter Markt der Fußball getreten wurde.
„Lass mich dort hin, Mutter“, sagte er, „damit ich mitspielen kann.“
„Liebling“, sagte sie, „die großen Männer werden dich töten.“
„Nichtsdestoweniger, Mutter, ich will hin zu ihnen.“
Sie ließ Jan absteigen, und er trat unter die Versammelten. Da war keiner, den er nicht übertraf. Nach Beendigung des Spieles kehrte Jan zu seiner Mutter zurück. Sie nahm ihn wieder auf den Rücken. Dann setzten sie ihren Weg ohne Unterbrechung fort, bis sie die Bäche erreichten. Hier verlor sie ihre Busennadel und machte sich bei dem Ort ein Merkmal, um sie wiederfinden zu können: Sie errichtete einen Wall. Danach heißt er bis auf den heutigen Tag „Alte Mauer am Bach“.
Jetzt nahm Jan seine Mutter auf den Rücken, und dann ging es ohne Aufenthalt weiter, bis sie auf den Hügel an der Uniwiese gelangten.
Jan hatte nur noch die zwei Füße seiner Mutter (alles andere hatte er unterwegs verloren). Er warf die Füße in den Aachener Weiher, trat in ein Haus und bat um Obdach. Die Hausfrau (es war die alte Hexe Zänkmanns Kätt) sagte, sie gäbe ihm nur Unterkunft, wenn er zwei Forellen finge. Da ging er hin und fing zwei Forellen im Aachener Weiher, das waren die Füße seiner Mutter.
„Nun“, sprach die Frau des Hauses, indem sie die Forellen aufs Feuer setzte, „jetzt pass auf, dass keine Flecken und Brandstellen daraufkommen.“
Auf eine der Forellen kamen Blasen. Jan legte seinen Daumen darauf und verbrannte ihn. Schnell steckte er ihn in den Mund. Von dem Tage an bis zu seinem Tode holte er seine Weisheit aus dem Daumen, sobald er ihn in den Mund steckte und von den Sehnen bis aufs Mark durchkaute.

Mittwoch, 24. September 2008

Coloniales (3)

Mit Lili Marleen auf dem Heumarkt

Samstagmorgen, halb Zehn: Über dem Heumarkt liegt eine bleierne Ruhe. Nazis, Journalisten und Polizisten blinzeln in die Sonne und spazieren ziellos umher, während sich hinter den Barrikaden die Gegendemonstranten sammeln. Das „Fescheck“ (deutsch) hat geöffnet und vertickt seine Bratheringe, die Dönerbude nebenan ist geschlossen. Ein seniler Altnazi spricht mich an: „Wo finde ich denn jetzt die Bühne?“, dabei steht er genau davor.
Drei Meter weiter erklärt eine engagierte Rechtsextremistin ihren Zuhörern die Globalisierung: „Die Steine für das Pflaster hier, die haben indische Kinder gekloppt, so sieht´s nämlich aus.“ Aus Köln hingegen kommt der schwarz-rot-gold gestrichene Toilettenwagen, der den Begriff „Nazi-Kacke“ in einen ganz neuen, irgendwie ursprünglicheren Zusammenhang stellt. Geliefert wurde er von der Firma „Barber Anhängervermietung“, dies nur als kleiner Boykottaufruf für all jene, die demnächst eine Party veranstalten wollen. Ich untersuche gerade, ob der Anstrich ganz frisch und also eigens für diesen Kongress aufgetragen wurde, als aus der Salzgasse eine altbekannte Melodie herüberweht: Lili Marleen, der größte Hit des Zweiten Weltkriegs, eigentlich geschrieben für ein jüdisches Mädchen. Dudelt der aus dem dort postierten Polizeiauto oder einer Altstadtkaschemme? Sind hier die Veranstalter am Werk oder die Vorhut der kölschen Bauchtänzer? – Offene Fragen, aber das Lied war ja schon damals in allen Lagern beliebt.
Mitten auf den Platz hat eine Fernsehzeitschrift ihr Banner geklebt. Beworben wird der Film „Babel“: Ein marokkanischer Ziegenhirte schießt eine weiße Frau an. Oha, denke ich, wenn das nicht mal Stoff für die Rassistenclique ist. Aber TV Spielfilm beruhigt mich: „gefühlvoll, mitreißend“, lautet das knappe Urteil.
Ausgesprochen langweilig hingegen verläuft der Vormittag auf dem Heumarkt. Die Blockaden stehen so fest, dass keine weiteren Teilnehmer auf den Platz gelangen. Das bekomme auf dem Rückweg auch ich zu spüren. Zwei vielleicht 15-jährige Mädels stehen Arm in Arm vor der polizeigesäumten Sperre.
„Darf ich mal hier durch?“, frage ich.
„Nee, hier wird blockiert.“
„Ich habe einen Presseausweis.“
„Kann man fälschen“, sagt die Göre.
Aber irgendwann geht das Leben weiter. Unter den Demonstranten sehe ich Martin Schüller, den Krimi-Autor. Er nutzt die Gunst der Stunde, um am frühen Morgen mit seinen Fortuna-Kumpels ein Fläschchen Kölsch zu kippen. Vor dem Rathaus wartet die Stretchlimou einer Hochzeitsgesellschaft, und auf dem Alter Markt erklärt ein Stadtführer die Eigenheiten des Kallendressers. Ungemütlich wird es erst wieder eingangs der Severinstraße, wo erneut Sperren aufgebaut sind.
Nazis in der Südstadt?
Lili Marleen am Karl-Berbuer-Brunnen?
Indische Kinder und marokkanische Ziegenhirten?
Nein. Der „Längste Desch“ hat angefangen. Prost!

Mittwoch, 17. September 2008

Coloniales (2)

„Pummerin statt Muezzin“

Am kommenden Wochenende treffen sich Nazis, Rassisten, Rechtsextreme und andere Braungebrannte aus ganz Europa auf dem Kölner Heumarkt. Anlass ist ein sogenannter „Anti-Islamisierungskongress“, ausgerichtet von der Partei, die sich „pro Köln“ nennt. Um sich ein Bild der dort eingeladenen Redner machen zu können, seien hier deren charakteristischste Sprüche und Aktionen einmal versammelt:

„Dieser Antiislamisierungskongress soll in die Geschichte eingehen, als der Tag, an dem europäische Patrioten aufstanden, um der islamischen Erstürmung unserer Vaterländer endlich Einhalt zu gebieten.“
(Henry Nitzsche, deutscher Bundestagsabgeordneter, bis 2006 für die CDU, seit seinem Austritt fraktionslos, im „Grußwort“ an die Veranstalter)

„Deutschland (soll) nie wieder von Multikultischwuchteln in Berlin regiert“ werden.
(Henry Nitzsche auf einer CDU-Veranstaltung vor 2006, zitiert nach: Ohrenzeugen)

In Turin zündete er die Zelte von Einwanderern an. In einem Zug besprühte er mit einem Reinigungsspray Bänke, auf denen zuvor nigerianische Prostituierte gesessen hatten. Mit seiner Partei verfolgt er die Strategie, potenzielle Moscheebaugelände durch eine Begehung mit Schweinen zu „infizieren“.
(Die Nazi-Beobachter von indymedia über Mario Borghezio, EU-Abgeordneter für die Lega Nord, Italien)

„Wir dürfen es nicht zulassen, dass (...) vor unseren Häusern Moscheen errichtet werden, in unseren Schulen die eigenen Kinder als ´Schweinefleischfresser´ beschimpft werden, dass unsere Töchter den gierigen Blicken und Händen ganzer Zuwandererhorden ausgesetzt sind, weil diese keinerlei Verständnis für die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft haben.“
(Der FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Grußwort an pro Köln. Wegen Wahlkampfaktivitäten sagte er seine Teilnahme kurz vor dem Kongress wieder ab.)

„Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass es konventionelle Meinung ist, dass sechs Millionen Juden vergast und eingeäschert und zu Lampenschirmen gemacht wurden. Es war auch mal konventionelle Meinung, dass die Erde flach sei (...)“.
(Der Holocaustleugner, Antisemit und Führer der British National Party Nick Griffin, England. Er wurde zwischenzeitlich und stillschweigend vom Kongress wieder ausgeladen. Zitiert nach: Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus (ibs) im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln)

„Ich glaube an die Ungleichheit der Rassen.“
(Jean-Marie Le Pen, Vorsitzender der Front National, Frankreich, Er stand monatelang auf der Rednerliste, obwohl er angeblich nie zugesagt hatte.)

„Daham statt Islam“
„Für die Ärmsten der Armen und nicht die Wärmsten der Warmen“
„Pummerin statt Muezzin“
(Wahlkampfparolen der österreichischen FPÖ; für die Übersetzung der letzten wäre ich dankbar, B.I.)

„Die Polizei muss gegen Gewalttäter (...) in Köln hart durchgreifen. Schnellrichter sollten bereitstehen, um möglichst viele linke Politrandalierer an Ort und Stelle aburteilen zu können.“
(Manfred Rouhs, pro Köln)


Darauf ein dreifaches: „Kein Kölsch für Nazis!“

Mittwoch, 10. September 2008

Thekentänzer (2)

Blondbratzen

Die beiden Frauen sind Anfang 30, stark geschminkt und spärlich bekleidet. Ihre zwei Kölsch bestellen sie ohne bitte und danke.
"Mach nen Deckel auf Jennifer", sagt die mit den kurzen, gegelten Haaren. Dabei macht sie eine wegwerfende Handbewegung und dackelt dann mit ihrer Freundin hintendurch zum Flipper.
Ich nehme den Deckel und schreibe: "Blondbratzen".
Am Fenster neben dem Eingang sitzt ein Pärchen, das noch nie hier war.
"Schon wieder?", höre ich die Frau sagen. Ihre Stimme klingt resigniert.
"Ich geh nochmal um den Block", sagt der Mann. Und weg ist er.
Es ist Viertel nach 9, hinterm Fenster geht die Sonne unter. Jerôme arbeitet am dritten Kölsch-Jägermeister-Gedeck, als Jennifer zurück zur Theke kommt. In der Hand hält sie die beiden Kölschgläser, die noch voll sind, aber längst nicht mehr so gut aussehen wie vor zehn Minuten.
"Das Kölsch hier, ne", sagt Jennifer mit pampiger Empörung, "das geht gar nicht!"
Ich hasse diese Floskel: DAS GEHT GAR NICHT. Vor allem, wenn das "gaaaah" dann so langgezogen wird und das "r" entfällt. Wer sowas unreflektiert nachsabbelt, der macht auch bei "Frauentausch" mit.
"Das ist ja auch zum Trinken da", antworte ich vorsichtig, "nicht zum Angucken."
Jennifer platzt der Kragen: "Jetzt pass mal auf, du Witzbold, ne? Ich weiß, wie man Kölsch zapft. Und die hier sind scheiße, das solltest du dir mal überlegen."
Überlegen, hat sie gesagt. "Macht 2,80", sage ich.
"Nix da, du tust mir jetzt zwei Becks", keift Jennifer und schiebt tatsächlich nach: "Da kannste ja dann wohl nix falschmachen."
Manchmal ist das Leben so lustig, dass man es still und schweigend genießt.
Die verlassene Frau ist vom Fenster auf den Hocker neben Jerôme gewechselt. Die beiden Jägermeister, die er ihr gestiftet hat, haben ihr nicht gutgetan. Als sie zwischendurch zum Kippenautomaten verschwindet, fragt Jerôme: "Was soll ich tun? Die will, dass ich sie mit zu mir nehme."
Ich weiß keinen Rat und will von meinen Problemen mit Jennifer erzählen, aber da kommt Jerômes Chance auch schon wieder: "Ihr braucht gar nicht so zu glotzen", sagt sie mit einem unsicheren Grinsen. "Ich bin dem schon vorher mal fremdgegangen."
Jerôme wirkt beeindruckt, neben ihm taucht Jennifer auf. Zwei leere Becks in der Hand und schon wieder auf 180: "Meinst du nicht, es reicht langsam mit Bob Dylan?"
Zur Strafe für diese Unverschämtheit lege ich Hannes Wader auf und sage ihr das auch.
"Hannes wer?", fragt sie.
"Wader", rufe ich triumphierend, "und zwar alle 7 Lieder. Allein der ´Tankerkönig´ ist 11:45 lang."
Jennifer sieht mich verständnislos an, aber zugleich scheint nun so etwas wie verblüfftes Interesse in ihrem Blick zu liegen. ´Kellner sind auch Menschen´, steht in der Sprechblase über ihrem Gelscheitel.
Draußen ist es inzwischen stockdüster, der Laden wird voller. "Heute hier, morgen dort", singt Hannes Wader, und am Stehtisch hinter der Tür sitzen zwei Typen, die inbrünstig mitsingen. Na also, denke ich und zapfe mir ein Kölsch.
Als der Mann von seiner Blockrunde zurückkehrt, ist er völlig breit, hält aber eine Rose in der Hand. Jerômes Frage hat sich erledigt.

Mittwoch, 3. September 2008

Straßenkämpfer (3)

Sabrina ist komisch geworden

Es muss Monate her sein, dass diese Rundmail ankam: „Wer hilft mit beim Aufbau fürs Sommerfest?“ In der Schule meiner Tochter habe ich bisher noch keinen sozialen Finger gekrümmt, und ich war auch erst ein Mal bei einem Elternabend. Also schrieb ich zurück: „Ich.“

Zwei Tage vor dem Fest kam dann die Koordinationsliste, die besagte: „Aufbau 11-14 Uhr: Bernd Imgrund; Betreuung des Standes für Fruchtsäfte und Salate 15-16.30 Uhr: Bernd Imgrund; Abbau 17-19 Uhr: Bernd Imgrund.“ Et kütt, wie et kütt, sagt man sich dann als Kölner und lächelt grimmig in sich hinein.

Samstagsmorgens um 11 stehe ich also pünktlich auf der Platte. Eine Vertreterin der Elternpflegschaft gibt Anweisungen, wie die Tische zu platzieren seien. Es sind aber noch gar keine Tische da, stattdessen stehen mir zwei Jungs im Weg. Beide sind etwa 15, tragen ihre Haare schulterlang und Heavy-Metal-T-Shirts. Sie wirken genauso desorientiert wie ich, aber als Erwachsener weiß man sich ja zu helfen.

„He, ihr Zwei“, sage ich. „Wie wär´s, wenn ihr mal ´n paar Tische holen würdet?“

Die Jungs schlagen sich ihre Haare aus der Stirn und sehen mich an, als hätte ich sie morgens um 5 geweckt. Aber dann schlappen sie los.

„Ein Konterbierchen wäre jetzt gut“, höre ich den einen im Weggehen sagen.

„Jou, ´n kaltes Becks“, meint der andere, und ich beschließe, ihn später über die Vorteile von Kölsch (frischer, leckerer, billiger) aufzuklären.

Sie apportieren den Tisch, und ich stelle ihn ins Glied der anderen.

„Nein, nein“, höre ich die Stimme der resoluten Pflegschaftsfrau. „Da kommt die Bonkasse hin, da wird gedoppelt. Und dann muss da eine Gasse freibleiben, sonst kommt da doch niemand durch!“

Es ist verdammt heiß für 11 Uhr morgens. Und so eine Vollholzschulbank ist schwerer und sperriger, als man annehmen sollte. Aus dem Augenwinkel sehe ich die beiden Metalfreunde, die sich in den Schatten eines abgelegenen Baumes verkrümelt haben. Konterbierchen, denke ich, mit nem Becks im Motörhead ging´s mir jetzt wahrscheinlich auch besser. Ich verschnaufe ein wenig, warte vor allem, bis die strenge Frau weg ist, und lifte den Tisch dann noch einmal. Er doppelt jetzt den vor ihm stehenden, aber ich realisiere sofort, dass da was nicht in Ordnung ist. Trotzdem zucke ich zusammen, als ich in meinem Rücken die altbekannte Kommandostimme höre: „Also das geht jetzt natürlich gar nicht“, schnarrt sie. „Der ist doch viel höher als der andere, das sieht man doch. Und dann sollen da ja auch noch Tischdecken drauf, wie soll das denn gehen?“

Als ich den elenden Tisch auf ihre Anweisung hin nach hinten zur Schulwand trage, fällt mir mein weiterer Tagesplan ein: Fruchtsaftstand, Salatbar, Abbau. Ich bin plötzlich sehr deprimiert. Es ist 20 nach 11, und ich habe das sichere Gefühl, die schaffen das hier auch ohne mich. Beim Rausgehen sehe ich noch einmal die Metaller. Trotz der Entfernung könnte ich schwören, dass sie mich beobachten und hinter vorgehaltener Hand kichern. Das ist unangenehm, und außerdem könnte mich jeden Moment die Pflegschaftshand packen und zurück zu dem Tisch zerren. Aber irgendwann bin ich tatsächlich auf neutralem Boden.

Auf dem Laternenmast, an dem mein Fahrrad lehnt, steht ein Spruch: „Sabrina ist total komisch geworden.“

Finde ich auch.

Mittwoch, 27. August 2008

Straßenkämpfer (2)

Bring Back God!

Vor der Malzmühle am Heumarkt steht eine Gruppe von Ordensschwestern, ihrem Tonfall nach stammen sie aus Osteuropa. Die mit der dicksten Brille begutachtet mein Motorrad.

„Bä-Äm-Wä,“ sagt sie, nachdem sie sogar andeutungsweise in die Hocke gegangen war, „Sährr gutt!“ Über ihrer Tracht trägt sie einen Anorak mit dem Aufdruck „Yellowstone“.

Kurz darauf bin ich im Hansasaal des Rathauses, wo Jugendchöre aus den Partnerstädten Kyoto und Wolgograd empfangen werden.

Cultural Studies also: Die Japaner singen viel besser als die Russen. Die japanische Übersetzerin lächelt bei jedem Satz, und sie braucht immer doppelt so lang wie Bürgermeisterin Scho-Antwerpes. Der Russe hingegen scheint die Kunst der Verknappung zu beherrschen. Oder er hört sich nicht gerne reden. Vor jedem Einsatz dreht er sich nach allen Seiten um, als wolle er sich vergewissern, dass niemand unbefugt zuhört. Seiner Miene nach scheint er außerdem immer das Gleiche zu sagen: Dass der Russenchor leider wieder ausgeladen wird, weil er so schlecht singt.

Die Wolgograder sind auch ganz anders angezogen als die Japaner, vor allem die Mädchen. Nagellack und Schminke bekommt man an der Wolga offensichtlich früher und billiger als am Hozugawa. Eines der japanischen Mädchen trägt einen Schriftzug auf dem T-Shirt: „Bring Back God“, steht da. Das wird nichts, sage ich mir, der trinkt sich gerade in der Malzmühle fest.

Das Mittagessen nehme ich nach all diesen internationalen Affairen in meiner neuen Lieblings-Pommesbude in Neubrück ein. Am Stehtisch vor der Tür sitzen zwei Männer beim Frühschoppen, beide Schnäuzer, einer schlapp und verpickelt, einer muskulös und tätowiert.

„Ich wor en d´r DomRep“, sagt der Tätowierte. „All inclusiff, versteist´e.“

Der kleine Schlappe nippt an seiner Flasche und lacht in sich hinein.

„Fünnef Stääne, versteist´e, met Animateure un allem Pipapo, ävver do künne die mich met jare.“

„Womit?“

„Met Animateure un esu, die leefe do met enem Clownskostüm eröm, do komste d´r füür wie opem Rusemondachszoch.“

„Ja leck mich.“

„Ich will ming Rauh han, versteist´e. Un ich suffe jo och nix em Urlaub, nur fresse dun ich jään, ich han dat Büfett immer vun vürre bes hinge un widder anderseröm jeplündert, jlöuvste dat?“

Der Schlappe lacht. „Dat glaub ich dir aufs Wort.“

Meine Currywurst ist fertig. In dem kleinen Pommeskabuff riecht es nach Essig, und die Gedankenkette läuft so: Essig - Gewürze - Fernost - Bring Back God!

Mein Plan steht: Heute Abend gehe ich in die Malzmühle.

Mittwoch, 20. August 2008

Coloniales (1)

Adenauergrün

Wer in New York aufwächst, für den sind alle Taxis gelb. Wer in Köln geboren wird, für den sind alle Brücken grün.

Zum ersten Mal aufgefallen ist mir das vorigen Freitag. In der Deutzer Brücke lief eine Ausstellung, Subkulinaria, es ging um Kunst und Essen. Einer der Teilnehmer lag vor einem Topf, in dem Reis köchelte. Der ganze, ewig lange Raum roch danach, und wenn man dort übernächtigt-hungrig hindurchlief, war das ein echtes Problem. Zum Glück verfügt der Brückenbauch über ein paar Fenster. Winzig sind sie und vergittert, aber sie offerieren Frischluft und zugleich einen atemberaubenden Blick. Der Rhein, steil unten, präsentiert sich hier als uferlose Wassermasse, wild wogend und schwindelerregend. Und dann hebt man also den Kopf, sucht den blauen Himmel, aber findet: Grün.

Die Deutzer Brücker ist ein Zwitter. Bei ihrer Erweiterung 1976 baute man der alten Stahlkonstruktion flussaufwärts eine aus Spannbeton daneben. Das ist die, die heute begehbar, weil hohl ist. Aber da die Fensterchen nur flussabwärts sitzen, versperren die grünen Stahlrippen des Altbaus den Himmelsblick. Wie der Grüngürtel verdankt sich auch das Kölner Brückengrün dem Ex-OB Adenauer. Er hatte sich diese Farbe zur Einweihung der Mülheimer Brücke 1929 gewünscht, und die Bayer AG erhielt den Auftrag, sie zu entwickeln. Chemisch ausgedrückt entstand dabei ein Chromoxidgrün auf der Basis künstlich-anorganischer Pigmente mit der Formel Cr2O3. Es gilt als besonders lichtbeständig und wetterfest. Weil auch alle weiteren städtischen Brücken damit bestrichen wurden, bewarb man es in Leverkusen bald unter dem Namen Kölner oder Adenauergrün.

Brücken schlagen Bögen und dieser Text jetzt auch, so elegant wie möglich: Der Vorgänger der Deutzer, die Hindenburgbrücke, stammt nämlich von 1915. Im selben Jahr gründete der slowakische Emigrant John Daniel Hertz in den USA ein Taxi-Unternehmen, das ihn reich und berühmt machen sollte. Analog zu jener Farbe, die laut zeitgenössischen Studien auch auf große Entfernung noch auffällig wirkte, nannte er es: Yellow Cab Company.

Mittwoch, 13. August 2008

Thekentänzer (1)

Miou-Miou

Jerôme hat Depressionen. Sagt er.

Den gebrauchten Jaguar, zwölf Jahre alt, 6.000 Euro, bekommt er erst nächste Woche, und seine Freundin hat aus dem Urlaub bei ihren Eltern noch immer nicht angerufen. Oder wenigstens gesimst, aber gut, sie ist ja auch erst seit heute Mittag weg. Jetzt sitzt er, Jerôme, beim fünften Jägermeister, und wartet darauf, dass Didi, mit dem er sich bei den Bestellungen abwechselt, endlich mit ihm anstößt.

„Mein Vater hat schon immer gesagt, dass aus mir nix wird.“

Jerômes Depressionen sind eng mit seinem Erzeuger verknüpft. Der war bis zu seiner Pensionierung Stahlarbeiter im Saarland und versteht nicht, was ein Gagschreiber wie Jerôme eigentlich macht. So leistungsmäßig und für die Gesellschaft undsoweiter. Jerôme versteht das auch nicht, bewundert seinen Vater für dieses Unverständnis und potenziert damit seine Depressionen. Außerdem ist er inzwischen 33 und hat mehrere graue Haare im Dreitagebart.

Didi bereitet der scharfe Abgang des Kräuterschnapses langsam Probleme. Es ist erst kurz nach 9, bevor hier die ersten Mädels auftauchen, wird er wieder vor seinem Sodbrennen nach Hause geflüchtet und dort von ihm gestellt worden sein. Aber klar, er hebt das Glas, Jerôme ist ungeduldig.

„Den noch, und dann ist für mich Schluss mit Schnaps. Dass du das weißt!“

„Is klar, Didi.“

Didi nippt, Jerôme kippt. Als er sich reckt und den Kopf kreisen lässt, sieht er die Dreiergruppe an der Tür. Zwei Männer, eine Frau. Blond, ein spitzmäusiges, lasterhaftes Gesicht.

„Wie Miou-Miou“, sagt Jerôme, „das heißt Schmusekätzchen.“

Didi schiebt das sechste Glas von sich weg. Die Frau trägt ein geblümtes Kleid der genau richtigen Länge und keine Socken in den Chucks. Mit ihren Begleitern verzieht sie sich an einen Tisch hintendurch. Aber immerhin ist sie es, die jeweils zur Theke kommt und die Runden bestellt.

„Drei Kölsch“, sagt sie und hebt dabei enorm schlanke Finger. Didi fixiert den Jägermeister.

„Meine Putzfrau dealt“, sagt Jerôme und entlockt der Frau damit ein Lächeln. Aber dann setzt die Musik wieder ein, mit einem Lied von Billy Bragg. Draußen dämmert es, die Frau verschwindet ins Dunkel des Hinterraums.

„Russland marschiert in Georgien ein“, sagt der Kellner. „Damit haben heute 45 deutsche Tageszeitungen getitelt.“

„Haben die nur drauf gewartet“, sagt Didi. Er scheint plötzlich Oberwasser zu kriegen. „Haben die nur drauf gewartet, dass die mal wieder sowas schreiben können. Da fühlen die sich wichtig, die kleinen Pisser.“

Der Gartenbaufachbetrieb, bei dem er angestellt ist, kümmert sich auch um einige Villen in Marienburg. Entschlossen greift er zum Schnapsglas und leert es: „Mach noch zwei.“ Seine Stimme ist tiefer geworden.

Eine halbe Stunde später steht die Frau zum dritten Mal am Tresen. Sie bestellt ihre drei Bier und beobachtet den Kellner. In ein lächerliches Gitarrensolo hinein sagt sie:

„Du zapfst unheimlich elegant, weißt du das?“

Didi ist gegangen, an seinem Platz stehen jetzt zwei Betrunkene und würfeln.

„Schock Doof ist tief“, sagt der eine.

„Ich hab Depressionen.“ Sagt Jerôme.

Mittwoch, 6. August 2008

Straßenkämpfer (1)

Mauselbärchen

Ein Vormittag in der Linie 1 Richtung Bensberg. Ich will Camus lesen, Die Pest, ideale KVB-Lektüre. Aber der Plan scheitert, als an der Haltestelle Moltkestraße eine Frau mit glühendem Handy einsteigt.

„Mauselbärchen, ich bin gleich bei dir.“

Sie ist Mitte 40, spindeldürr und trägt rote Flip Flops zu hautfarbenen Strumpfhosen. Aber vor allem redet sie sehr laut.

„Jetzt beruhig dich doch, Mauselbärchen, ich sitz schon in der Bahn, Moltkestraße, ich bin gleich da reingesprungen, Viertelstunde vielleicht. Und dann bin ich bei dir.“

Die beiden Mädchen, deren Rückenlehne an meine grenzt, kichern.

„Hast du das gehört? – Mauselbärchen!“

„Voll schwul irgendwie.“

Bisher hat die Frau gestanden, mehrmals ist ihr die Handtasche von der Schulter gerutscht und fahrig wieder justiert worden. Am Rudolfplatz setzt sie sich endlich, vornübergebeugt und knapp auf die Kante. Sie fährt sich mit der Hand durchs Haar, reibt sich Knie und Schienbein. Beim Sprechen wippt sie mit dem Oberkörper vor und zurück.

„Jetzt klingelt´s auf der anderen Leitung, Mauselbärchen. Das ist bestimmt der Herr Doktor Rüdiger, Mauselbärchen, ich hab den von zu Hause schon ein paar mal versucht, ich ...“

Während der letzten Sätze hat sie einhändig in ihrer Tasche gekramt und ein Klapphandy geöffnet. An jedem Ohr liegt jetzt ein Telefon an, ihre Finger waren einmal mattweiß lackiert. Von Leitung 1 aus wird länger auf sie eingeredet, bevor sie nervös unterbricht.

„Der Doktor Rüdiger, genau, und dann wird alles gut, dann muss ich dich jetzt mal gerade auflegen, ja? Und, und Mauselbärchen: Sag denen einfach nix! Sag denen garnix, bis ich komme!“

Leitung 1 wird gekappt.

„Der Herr Doktor Rüdiger, ja gottseidank, es geht um meinen Sohn. Ich ...“

Völlig entsetzt starrt sie auf den Apparat, schüttelt ihn, drückt alle Tasten: „Ein Funkloch? Jetzt?“

Ihre Stimme ist die pure Verzweiflung. Ihr Blick irrt Hilfe, Halt suchend durch den Waggon und bleibt kurz an mir hängen. Aber als ich sie ansehe, klingelt schon wieder das andere Telefon.

„Mauselbärchen, ja, das ist zum Verrücktwerden hier.“

Die beiden Mädchen, deren eines Samantha heißt, lesen sich nun offenbar Handy-Witze vor.

„Was macht ein schwuler Adler nach der Arbeit?“ fragt Samantha.

„Keine Ahnung“, sagt ihre Freundin.

„Er fliegt zu seinem Horst.“

„Horst?“

„Ja, steht hier.“

„Hm.“

Über das pisanische Gerede habe ich den Anfang des Telefonats von gegenüber verpasst. Die Frau belästigt ihre Umwelt nicht zum Spaß, soviel ist klar. Sie hat ein existenzielles Problem. In Camus´ Buch gibt es einen kleinen Beamten, der seit Jahren an einem Roman schreibt, aber nie über den ersten Satz hinausgekommen ist. Ständig tauscht er Adjek- und Substantive aus, ohne je seinen idealen Anfang zu finden. Der Mann heißt Grand und wirkt durchaus zufrieden. Die Frau spricht immer noch.

„Das können die nicht machen, Mauselbärchen, glaub mir das. Der hilft uns, der ist doch Rechtsanwalt, der Herr Rüdiger. Und nur weil du auch schon wegen dem anderen Auto ..., nein, die bringen dich nicht nach Ossendorf!“

Am Polizeipräsidium steigt sie aus, telefonierend. Eine Variante von Grands Satz lautet: „An einem schönen Morgen des Monats Mai durchritt eine elegante Amazone auf einer wunderbaren Fuchsstute die blühenden Alleen des Bois de Boulogne.“ Am Ende erwägt er, alle Adjektive einfach wegzulassen.